ࡱ;  ,  !"#$%&'()*+,-./0123456789:;<=>?@ABCDEFGHIJKLMNOPQRSTUVWXYZ[\]^_`abcdefghijklmnopqrstuvwxyz{|}~Root Entry  !"#$%&'()*+,-./0123456789:;<=>@ABCE  FMicrosoft Word-Dokument MSWordDocWord.Document.89q [dd07>2K9$a$1$7$A$*$/B*OJQJCJmHsHPJnH^JaJ_HtHBA@BAbsatz-Standardschriftart<<Default Paragraph Font,),><5@ AB@0=8FK:U:=B5@=5B-AAK;:0 B*ph>*J2J 03>;>2>: x$OJQJCJPJ^JaJ8B28A=>2=>9 B5:AB x$/1B$!?8A>:^JBRB0720=85 xx $CJ6^JaJ].b. #:070B5;L $^JDrD5@E=89 :>;>=B8BC;  E$616!>45@68<>5 2@57:8D D86=89 :>;>=B8BC; % $  Қ*  3i8T& b>JQZ?hJ3nbG΃p*_Xd IRF < = 0#xB _oRd:dj7rM u Ad~w8V(.lLnB¯z@<l]hlBVzD[Zy,LN0HeH6 d">]~țB2Mqb4,jn ' z= =       !@ @(    NC"  0(  < C Қ*/+T@ҚҚP GTimes New Roman5Symbol3&ArialGTimes New Roman3&Arial;SimSun[SO5SimSun5Mangal5MangalBhrq}q}'00 Erich Kstner$@0=: ;LO $@0=:Oh+'0 X`x Erich Kästner ФранкNormalИлья Франк29@.Yv@@@ @՜.+,D՜.+,\M 0= Caolan80 6*  )Mdd8LLl   beb  "d8 Erich Kstner. Drei Mnner im Schnee Das erste Vorwort Der Millionr als knstlerisches Motiv Millionre sind aus der Mode gekommen. Sogar die Filmkritiker behaupten es. Und das gibt zu denken. Sie schreiben, man knne betrete Diener, parkhnliche Grten und pompse Villen nicht lnger sehen. Man habe genug von echten Tizians an den Wnden, genug auch von Aktienpaketen in den Tresors  und Festlichkeiten mit mehr als zwanzig, womglich elegant gekleideten Gsten zu zeigen, sei eine Zumutung ohnegleichen. Nun las ich neulich im Blatt, es gebe immer noch Millionre. Ich habe keine Gelegenheit, die Glaubwrdigkeit dieser Nachricht nachzuprfen. Unter meinen Bekannten befindet sich jedenfalls kein Millionr. Doch das kann Zufall sein. Es beweist noch nichts. In England, so stand in der Zeitung, gebe es mehr als zweihundert ordnungsgem gemeldete Einwohner, deren jeder ber mindestens eine Million Pfund Sterling verfge. Und in anderen Lndern sei es hnlich. Aus welchem Grunde sind dann aber die Millionre aus der Mode gekommen? Weshalb ist man dagegen, da sie und ihre kostspielige Umgebung sich auf der Leinwand und im Roman widerspiegeln? Ja, wenn sich's um gefhrliche Wesen und um verbotene Dinge handelte, liee sich die Abneigung verstehen! Das Radfahren auf der verkehrten Straenseite beispielsweise ist gefhrlich und verboten; und so wre es in der Tat hchst unpassend, als Maler oder Schriftsteller etwas Derartiges zu wiederholen, indem man's darstellt. Das leuchtet ein. Einbrche und Raubberflle sind als knstlerische Motive ebenfalls ungeeignet. Denn auch in der Wirklichkeit sind sie, auer bei den Dieben selber, kaum erwnscht. Aber die Millionre? Sind sie verboten? Oder sind sie gar gefhrlich? Weit gefehlt! Sie zahlen Steuern. Sie beschaffen Arbeit. Sie treiben Luxus. Sie sind wesentliche Bestandteile von Staat und Gesellschaft. Als ich neulich las, da es noch immer Millionre gebe, las ich aber auch, ihre Zahl sei im Schwinden begriffen. Und vielleicht fhrt dieser Hinweis zu jener Antwort, die ich suche.  Sicher hat der Leser gelegentlich zum Himmel emporgesehen, whrend die Sonne hinterm Horizont versank. Wenige Minuten, nachdem sie untergegangen ist, beginnen pltzlich die westlichen Wolken zu glhen. Sie errten. Einsam leuchten sie ber der grauen, dmmernden Welt. Die Wolken schimmern rosarot, aber die Sonne versank. Sollten die Millionre jenen Wolken gleichen? Sollten sie der Abglanz einer Zeit sein, die schon untergegangen ist? Sollten sie deshalb aus der Mode gekommen sein? Um es kurz zu machen: Ich wei es nicht. Das zweite Vorwort Der Verfasser gibt die Quellen an Obwohl die Millionre aus der Mode gekommen sind und obwohl ich nicht einmal genau wei warum, ist, dessenungeachtet, die Hauptfigur dieses Buchs ein Millionr. Das ist nicht meine Schuld. Sondern es kam so: Mein Freund Robert und ich fuhren vor einigen Monaten nach Bamberg, um uns den dortigen Reiter anzusehen. Den Bamberger Reiter. Elfriede, eine junge Kunsthistorikerin, hatte Robert mitgeteilt, da sie nur einen Mann heiraten werde, der den Bamberger Reiter kenne. Ich hatte meinem Freunde daraufhin einen ausgezeichneten Rat gegeben. Htte er ihn beherzigt, wren wir billiger davongekommen. Aber er war dagegen gewesen. Vor der Hochzeit drfe man seine Frau nicht schlagen. Eine veraltete Ansicht, wie man zugeben wird. Doch er bestand darauf. Und schlielich war es seine Braut, nicht die meine. So fuhren wir nach Bamberg. (Ich mchte an dieser Stelle vorausschicken, da sich die Kunsthistorikerin Elfriede whrend unsrer Abwesenheit mit einem Zahnarzt verlobte. Er kannte den Bamberger Reiter brigens auch nicht. Statt dessen verabfolgte er ihr eine Maulschelle. Man nennt das, glaube ich, seelische Kompensation. Daraufhin war ihm Elfriede um den Hals gefallen. So sind die Frauen. Doch das wuten wir damals noch nicht.) In unserem Abteil sa ein lterer Herr. Er hatte Gallensteine. Man sah es ihm nicht an. Aber er sprach darber. Er sprach berhaupt sehr viel. Und bevor er, hinter Leipzig, aufstand, um im Speisewagen eine Tasse Kaffee zu trinken, erzhlte er uns haarklein jene wahre Geschichte, die den Inhalt des vorliegenden Buches bilden wird und deren Hauptfigur, es ist nicht zu ndern, ein Millionr ist. Als der ltere Herr das Abteil verlassen hatte, sagte Robert: brigens ein ausgezeichneter Stoff. Ich werde einen Roman daraus machen, entgegnete ich. Du irrst, meinte er gelassen. Den Roman schreibe ich. Wir musterten einander streng. Dann erklrte ich herrisch: Ich mache einen Roman daraus, und du ein Theaterstck. Der Stoff eignet sich fr beide Zwecke. Auerdem ist ein Lustspiel hchstens halb so umfangreich wie ein Roman. Du siehst, ich will dir wohl. Nein. Das Stck mge geflligst ich schreiben. Nein. Ich verstnde nichts von Lustspielen. Das stimme, sei aber kein Hindernis. Wir schwiegen. Dann sagte mein Freund Robert: Wir werden einen Groschen hochwerfen. Ich nehme Wappen. Er warf die Mnze hoch. Sie fiel auf die Bank. Hurra! rief ich. Zahl! Nun hatten wir jedoch vergessen, vorher auszumachen, was eigentlich entschieden werden solle. Wir wiederholen das Experiment, schlug ich vor. Wer gewinnt, schreibt den Roman. Diesmal nehme ich Zahl, sagte Robert. (Er hat seine Schattenseiten.) Ich warf den Groschen hoch. Er fiel zu Boden. Hurra! rief ich. Wappen! Robert blickte tieftraurig zum Fenster hinaus. Ich mu ein Lustspiel schreiben, murmelte er. Er tat mir fast leid. Nun kam der ltere Herr mit den Gallensteinen wieder ins Abteil. Eine Frage, mein Herr, sagte ich. Wollen Sie die Geschichte von dem Millionr knstlerisch gestalten? Was sind Sie von Beruf? Er antwortete, er sei Geflgelhndler. Und er denke nicht daran, Bcher oder Stcke zu verfassen. Mglicherweise knne er's gar nicht. Dann wollten wir es fr ihn tun, erklrten wir. Er bedankte sich. Spter fragte er, ob wir es ihm gestatteten, die Geschichte nach wie vor in Eisenbahnkupees zu erzhlen. Ich sagte: Wir gestatten es. Er bedankte sich noch einmal. An der nchsten Station stieg er aus. Er winkte uns nach. Nachdem wir den Bamberger Reiter eingehend besichtigt hatten, kehrten wir nach Berlin zurck. Die Kunsthistorikerin Elfriede stand am Anhalter Bahnhof und stellte uns ihren neuen Brutigam vor. Robert war erschttert. Der Zahnarzt sagte, er sei ihm eine Revanche schuldig, und lud uns zu einem Umtrunk ein. Seine Braut schickte er nach Hause. Das Weib gehre an den Herd, meinte er streng. Elfriede sagte einiges ber den Stilwandel in der Ehe und ber die zyklische Polaritt. Dann erklomm sie den Autobus. Und das war die Hauptsache. Wenn eine Frau gehorcht, darf sie sogar gebildet sein. Wir drei Mnner stiegen in eine unterirdische Weinkneipe, und nach vier Stunden hatten wir zahlreiche Zacken in der Krone. Ich wei nur noch, da wir dem Zahnarzt versprachen, zu seiner Hochzeit Blumen zu streuen. Da begann er laut zu weinen. Spter heulte auch Robert. Ich mu ein Lustspiel schreiben, stammelte er. Und der Dentist heiratet Elfriede und hat nicht einmal den Bamberger Reiter gesehen. Du bist eben ein Glckspilz, sagte der Zahnarzt schlagfertig. Und dann brachten wir Robert nach Hause. Ich legte ihm Papier und Bleistift zurecht, damit er am nchsten Morgen unverzglich mit dem Theaterstck beginnen knne. Sublimiere den Schmerz, o Robert, und dichte! schrieb ich auf einen Zettel. Nichts weiter. Wir Knstler sind kalte, hartherzige Naturen. Seitdem ging die Zeit ins Land. Der Zahnarzt hat Elfriede geheiratet. Robert hat das Stck geschrieben. Und ich den Roman. Gern htten wir dem Herrn mit den Gallensteinen unsere Werke gewidmet. Denn ihm verdanken wir ja den Stoff. Aber wir vergaen damals in der Eisenbahn, nach seinem Namen zu fragen. Deshalb: Sehr geehrter Herr! Sollten Sie Roberts Stck sehen oder dieses Buch lesen, so erinnern Sie sich unser, bitte, nicht ohne Wohlwollen! Und wenn Sie wieder einmal einen hbschen Stoff wissen, schreiben Sie uns ganz einfach eine Karte! Ja? Eigne Einfalle sind so selten. Wir kommen ins Haus. NB. Das Porto wrden wir Ihnen selbstverstndlich rckvergten. Das erste Kapitel Dienstboten unter sich und untereinander Machen Sie nicht so viel Krach! sagte Frau Kunkel, die Hausdame. Sie sollen kein Konzert geben, sondern den Tisch decken. Isolde, das neue Dienstmdchen, lchelte fein. Frau Kunkels Taftkleid knisterte. Sie schritt die Front ab. Sie schob einen Teller zurecht und zupfte an einem Lffel. Gestern gab es Nudeln mit Rindfleisch, bemerkte Isolde melancholisch. Heute weie Bohnen mit Wrstchen. Ein Millionr sollte eigentlich einen eleganteren Appetit haben. Der Herr Geheimrat it, was ihm schmeckt, sagte Frau Kunkel nach reiflicher berlegung. Das neue Dienstmdchen verteilte die Mundtcher, kniff ein Auge zu, das getroffene Arrangement zu berprfen, und wollte sich entfernen. Einen Augenblick noch! meinte Frau Kunkel. Mein Vater, Gott hab ihn selig, pflegte zu sagen:  Auch wer morgens dreiig Schweine kauft, kann mittags nur ein Kotelett essen. Merken Sie sich das fr Ihren ferneren Lebensweg! Ich glaube kaum, da Sie sehr lange bei uns bleiben werden. Wenn zwei Personen dasselbe denken, darf man sich etwas wnschen, sagte Isolde vertrumt. Ich bin keine Person! rief die Hausdame. Das Taftkleid zitterte. Dann knallte die Tr. Frau Kunkel zuckte zusammen und war allein.  Was mochte sich Isolde gewnscht haben? Es war nicht auszudenken! Das Gebude, von dessen Speisezimmer soeben die Rede war, liegt an jener alten, ehrwrdigen Allee, die von Halensee nach Hundekehle fhrt. Jedem, der die Strae auch nur einigermaen kennt, wird die Villa aufgefallen sein. Nicht, weil sie noch grer wre, noch feuervergoldeter und schwungvoller als die anderen. Sie fllt dadurch auf, da man sie berhaupt nicht sieht. Man blickt durch das zweihundert Meter lange Schmiedegitter in einen verschneiten Wald, der jegliche Aussage verweigert. Wenn man vor dem von ergrauten Steinsulen flankierten Tore steht, sieht man den breiten Fahrweg und dort, wo er nach rechts abbiegt, ein schmuckloses freundliches Gebude: das Gesindehaus. Hier wohnen die Dienstmdchen, die Kchin, der Chauffeur und die Grtnersleute. Die Villa selber, die toten Tennispltze, der erfrorene Teich, die wohltemperierten Treibhuser, die unterm Schnee schlafenden Grten und Wiesen bleiben unsichtbar. An der einen grauen Sule, rechts vom Torgitter, entdeckt man ein kleines Namensschild. Man tritt nher und liest: Tobler. Tobler? Das ist bestimmt der Millionr Tobler. Der Geheimrat Tobler. Der Mann, dem Banken, Warenhuser und Fabriken gehren. Und Bergwerke in Schlesien, Hochfen an der Ruhr und Schiffahrtslinien zwischen den Kontinenten. Die Epoche der Wirtschaftskonzerne ist vorbei. Der Toblerkonzern lebt noch. Tobler hat sich, seit er vor fnfzehn Jahren den Herrn Onkel beerbte, um nichts gekmmert. Vielleicht liegt es daran.  Konzerne gleichen Lawinen. Sie werden grer und grer: Soll man ihnen dabei helfen? Sie enden im Tal: Kann man's verhindern? Tobler besitzt viele Millionen. Aber er ist kein Millionr. Frau Kunkel studierte die Morgenzeitung. Johann, der Diener, trat ins Speisezimmer. Tun Sie nicht so, als ob Sie lesen knnten! sagte er unwillig. Es glaubt Ihnen ja doch kein Mensch. Sie scho einen vergifteten Blick ab. Dann wies sie auf die Zeitung. Heute stehen die Preistrger drin! Den ersten Preis hat ein Doktor aus Charlottenburg gekriegt, und den zweiten ein gewisser Herr Schulze. Fr so'n paar kurze Stze werden nun die beiden Mnner auf vierzehn Tage in die Alpen geschickt! Eine viel zu geringe Strafe, erwiderte Johann. Sie gehrten nach Sibirien. Um was handelt sich's brigens? Um das Preisausschreiben der Putzblank-Werke. Ach so, sagte Johann, nahm die Zeitung und las das halbseitige Inserat. Dieser Schulze! Er hat keine Adresse. Er wohnt postlagernd! Man kann postlagernd wohnen? fragte Frau Kunkel. Ja, geht denn das? Nein, erwiderte der Diener. Warum haben Sie sich eigentlich nicht an dem Preisausschreiben beteiligt? Sie htten bestimmt einen Preis gekriegt. Ist das Ihr Ernst? Man htte Sie auf zwei Wochen in die Alpen geschickt. Vielleicht htten Sie sich einen Fu verstaucht und wren noch lnger weggeblieben. Er schlo genieerisch die Augen. Sie sind ein widerlicher Mensch, meinte sie. Ihretwegen brche ich mir nicht einmal das Genick. Johann fragte: Wie macht sich das neue Dienstmdchen ? Frau Kunkel erhob sich. Sie wird bei uns nicht alt werden. Warum heit die Person eigentlich Isolde? Die Mutter war eine glhende Verehrerin von Richard Wagner, berichtete Johann. Was? rief die Hausdame. Unehelich ist diese Isolde auch noch? Keine Spur. Die Mutter war verheiratet. Mit Richard Wagner? Aber nein. Warum wollte er denn, da das Kind Isolde heien sollte? Was ging ihn das an? Richard Wagner hatte doch keine Ahnung von der Geschichte. Frulein Isoldes Mutter wollte es. Und der Vater wute davon? Selbstverstndlich. Er liebte Wagner auch. Frau Kunkel ballte die gepolsterten Hnde. Ich lasse mir allerlei gefallen, sagte sie dumpf. Aber das geht zu weit! Das zweite Kapitel Herr Schulze und Herr Tbler Es schneite. Vor dem Postamt in der Lietzenburger Strae hielt eine groe, imposante Limousine. Zwei Jungen, die mit Schneebllen nach einer Laterne warfen, unterbrachen ihre aufreibende Ttigkeit. Mindestens zwlf Zylinder, sagte der Grere. Eine klotzige Karosserie, meinte der Kleinere. Dann pflanzten sie sich vor dem Fahrzeug auf, als handle sich's mindestens um den Sterbenden Gallier oder den Dornauszieher. Der pelzverbrmte Herr, welcher der klotzigen Karosserie entstieg, glich etwa einem wohlhabenden Privatgelehrten, der regelmig Sport getrieben hat. Einen Moment, Brandes, sagte er zu dem Chauffeur. Dann trat er in das Gebude und suchte den Schalter fr postlagernde Sendungen. Der Beamte fertigte gerade einen Jngling ab. Er reichte ihm ein rosafarbenes Briefchen. Der Jngling strahlte, wurde rot, wollte den Hut ziehen, unterlie es und verschwand hastig. Der Herr im Gehpelz und der Oberpostsekretr lchelten einander an. Das waren noch Zeiten, sagte der Herr. Der Beamte nickte. Und nun sind wir alte Esel geworden. Ich jedenfalls. Der Herr lachte. Ich mchte mich nicht ausschlieen. So alt sind Sie noch gar nicht, meinte der Beamte. Aber schon so ein Esel! sagte der Herr vergngt. Ist brigens ein Brief fr Eduard Schulze da? Der Oberpostsekretr suchte. Dann reichte er einen dicken Brief heraus. Der Herr steckte den Brief in die Manteltasche, bedankte sich, nickte heiter und ging. Die zwei Jungen standen noch immer vor dem Auto. Sie verhrten den Chauffeur. Er schwitzte bereits. Sie erkundigten sich, ob er verheiratet sei. Da htte ich doch 'n Trauring um, bemerkte er zurechtweisend. Die Jungen lachten. Mensch, der nimmt uns auf die Rolle, meinte der Grere. So was drfen Sie mit uns nicht machen, sagte der Kleinere vorwurfsvoll. Mein Vater hat ihn auch in der Westentasche. Als der Herr aus dem Postamt trat, stieg der Chauffeur rasch aus und ffnete den Schlag. So 'ne Bengels knnen einen alten Mann glatt ins Krankenhaus bringen, sagte er verstrt. Herr Schulze musterte die Knirpse. Sollen wir euch einmal ums Viereck fahren? Sie nickten und schwiegen. Na, dann rin in die gute Stube! rief er. Sie kletterten stumm in den Fond. Die Fahrt ging los. Dort kommt Arthur! sagte der Groe. Der Kleine klopfte an die Scheibe. Beide winkten stolz. Arthur blieb stehen, blickte den Kameraden verstndnislos nach und winkte erst, als das Auto um die Ecke gebogen war. Wieviel Kilometer ist Ihr Wagen schon gefahren? fragte der Kleinere. Keine Ahnung, sagte Herr Schulze. Gehrt er Ihnen denn nicht? fragte der Grere. Doch, doch. Hat 'n Auto und wei nicht, wieviel Kilometer es gelaufen ist! meinte der Grere kopfschttelnd. Der Kleinere sagte nur: Allerhand. Herr Schulze zog das Schiebefenster auf. Brandes, wieviel Kilometer ist der Wagen gefahren? 60350 Kilometer! Dabei sieht er noch wie fabrikneu aus, meinte der kleine Junge fachmnnisch. Wenn ich gro bin, kauf ich mir genau denselben. Du wirst niemals gro, bemerkte der andere. Du wchst nicht mehr. Ich werde so gro wie mein Onkel Gotthold. Der geht nicht durch die Tre. So siehst du aus! Du bleibst 'n Zwerg. Ruhe! sagte Herr Schulze. Brandes, halten Sie mal! Der Herr ging mit den zwei Jungen in ein Schokoladengeschft. Sie durften sich etwas aussuchen.  Der Kleinere bekam Marzipanbruch, der Grere Drops mit Fruchtgeschmack. Und fr sich selber kaufte Herr Schulze eine Rolle Lakritzen. Die Verkuferin rmpfte die Nase. Dann transportierte Brandes die kleine Gesellschaft in die Lietzenburger Strae zurck. Die beiden Jungen dankten fr alles Gebotene, stiegen aus und machten tiefe Verbeugungen. Kommen Sie hier fter vorbei? fragte der Grere. Da wrden wir nmlich jeden Tag aufpassen, sagte der Kleinere. Das fehlte noch, brummte Brandes, der Chauffeur, und gab Gas. Die zwei Jungen sahen dem Wagen lange nach. Dann griffen sie in ihre Zuckertten. Ein feiner Kerl, sagte der Kleinere, aber von Autos hat er keinen Schimmer. Das Essen hatte geschmeckt. Isolde, das neue Dienstmdchen, hatte abgerumt, ohne Frau Kunkel eines Blickes zu wrdigen. Johann, der Diener, brachte Zigarren und gab dem Herrn des Hauses Feuer. Frulein Hilde, Toblers Tochter, stellte Mokkatassen auf den Tisch. Die Hausdame und der Diener wollten gehen. An der Tr fragte Johann: Irgendwelche Auftrge, Herr Geheimrat? Trinken Sie eine Tasse Kaffee mit uns! Die Kunkel auch. Und stecken Sie sich eine Zigarre ins Gesicht! Sie wissen doch, da ich nicht rauche, sagte Frau Kunkel. Hilde lachte. Johann nahm eine Zigarre. Der Geheimrat setzte sich. Nehmt Platz, Kinder! Ich habe euch etwas mitzuteilen. Hilde meinte: Sicher wieder etwas Originelles. Entsetzlich, sthnte die Hausdame. (Sie litt an Ahnungen.) Ruhe! befahl Tobler. Entsinnt ihr euch, da ich vor Monaten den Putzblank-Werken schrieb, man solle ein Preisausschreiben machen? Die anderen nickten. Ihr wit aber nicht, da ich mich an eben diesem Preisausschreiben, nachdem es verffentlicht worden war, aktiv beteiligte! Und was ich bis heute frh selber noch nicht wute, ist die erstaunliche Tatsache, da ich in dem Preisausschreiben meiner eigenen Fabrik den zweiten Preis gewonnen habe! Ausgeschlossen, sagte die Kunkel. Den zweiten Preis hat ein gewisser Herr Schulze gewonnen. Noch dazu postlagernd. Ich hab's in der Zeitung gelesen. Aha, murmelte Frulein Hilde Tobler. Kapieren Sie das nicht? fragte Johann. Doch, sagte die Kunkel. Der Herr Geheimrat verkohlt uns. Jetzt griff Hilde ein. Nun hren Sie einmal gut zu! Mein Vater erzhlt uns, er habe den Preis gewonnen. Und in der Zeitung steht, der Gewinner heie Schulze. Was lt sich daraus schlieen? Dann lgt eben die Zeitung, meinte Frau Kunkel. Das soll es geben. Die anderen bekamen bereits Temperatur. Es gibt noch eine dritte Mglichkeit, sagte Tobler. Ich knnte mich nmlich unter dem Namen Schulze beteiligt haben. Auch das ist mglich, gab Frau Kunkel zu. Da kann man leicht gewinnen! Wenn man der Chef ist! Sie wurde nachdenklich und schlielich streng. Dann konnten Ihnen Ihre Direktoren aber den ersten Preis geben. Kunkel, man sollte Sie mit dem Luftgewehr erschieen! rief Hilde. Und dann mit Majoran und pfeln fllen, ergnzte Johann. Das habe ich nicht verdient, sagte die dicke alte Dame mit trnenerstickter Stimme. Johann lie den Mut noch nicht sinken. Die Direktoren gaben doch den Preis einem ihnen vollkommen fremden Menschen! Ich denke, dem Herrn Geheimrat! Das wuten sie doch aber nicht! rief Hilde rgerlich. Schne Direktoren sind das, meinte Frau Kunkel. So etwas nicht zu wissen! Ha! Sie schlug sich aufs Knie. Schlu der Debatte! rief der Geheimrat. Sonst klettre ich auf die Gardinenstange. Da haben Sie's, sagte die Kunkel zu Johann. Den armen Herrn Geheimrat so zu qulen! Johann verschluckte vor Wut eine grere Menge Zigarrenrauch und hustete. Frau Kunkel lchelte schadenfroh. Worin besteht denn dieser zweite Preis? fragte Hilde. Johann gab hustend Auskunft. Zehn Tage Aufenthalt im Grandhotel Bruckbeuren. Hin- und Rckfahrt 2. Klasse. Ich ahne Frchterliches, sagte Hilde. Du willst als Schulze auftreten. Der Geheimrat rieb sich die Hnde. Erraten! Ich reise diesmal nicht als der Millionr Tobler, sondern als ein armer Teufel namens Schulze. Endlich einmal etwas anderes. Endlich einmal ohne den blichen Zinnober. Er war begeistert. Ich habe ja fast vergessen, wie die Menschen in Wirklichkeit sind. Ich will das Glashaus demolieren, in dem ich sitze. Das kann ins Auge gehen, meinte Johann. Wann fhrst du? fragte Hilde. In fnf Tagen. Morgen beginne ich mit den Einkufen. Ein paar billige Hemden. Ein paar geltete Schlipse. Einen Anzug von der Stange. Fertig ist der Lack! Falls sie dich als Landstreicher ins Spritzenhaus sperren, vergi nicht zu depeschieren, bat die Tochter. Der Geheimrat schttelte den Kopf. Keine Bange, mein Kind. Johann fhrt ja mit. Er wird die zehn Tage im gleichen Hotel verleben. Wir werden einander allerdings nicht kennen und kein einziges Wort wechseln. Aber er wird jederzeit in meiner Nhe sein. Johann sa niedergeschlagen auf seinem Stuhl. Morgen lassen wir Ihnen bei meinem Schneider mehrere Anzge anmessen. Sie werden wie ein pensionierter Groherzog aussehen. Wozu? fragte Johann. Ich habe noch nie etwas anderes sein wollen als Ihr Diener. Der Geheimrat erhob sich. Wollen Sie lieber hierbleiben? Aber nein, erwiderte Johann. Wenn Sie es wnschen, reise ich als Groherzog. Sie reisen als wohlhabender Privatmann, entschied Tobler. Warum soll es immer nur mir gutgehen! Sie werden zehn Tage lang reich sein. Ich wte nicht, was ich lieber tte, sagte Johann tieftraurig. Und ich darf Sie whrend der ganzen Zeit nicht ansprechen? Unter gar keinen Umstnden. Mit einem so armen Mann wie mir haben Herrschaften aus Ihren Kreisen nichts zu schaffen. Statt dessen drfen Sie sich aber mit Baronen und internationalen Sportgren unterhalten. Richtig, eine Skiausrstung werden Sie brigens auch brauchen! Ich kann nicht Skifahren, entgegnete der Diener. Dann werden Sie es lernen. Johann sank in sich zusammen. Darf ich wenigstens manchmal in Ihr Zimmer kommen und aufrumen? Nein. Ich werde bestimmt nur kommen, wenn niemand auf dem Korridor ist. Vielleicht, sagte der Geheimrat. Johann blhte wieder auf. Ich bin sprachlos, sagte die Kunkel. Wirklich? fragte Hilde. Im Ernst? Tobler winkte ab. Leere Versprechungen! ber fnfzehn Jahre bin ich in diesem Hause, sagte die Kunkel. Und es war dauernd etwas los. Der Herr Geheimrat hat immer schon zuviel Phantasie und zuviel Zeit gehabt. Aber so etwas ist mir denn doch noch nicht passiert! Herr Geheimrat, Sie sind das lteste Kind, das ich kenne. Es geht mich nichts an. Aber es regt mich auf. Dabei hat mir der Doktor jede Aufregung verboten. Was hat es fr Sinn, wenn Sie mich ein Jahr ums andere ins Herzbad schicken, und kaum bin ich zurck, fngt das Theater von vorne an? Ich habe jetzt mindestens hundertzwanzig Pulsschlge in der Sekunde. Und der Blutdruck steigt mir bis in den Kopf. Das hlt kein Pferd aus. Wenn ich wenigstens die Tabellen einnehmen knnte. Nein, die Tabletten. Aber ich kriege sie nicht hinunter. Sie sind zu gro. Und im Wasser auflsen darf man sie nicht. Denke ich mir wenigstens. Weil sie dann nicht wirken. Sie hielt erschpft mne. Ich frchte, Sie sind vom Thema abgekommen, meinte Hilde. Der Geheimrat lchelte gutmtig. Hausdamen, die bellen, beien nicht, sagte er. Das dritte Kapitel Mutter Hagedorn und Sohn Am selben Tage, ungefhr zur gleichen Stunde, klopfte Frau Hagedorn in der Mommsenstrae an die Tr ihres Untermieters Franke. Es ist nicht sehr angenehm, in der eigenen Wohnung an fremde Tren klopfen zu mssen. Aber es lt sich nicht immer vermeiden. Am wenigsten, wenn man eine Witwe mit einem groen Sohn und einer kleinen Rente ist und wenn der groe Sohn keine Anstellung findet. Herein! rief Herr Franke. Er sa am Tisch und korrigierte Diktathefte. Saubande! murmelte er. Er meinte seine Schler. Die Lausejungen scheinen manchmal auf den Ohren zu sitzen, statt auf... Vorsicht, Vorsicht, uerte Frau Hagedorn. Ich will das nicht gehrt haben, was Sie beinahe gesagt htten. Wollen Sie eine Tasse Kaffee trinken? Zwei Tassen, sagte Herr Franke. Haben Sie schon die Zeitung gelesen? Die Apfelbckchen der alten Dame glhten. Franke schttelte den Kopf. Sie legte eine Zeitung auf den Tisch. Das Rotangestrichene, meinte sie stolz. Als sie mit dem Kaffee zurckkam, sagte der Untermieter: Ihr Sohn ist ein Mordskerl. Schon wieder einen ersten Preis! In Bruckbeuren ist es sehr schn. Ich bin auf einer Alpenwanderung durchgekommen. Wann geht die Reise los? Schon in fnf Tagen. Ich mu rasch ein paar Hemden fr ihn waschen. Das ist bestimmt wieder so ein pompses Hotel, wo jeder einen Smoking hat. Nur mein Junge mu im blauen Anzug herumlaufen. Vier Jahre trgt er ihn nun. Er glnzt wie Speckschwarte. Der Lehrer schlrfte seinen Kaffee. Das wievielte Preisausschreiben ist das eigentlich, das der Herr Doktor gewonnen hat? Frau Hagedorn lie sich langsam in einem ihrer abvermieteten roten Plschsessel nieder. Das siebente! Da war erstens vor drei Jahren die groe Mittelmeerreise. Die bekam er fr zwei Zeilen, die sich reimten. Na, und dann die zwei Wochen im Palace Hotel von Chteau Neuf. Das war kurz bevor Sie zu uns zogen. Dann die Norddeutsche Seebderreise. Beim Preisausschreiben der Verkehrsvereine. Dann die Gratiskur in Pystian. Dabei war der Junge gar nicht krank. Aber so etwas kann ja nie schaden. Dann der Flug nach Stockholm. Hin und zurck. Und drei Tage Aufenthalt an den Schren. Im letzten Frhjahr vierzehn Tage Riviera. Wo er Ihnen die Karte aus Monte Carlo schickte. Und jetzt die Reise nach Bruckbeuren. Die Alpen im Winter, das ist sicher groartig. Ich freue mich so. Seinetwegen. Fr tagsber hat er ja den Sportanzug. Er mu wieder einmal auf andere Gedanken kommen. Knnten Sie ihm vielleicht Ihren dicken Pullover leihen? Sein Mantel ist ein bichen dnn frs Hochgebirge. Franke nickte. Die alte Frau legte ihre abgearbeiteten Hnde, an denen sie die sieben Erfolge ihres Sohnes hergezhlt hatte, in den Scho und lchelte. Den Brief mit den Freifahrscheinen brachte der Postbote heute frh. Es ist eine bodenlose Schweinerei! knurrte Herr Franke. Ein so talentierter Mensch findet keine Anstellung! Man sollte doch tatschlich ... Vorsicht, Vorsicht! warnte Frau Hagedorn. Er ist heute zeitig fort. Ob er's schon wei? Er wollte sich wieder einmal irgendwo vorstellen. Warum ist er denn nicht Lehrer geworden? fragte Franke. Dann wre er jetzt an irgendeinem Gymnasium, wrde Diktathefte korrigieren und htte sein festes Einkommen. Reklame war schon immer seine Leidenschaft, sagte sie. Seine Doktorarbeit handelte auch davon. Von den psychologischen Gesetzen der Werbewirkung. Nach dem Studium hatte er mehrere Stellungen. Zuletzt mit achthundert Mark im Monat. Weil er so tchtig war. Aber die Firma ging bankrott. Frau Hagedorn stand auf. Nun will ich aber endlich die Hemden einweichen. Und ich werde die Diktate zu Ende korrigieren, erklrte Herr Franke. Hoffentlich reicht die rote Tinte. Mitunter habe ich das dumpfe Gefhl, die Bengels machen nur so viele Fehler, um mich vor der Zeit ins khle Grab zu bringen. Morgen halte ich ihnen eine Strafrede, da sie denken sollen ... Vorsicht, Vorsicht! sagte die alte Dame, steckte die Zeitung wieder ein und segelte in die Kche. Als Doktor Hagedorn heimkam, dmmerte es bereits. Er war mde und verfroren. Guten Abend, sagte er und gab ihr einen Ku. Sie stand am Waschfa, trocknete rasch die Hnde und reichte ihm den Brief der Putzblank-Werke. Bin im Bilde, sagte er. Ich las es in der Zeitung. Wie findest du das? Ist das nicht, um aus der nackten Haut zu fahren? Mit der Anstellung war es brigens wieder Essig. Der Mann geht erst in einem halben Jahr nach Brasilien. Und den Nachfolger haben sie auch schon. Einen Neffen vom Personalchef. Der junge Mann stellte sich an den Ofen und wrmte die steifen Finger. Kopf hoch, mein Junge! sagte die Mutter. Jetzt fhrst du erst einmal zum Wintersport. Das ist besser als gar nichts. Er zuckte die Achseln. Ich war am Nachmittag in den Putzblank-Werken drauen. Mit der S      !"#$%&'()*+,-./0123456789:;<=>?@ABCDEFGHIJKLMNOPQRSTUVWXYZ[\]^_`abcdefghijklmnopqrstuvwxyz{|}~      !"#$%&'()*+,-./0123456789:;<=>?@ABCDEFGHIJKLMNOPQRSTUVWXYZ[\]^_`abcdefghijklmnopqrstuvwxyz{|}~      !"#$%&'()*+,-./0123456789:;<=>?@ABCDEFGHIJKLMNOPQRSTUVWXYZ[\]^_`abcdefghijklmnopqrstuvwxyz{|}~      !"#$%&'()*+,-./0123456789:;<=>?@ABCDEFGHIJKLMNOPQRSTUVWXYZ[\]^_`abcdefghijklmnopqrstuvwxyz{|}~      !"#$%&'()*+-tadtbahn. Der Herr Direktor freute sich auerordentlich, den ersten Preistrger persnlich kennenzulernen, und beglckwnschte mich zu den markanten Stzen, die ich fr ihr Waschpulver und ihre Seifenflocken gefunden htte. Man verspreche sich einen beachtlichen Werbeerfolg davon. Ein Posten sei leider nicht frei. Und warum warst du berhaupt dort? fragte die Mutter. Er schwieg eine Weile. Dann sagte er: Ich machte dem Direktor einen Vorschlag. Seine Firma solle mir statt der Gratisreise eine kleine Barvergtung gewhren. Die alte Frau hielt mit Waschen inne. Es war das bliche Theater, fuhr er fort. Es sei unmglich. Die Abmachungen seien bindend. berdies sei Bruckbeuren ein entzckendes Fleckchen Erde. Besonders im Winter. Er wnsche mir viel Vergngen. Ich trfe dort die beste internationale Gesellschaft und solle ihm eine Ansichtskarte schicken. Er habe keine Zeit, im Winter zu reisen. Er hnge an der Kette. Und ich sei zu beneiden. Es war das bliche Theater? fragte die Mutter. Du hast das schon fter gemacht? Ich habe dir nichts davon erzhlt, sagte er. Du zerbrichst dir wegen deiner paar Groschen den Hinterkopf! Und ich gondle in einem fort quer ber die Landkarte. Gratis und franko nennt man das! Jawohl, Kuchen! Jedesmal, bevor ich losfahre, wandert die Witwe Hagedorn stehenden Fues zur Stdtischen Sparkasse und hebt fnfzig Mark ab. Weil sonst der Herr Sohn kein Geld hat, unterwegs eine Tasse Kaffee oder ein kleines Helles zu bezahlen. Man mu die Feste feiern, wie sie fallen, mein Junge. Nicht arbeiten und nicht verzweifeln, sagte er. Eine Variation ber ein altes Thema. Er machte Licht. Diese Putzblank-Werke gehren dem Tobler, einem der reichsten Mnner, die der Mond bescheint. Wenn man diesen alten Onkel einmal zu fassen kriegte! Nun weine mal nicht, meinte die Mutter. Oder wenn wenigstens du auf meine Fahrkarte verreisen knntest! Du bist dein Leben lang nicht ber Schildhorn und Werder hinausgekommen. Du lgst wie gedruckt, sagte die Mutter. Mit deinem Vater war ich vor dreiig Jahren in Swinemnde. Und mit dir 1910 im Harz. Als du Keuchhusten hattest. Wegen der Luftvernderung. Ferner mchte ich dir mitteilen, da wir noch heute abend ins Kino gehen. Es luft ein Hochgebirgsfilm. Wir nehmen zweites Parkett und werden uns einbilden, wir sen auf dem Matterhorn. Ich nehme die Einladung dankend an, entgegnete er. Und wenn ich jemals Knig von England werden sollte, verleihe ich dir den Hosenbandorden. Das soll meine erste Regierungstat sein. Eventuell erhebe ich dich in den erblichen Adelsstand. Das hngt allerdings davon ab, was es heute abend zu essen gibt. Slze mit Bratkartoffeln, sagte die Mutter. Oha! rief Herr Doktor Hagedorn. Dann wirst du sogar Herzogin von Cumberland. Das ist eine alte, gute Familie. Einer ihrer Vorfahren hat die englische Sauce entdeckt. Vielen Dank, sagte Frau Hagedorn. Werden Majestt den blauen Anzug mitnehmen? Natrlich, meinte er. Es ist einer der glnzendsten Anzge, die es je gegeben hat. Spter zog die Mutter, vom Fensterriegel bis zum oberen Trscharnier, eine Leine und hngte die Oberhemden des siebenfachen Preistrgers zum Trocknen auf. Dann aen sie, am Kchentisch, im Schatten der tropfenden Hemden, Slze mit Bratkartoffeln. Dann brachte die alte Dame dem Lehrer Franke Tee, Teller und Besteck. Und schlielich gingen Mutter und Sohn ins Kino. Es lag in einer verschneiten Seitenstrae und nannte sich grospurig Viktoria-Palast. Zweimal Fremdenloge, verlangte Hagedorn. Fremdenloge gibt es leider bei uns nicht, sagte das Frulein an der Kasse. Wie dumm, wie dumm! meinte er. Nein, ist uns das peinlich! Das verndert die Sachlage gewaltig! Was meinst du, liebe Tante, wollen wir unter diesen Umstnden lieber wieder nach Hause gehen? Ach nein, sagte die Mutter. Nun bin ich schon in Berlin zu Besuch. Nun will ich auch etwas erleben. Whrenddem drckte sie ihm heimlich eine Mark und fnfzig Pfennig in die Hand. Das Frulein dachte nach. Nehmen Sie doch Orchestersitz. Das geht nicht. Wir sind unmusikalisch, sagte er. Wissen Sie was, geben Sie zweimal zweites Parkett! Das ist aber ganz vorn, sagte das Frulein. Das wollen wir hoffen, bemerkte die alte Dame hoheitsvoll. Im Perleberger Stadttheater sitzen wir auch in der ersten Reihe. Wir nehmen stets die vordersten Pltze. Mein Onkel ist nmlich Feuerwehrhauptmann, sagte Doktor Hagedorn erklrend und nickte dem Frulein zu. Er kann sich's leisten. Dann reichte er seiner Mutter den Arm, und sie traten gemessenen Schritts in den dunklen Zuschauerraum. Das vierte Kapitel Gelegenheitskufe An den folgenden Tagen lie sich Geheimrat Tobler wiederholt im Auto nach dem Norden und Osten Berlins fahren. Er besorgte seine Expeditionsausrstung. Die Schlipse, es waren Stcke von prhistorischem Aussehen, erstand er in Tempelhof. Die Hemden kaufte er in der Landsberger Allee. Drei impertinent gestreifte Flanellhemden waren es. Dazu zwei vergilbte Makohemden, etliche steife Vorhemdchen, zwei Paar Rllchen und ein Paar vernickelter Manschettenknpfe, deren jeder ein vierblttriges Kleeblatt vorstellte. In der Neuen Knigstrae kaufte er  besonders billig, wegen Aufgabe des Geschfts  eine Partie Wollsocken. Und in der Mnzstrae derbe rindslederne Stiefel. Am Tag der Abreise erwarb er endlich den Anzug! Das ging hinter dem Schlesischen Bahnhof vor sich. In der Fruchtstrae. Der Laden lag im Keller. Man mute sechs Stufen hinunterklettern. Der Trdler, ein brtiger Greis, breitete einige seiner Schtze auf dem Ladentisch aus. So gut wie nicht getragen, sagte er unsicher. Tobler erblickte zunchst einen verwitterten Cutaway aus Marengo und hatte nicht bel Lust, ihn zu nehmen. Andrerseits war ein Cutaway doch wohl nicht das geeignetste Kostm fr dreiig Zentimeter Neuschnee. Daneben lag ein hellbrauner Jackettanzug. Mit kleinen Karos und groen Fettflecken. Und neben diesem der Anzug, den Tobler schlielich whlte. Die Farbe war vor Jahren violett gewesen. Mit hellen Lngsstreifen. Die Zeit vergeht. Scheulich schn, sagte Tobler. Was kostet das Gewand? Achtzehn Mark, entgegnete der Alte. Es ist der uerste Preis. Der Geheimrat nahm das Jackett vom Bgel und zog es an. Der Rcken spannte. Die rmel waren viel zu kurz. Nehmen Sie den Cutaway! riet der alte Mann. Er kostet zweiundzwanzig Mark, aber die vier Mark Unterschied lohnen sich. Der Stoff ist besser. Sie werden es nicht bereuen. Haben Sie keinen Spiegel? fragte Tobler. Im Hinterzimmer, sagte der Greis. Sie gingen in das Hinterzimmer. Es roch nach Kohl. Der Geheimrat starrte in den Spiegel, erkannte sich dann doch und mute lachen. Gefalle ich Ihnen? fragte er. Der Ladenbesitzer griff, einen Halt suchend, in seinen Bart. Nehmen Sie den Cutaway! Tobler blieb standhaft. Ich nehme das violette Modell, antwortete er. Es soll eine berraschung sein. Insofern haben Sie recht, meinte der Alte. Tobler zog sich wieder an und zahlte. Der Trdler wickelte den Anzug in braunes Packpapier und brachte den Kunden zur Tr. Bevor er ffnete, befhlte er Toblers Gehpelz, pustete fachmnnisch in den Otterkragen und sagte: Wollen Sie den Mantel verkaufen? Ich wrde ihn vielleicht nehmen. Fr hundertzwanzig Mark. Der Geheimrat schttelte den Kopf. Der Cutaway war Ihnen zu teuer, fuhr der alte Mann fort. Sie haben kein Geld. Das kommt bei reichen Leuten fter vor, als arme Leute denken. Na schn. Hundertfnfzig Mark. Bar in die Hand! berlegen Sie sich's! Es ist ein Andenken, sagte Tobler freundlich und ging. Der Trdler blickte ihm nach und sah den schweren Wagen und den Chauffeur, der beflissen den Schlag ffnete. Das Auto fuhr ab. Der alte Mann legte ein Brikett nach und trat vor ein Vogelbauer, das hinterm Ladentisch an der Wand hing. Verstehst du das? fragte er den kleinen gelben Kanarienvogel. Ich auch nicht. In Toblers Arbeitszimmer sah es bengstigend aus. Neben den Neuanschaffungen lagen Gegenstnde, die der Geheimrat auf dem Oberboden in staubigen Truhen und knarrenden Schrnken entdeckt hatte. Ein Paar verrostete Schlittschuhe. Ein warmer Sweater, der aussah, als habe er die Staupe. Eine handgestrickte knallrote Pudelmtze. Ein altmodischer Flauschmantel, graukariert und mindestens aus der Zeit der Kreuzzge. Eine braune Reisemtze. Ein Paar schwarzsamtene Ohrenklappen mit einem verschiebbaren Metallbgel. Ein Spankorb, der lngst ausgedient hatte. Und ein Paar wollene Pulswrmer, die man seinerzeit dem Leutnant der Reserve in den Schtzengraben geschickt hatte. Tobler konnte sich kaum von dem Anblick losreien. Schlielich ging er ins grne Eckzimmer hinber, in dem Johann verdrossen die Anzge probierte, die ihm vor vier Tagen der beste Zuschneider Berlins angemessen hatte. Die letzten kleinen Schnheitsfehler waren beseitigt worden, und der Geschftsfhrer der weltbekannten Firma, der sich persnlich in die Grunewaldvilla bemht hatte, lie es an begeisterten Zwischenrufen nicht fehlen. Johann stand wie ein unschuldig Angeklagter vor dem Pfeilerspiegel. Er lie sich nacheinander die Jacketts, den Smoking, die Skijoppe und den Frack anziehen, als seien es lauter Zwangsjacken. Als der biedere grauhaarige Diener zum Schlu im Frack dastand, breitschultrig und schmalhftig, ri es den Millionr hin. Johann, rief er, Sie gleichen einem Botschafter! Ich glaube nicht, da ich mich je wieder trauen werde, mir von Ihnen die Schuhe putzen zu lassen. Der Diener wandte sich um. Es ist eine Snde, Herr Geheimrat. Sie werfen das Geld zum Fenster hinaus. Ich bin verzweifelt. Der Schneider meinte, das sei ihm, wenn man ihm die Bemerkung gestatten wolle, noch nicht vorgekommen. Sie reden, wie Sie es verstehen, sagte der Diener. Das konnte der Herr nicht abstreiten, und dann empfahl er sich. Als er drauen war, fragte Johann den Geheimrat: Gibt es in Bruckbeuren eigentlich Kostmfeste? Selbstverstndlich. In solchen Wintersporthotels ist dauernd etwas los. Johann zog den Frack aus. Wollen Sie sich denn kostmieren? fragte Tobler erstaunt. Als was denn? Johann zog die Livreejacke an und sagte sehnschtig: Als Diener! Nach dem Abendessen bat der Geheimrat die anderen, ihm zu folgen. Seine Tochter, Frau Kunkel und Johann begleiteten ihn zgernd. Er ffnete die Tr des Arbeitszimmers und schaltete das Licht ein. Anschlieend herrschte minutenlanges Schweigen. Die Schreibtischuhr tickte. Die Kunkel wagte sich als erste ins Zimmer. Langsam nherte sie sich dem violett gewesenen Anzug aus der Fruchtstrae. Sie befhlte ihn so vorsichtig, als frchte sie, er knne beien. Sie schauderte und wandte sich den gestreiften Flanellhemden zu. Von einem der Sthle hob sie die steifen Manschetten und blickte entgeistert auf die vier blttrigen Manschettenknpfe. Die gestrkten Vorhemden gaben ihr den Rest. Sie fiel chzend in einen Klubsessel, setzte sich wuchtig auf die dort liegenden Schlittschuhe, fuhr gehetzt in die Hhe, blickte verwirrt um sich und sagte: Das berlebe ich nicht! Halten Sie das, wie Sie wollen! meinte Tobler. Aber vorher packen Sie, bitte, smtliche Sachen in den Spankorb! Sie warf die Arme empor. Niemals, niemals! Er ging zur Tr. Dann werde ich eines der Dienstmdchen rufen. Frau Kunkel gab sich geschlagen. Sie zerrte den Korb auf den Tisch und packte. Die Pudelmtze auch? Der Geheimrat nickte roh. Mehrmals schlo sie sekundenlang die Augen, um nicht zusehen zu mssen, was sie tat. Hilde sagte: bermorgen bist du wieder daheim, lieber Vater. Wieso? Sie werden dich hochkantig hinauswerfen. Ich bin froh, da ich mitfahre, sagte Johann. Vielleicht sollten wir uns Revolver besorgen. Wir knnten uns dann besser verteidigen. Macht euch nicht lcherlich, meinte Tobler. Den Preis, den ich gewann, konnte ebensogut einer gewinnen, der zeitlebens so angezogen ist, wie ich mich zehn Tage lang anziehen werde! Was wre dann? Den wrfen sie auch hinaus, sagte der Diener. Aber der wrde sich nicht darber wundern. Nun habt ihr mich erst richtig neugierig gemacht, erklrte der Geheimrat abschlieend. Wir werden ja sehen, wer recht behlt. Es klopfte. Isolde, das neue Dienstmdchen, trat ein. Herr Generaldirektor Tiedemann wartet unten im Salon. Ich komme gleich, sagte Tobler. Er will Vortrag halten. Als ob ich eine Weltreise machte. Isolde ging. Wo du doch bermorgen wieder zu Hause bist! meinte Hilde. Der Vater blieb an der Tr stehen. Wit ihr, was ich tue, wenn man mich hinauswirft? Sie blickten ihn gespannt an. Dann kaufe ich das Hotel und schmeie die andern hinaus! Als auch Johann gegangen war, meldete Hilde hastig ein dringendes Gesprch mit Bruckbeuren an. Es bleibt kein andrer Ausweg, sagte sie zur Kunkel. Sonst geht morgen abend die Welt unter. Ihr Herr Vater ist leider bergeschnappt, meinte die Hausdame. Womglich schon seit langem, und es ist uns nur nicht aufgefallen. Diese Schlipse! Hoffentlich geht es wieder vorber. Hilde zuckte die Achseln. Sobald das Gesprch da ist, lassen Sie keinen Menschen ins Zimmer! Auer ber Ihre Leiche. Auch dann nicht! versicherte Frau Kunkel tapfer und stopfte den alten, widerwrtigen Flauschmantel in den Korb. Der Raum nahm langsam wieder sein bliches, vornehmes Aussehen an. Man ist ja allerlei von ihm gewhnt, sagte die Hausdame. Wissen Sie noch, wie er vor zwei Jahren, in der Oper, wie hie sie doch gleich, dem Dirigenten den Taktstock wegnahm? Der Geheimrat sa genau hinter dem Kapellmeister, der so schn dirigierte. Und oben auf der Bhne lag ein krankes Frulein im Bett, und der Freund brachte einen Muff, weil sie an den Hnden fror  und fort war das Stckchen! Der Dirigent drehte sich erschrocken um, und die Zuschauer lachten furchtbar. Dabei war es gar kein Lustspiel! Und das alles wegen einer Wette! Hilde blickte ungeduldig aufs Telefon. Hoffentlich hlt ihn der Generaldirektor lange genug fest. Telefonieren Sie doch erst, wenn der Herr Geheimrat abgereist ist! Jetzt oder nie, sagte Hilde. Im Grunde geht es mich berhaupt nichts an. Mein Vater ist alt genug. Ich mache mir Vorwrfe. Die Kunkel schnallte die Korbriemen fest. Ein kleines Kind ist er! Ich wei nicht, woran es liegt. Im Grunde ist er doch ein gescheiter Mensch. Nicht? Und so nett und nobel. Aber pltzlich kriegt er den Rappel. Vielleicht liest er zu viel. Das soll sehr schdlich sein. Nun haben wir die Bescherung. Nun fhrt er als armer Mann in die Alpen. Das Telefon klingelte. Hilde eilte an den Schreibtisch. Es war Bruckbeuren. Die Hotelzentrale meldete sich. Hilde verlangte den Direktor. Es dauerte einige Zeit. Dann sagte Hilde: Sie sind der Direktor des Grandhotels? Sehr angenehm. Hren Sie, bitte, zu! Morgen abend trifft ein Preistrger des Putzblank-Ausschreibens bei Ihnen ein. Der Direktor erklrte, er sei orientiert, und es werde ihm ein Vergngen sein. Die Vorfreude ist die schnste Freude, sagte sie. Dieser Gast wird Ihnen leider Kopfschmerzen verursachen. Er tritt als armer Mann auf, obwohl er Millionr ist. Ein Multimillionr sogar. Der Hoteldirektor dankte tausendmal fr den Hinweis. Dann erkundigte er sich, weswegen ein Multimillionr als armer Mann auftrete. Es ist eine Marotte von ihm, sagte Hilde. Er will die Menschen studieren. Er will ihre Moral auf Herz und Nieren prfen. Ich stehe ihm sehr nahe, und mir liegt daran, da man ihm nicht weh tut. Er ist ein Kind, verstehen Sie? Er darf auf keinen Fall erfahren, da Sie Bescheid wissen. Er mu sich davon berzeugen, da man ihn fr einen armen Teufel hlt und trotzdem behandelt, wie er's gewhnt ist. Der Direktor sagte, das werde sich schon machen lassen. Er fragte dann noch, ob der geheimnisvolle Gast Gepflogenheiten habe, die man auf dezente Weise bercksichtigen knne. Eine gute Idee, meinte sie. Also passen Sie auf! Er lt sich jeden zweiten Tag massieren. Er sammelt Briefmarken. Abends mu ein warmer Ziegelstein in seinem Bett liegen. Am liebsten it er Nudeln mit Rindfleisch oder andere Hausmannskost. Mit Getrnken ist er whlerischer. Franzsischen Kognak liebt er besonders. Was noch? Katzen! sagte Frau Kunkel, welche die Tr fanatisch bewachte. Haben Sie siamesische Katzen? fragte Hilde. Nein? Besorgen Sie ihm einige! Fr sein Zimmer. Ich berweise Ihnen morgen tausend Mark. Der Hoteldirektor meinte, er habe alles notiert. Bezahlung komme natrlich nicht in Frage. Sie seien ein grozgiges Hotel. Bis auf die siamesischen Katzen sei auerdem das Programm kinderleicht zu verwirklichen. Doch auch die siamesischen Katzen ... Der Herr Geheimrat kommt, flsterte Frau Kunkel aufgeregt. Guten Tag, sagte Hilde und legte den Hrer auf. Brandes fuhr sie zum Anhalter Bahnhof. Hilde und die Kunkel kamen mit. Tobler liebte es, wenn seinetwegen Taschentcher geschwenkt wurden. Lieber Johann, meinte er im Auto, vergessen Sie nicht, was ich angeordnet habe. Wir wohnen in Mnchen ein paar Stunden im >Regina<. Morgen mittag verwandle ich mich in Herrn Schulze. Sie besorgen einen Karton und bringen den Anzug, den ich jetzt anhabe, die Wsche, Strmpfe und Schuhe zur Post. Ich verlasse das Mnchner Hotel im Gehpelz. Wir nehmen ein Taxi. Im Taxi ziehe ich Schulzes Flauschmantel an. Und Sie bernehmen Toblers Pelz. Als den Ihrigen. Vom Starnberger Bahnhof ab kennen wir uns nicht mehr. Darf ich wenigstens Ihren Spankorb zum Zug tragen? fragte Johann. Das kann ich selber, sagte Tobler. Im brigen werden wir ab Mnchen in getrennten Kupees reisen. Die reinste Kriminalgeschichte, erklrte Hilde. Nach einer Weile fragte Frau Kunkel: Wie werden Sie das nur aushallen, Herr Geheimrat? Ohne Massage. Ohne Kognak. Ohne den warmen Ziegelstein. Ohne brgerliche Kche. Und ohne Ihre Katzen im Schlafzimmer! Sie zwickte Hilde schelmisch in den Arm. Tobler erklrte: Hren Sie blo damit auf! Mir hngen die alten, lieben Gewohnheiten lngst zum Hals heraus. Ich bin heilfroh, da ich denen endlich einmal entwischen kann. So, so, sagte Frau Kunkel und machte eines ihrer dmmsten Gesichter. Sie kamen ziemlich spt auf den Bahnsteig. Es war gerade noch Zeit, einige berflssige Ermahnungen anzubringen. Und Johann mute, bevor er einstieg, Hilde hoch und heilig versprechen, mindestens jeden zweiten Tag einen ausfhrlichen Bericht zu schicken. Er versprach's und kletterte in den Wagen. Dann fuhr der Zug an. Hilde und Frau Kunkel zckten ihre Taschentcher und winkten. Der Geheimrat nickte vergngt. Schon glitten die nchsten Waggons an den Zurckbleibenden vorber. Und eine kleine, alte Frau, die neben dem Zug hertrippelte, stie mit Hilde zusammen. Willst du dich wohl vorsehen! rief ein junger Mann, der sich aus einem der Fenster beugte. Komm du nur wieder nach Hause, mein Junge! antwortete die alte Frau und drohte mit dem Schirm. Auf Wiedersehen! rief er noch. Hilde und er sahen einander flchtig ins Gesicht. Dann rollte der letzte Wagen vorbei. Der D-Zug Berlin-Mnchen begab sich, stampfend und schimpfend, auf die nchtliche Reise. Es schneite wieder. Man konnte es vom Bahnsteig aus ganz deutlich sehen. Das fnfte Kapitel Grandhotel Bruckbeuren Das Grandhotel in Bruckbeuren ist ein Hotel fr Stammgste. Man ist schon Stammgast, oder man wird es. Andre Mglichkeiten gibt es kaum. Da jemand berhaupt nicht ins Grandhotel gert, ist natrlich denkbar. Da aber jemand ein einziges Mal hier wohnt und dann nie wieder, ist so gut wie ausgeschlossen. So verschieden nun diese Stammgste sein mgen, Geld haben sie alle. Jeder von ihnen kann sich's leisten, die Alpen und ein wei gekacheltes Badezimmer  das gewagte Bild sei gestattet  unter einen Hut zu bringen. Schon im Sptsommer beginnt der Briefwechsel zwischen Berlin und London, zwischen Paris und Amsterdam, zwischen Rom und Warschau, zwischen Hamburg und Prag. Man fragt bei den vorjhrigen Bridgepartnern an. Man verabredet sich mit den altgewohnten Freunden vom Skikurs. Und im Winter findet dann das Wiedersehen statt. Den Stammgsten entspricht ein auerordentlich dauerhaftes Stammpersonal. Die Skilehrer bleiben selbstverstndlich die gleichen. Sie leben ja immerzu in Bruckbeuren. Sie sind im Hauptberuf Bauernshne oder Drechsler oder Besitzer von schummrigen Lden, in denen Postkarten, Zigaretten und seltsame Reiseandenken verkauft werden. Doch auch die Kellner und Kche, Kellermeister und Barkeeper, Chauffeure und Buchhalter, Tanzlehrer und Musiker, Stubenmdchen und Hausburschen kehren zu Beginn der Wintersaison, so gewi wie der Schnee, aus den umliegenden Stdten ins Grandhotel zurck. Nur der eigene Todesfall gilt als einigermaen ausreichende Entschuldigung. Der Geschftsfhrer, Herr Direktor Khne, hat seinen Posten seit zehn Jahren inne. Er zieht zwar den Aufenthalt in Gottes freier Natur dem Hotelberuf bei weitem vor. Aber hat er damit unrecht? Er ist ein vorzglicher Skitourist. Er verschwindet nach dem Frhstck in den Bergen und kommt mit der Dmmerung zurck. Abends tanzt er mit den Damen aus Berlin, London und Paris. Er ist Junggeselle. Die Stammgste wrden ihn sehr vermissen. Er wird wohl Direktor bleiben. Mindestens solange er tanzen kann. Und vorausgesetzt, da er nicht heiratet. Der Hotelbetrieb funktioniert trotzdem tadellos. Das liegt an Polter, dem ersten Portier. Er liebt das Grandhotel wie sein eignes Kind. Und was das Alter anlangt, knnte er tatschlich der Vater sein. Er hat, auer dem tressenreichen Gehrock, einen weien Schnurrbart, ausgebreitete Sprachkenntnisse und beachtliche Plattfe. Sein hochentwickeltes Gerechtigkeitsgefhl hindert ihn daran, zwischen den Gsten und den Angestellten nennenswerte Unterschiede zu machen. Er ist zu beiden gleichermaen streng. So liegen die Dinge.  Nur die Liftboys werden des fteren gewechselt. Das hat nichts mit ihrem Charakter zu tun, sondern lediglich damit, da sie, beruflich gesehen, zu rasch altern. Vierzigjhrige Liftboys machen einen ungehrigen Eindruck. Zwei Dinge sind fr ein Wintersporthotel geradezu unentbehrlich: der Schnee und die Berge. Ohne beides, ja sogar schon ohne eines von beiden, ist der Gedanke, ein Wintersporthotel sein zu wollen, absurd. Auer dem Schnee und den Bergen gehren, wenn auch weniger zwangslufig, natrlich noch andere Gegenstnde hierher. Beispielsweise ein oder mehrere Gletscher. Ein zugefrorener und mglichst einsam gelegener Gebirgssee. Mehrere stille Waldkapellen. Hochgelegene, schwer zu erreichende Almhfe mit Stallgeruch, Liegesthlen, Schankkonzession und lohnendem Rundblick. Schweigsame, verschneite Tannenwlder, in denen dem Spaziergnger Gelegenheit geboten wird, anllich herunterstrzender ste zu erschrecken. Ein zu Eis erstarrter, an einen riesigen Kristallster erinnernder Wasserfall. Ein anheimelndes, gut geheiztes Postamt unten im Ort. Und, wenn es sich irgend machen lt, eine Drahtseilbahn, die den Naturfreund bis ber die Wolken hinaus auf einen strahlenden Gipfel befrdert. Dort oben verliert dann der Mensch, vor lauter Glck und Panorama, den letzten Rest von Verstand, bindet sich Bretter an die Schuhe und saust durch Harsch und Pulverschnee, ber Eisbuckel und verwehte Weidezune hinweg, mit Sprngen, Bgen, Kehren, Strzen und Schufahrten zu Tale. Unten angekommen, gehen die einen ins Wintersporthotel zum Fnfuhrtee. Die anderen bringt man zum Arzt, der die gebrochenen Gliedmaen eingipst und die Koffer der Patienten aus dem Hotel in seine sonnig gelegene Privatklinik bringen lt. Erstens verdienen hierdurch die rzte ihren Unterhalt. Und zweitens werden Hotelzimmer fr neueingetroffene Gste frei. Natura non facit saltus. Jene Touristen, die wohlbehalten ins Hotel zurckgekommen sind, bestellen Kaffee und Kuchen, lesen Zeitungen, schreiben Briefe, spielen Bridge und tanzen. All dies verrichten sie, ohne sich vorher umgekleidet zu haben. Sie tragen noch immer ihre blauen Norwegeranzge, ihre Pullover, ihre Schals und die schweren, beschlagenen Stiefel. Wer gut angezogen ist, ist ein Kellner. Tritt man abends, zur Essenszeit oder noch spter in das Hotel, so wird man sich zunchst berhaupt nicht auskennen. Die Gste sind nicht mehr dieselben. Sie heien nur noch genauso wie vorher. Die Herren paradieren in Fracks und Smokings. Die Damen schreiten und schweben in Abendkleidern aus Berlin, London und Paris, zeigen den offiziell zugelassenen Teil ihrer Reize und lcheln bestrickend. So mancher blonde Jngling, den man droben am Martinskogel die Schneeschuhe Wachsein sah, stellt sich, bei elektrischem Licht besehen, als aufregend schnes, bewundernswert gekleidetes Frulein heraus. Dieser mrchenhafte Wechsel zwischen Tag und Abend, zwischen Sport und Bal par, zwischen schneidender Schneeluft und sanftem Parfm ist das seltsamste Erlebnis, das die Wintersporthotels dem Gast gewhren. Die lange entbehrte Natur und die nicht lange zu entbehrende Zivilisation sind in Einklang gebracht. Es gibt Menschen, die das nicht mgen. Insofern handelt es sich um eine Frage des Geschmacks. Und es gibt Menschen, die es nicht knnen. Das ist eine Geldfrage. Im Grandhotel Bruckbeuren erwartete man den telefonisch angekndigten, geheimnisvollen Multimillionr. In wenigen Stunden wrde er dasein. Herr Khne, der Direktor, hatte eine Skipartie nach dem Stiefel-Joch abgesagt. Auerordentliche Umstnde verlangen ungewhnliche Opfer. Und die Mareks, Sohn und Tochter eines bhmischen Kohlenmagnaten, waren mit Sullivan  einem englischen Kolonialoffizier, der jeden Europaurlaub in Bruckbeuren verbrachte  allein losgezogen. Ohne ihn! Ohne Karl den Khnen, wie ihn die Stammgste nannten! Es war schauderhaft. Er rannte seit dem Lunch, vom Portier Polter mibilligend betrachtet, aus einer Ecke des Hotels in die andere. Er schien allen Eifer, den er dem Unternehmen schuldig geblieben war, in einem Tag abdienen zu wollen. Schon am frhen Morgen hatte er das gesamte Personal informiert. (Im Verandasaal, wo die Angestellten, bevor die ersten Gste aus den Zimmern kommen, ihr Frhstck einnehmen.) Mal herhren! hatte er geuert. Heute abend trifft ein ziemlich schwerer Fall ein. Ein armer Mann, der ein Preisausschreiben gewonnen hat. Dafr kriegt er von uns Kost und Logis. Andrerseits ist er aber gar kein armer Mann. Sondern ein hochgradiger Millionr. Und auerdem ein groes Kind. Nicht auerdem. Er selber ist das Kind. Aus diesem Grunde will er die Menschen kennenlernen. Einfach tierisch! Aber wir werden ihm seine Kindereien versalzen. Ist das klar? Nein, hatte der Kellermeister kategorisch erklrt. Und die anderen hatten gelacht. Karl der Khne war versuchsweise deutlicher geworden. Unser armer Millionr wird im Appartement 7 untergebracht. Bitte, sich das einzuprgen! Er wird frstlich behandelt, und Nudeln und Rindfleisch mag er am liebsten. Trotzdem darf er nicht merken, da wir wissen, wer er ist. Wissen wir ja auch nicht. Verstanden? Nein, hatte Jonny, der Barmixer, geantwortet. Der Direktor war rot angelaufen. Damit wir uns endlich besser verstehen, schlage ich folgendes vor: Wer Quatsch macht, fliegt raus! Damit war er gegangen. Die siamesischen Katzen trafen am Nachmittag ein. Aus einer Mnchner Tierhandlung. Expre und mit einer ausfhrlichen Gebrauchsanweisung. Drei kleine Katzen! Sie hpften frhlich im Appartement 7 hin und wieder, balgten sich zrtlich, ttowierten die Stubenmdchen und hatten, bereits nach einer Stunde, zwei Gardinen und einen Gobelinsessel erlegt. Onkel Polter, der Portier, sammelte Briefmarken. Der ausgebreitete Briefwechsel der Stammgste erleichterte dieses Amt. Schon hatte er Marken aus Java, Guinea, Kapstadt, Grnland, Barbados und Mandschuko in der Schublade aufgestapelt. Der Masseur war fr den nchsten Vormittag bestellt. Eine Flasche Kognak, echt franzsisches Erzeugnis, schmckte die marmorne Nachttischplatte. Der Ziegelstein, der abends warm und, in wollene Tcher gehllt, am Fuende des Betts liegen wrde, war auch gefunden. Die Vorstellung konnte beginnen! Whrend des Fnfuhrtees in der Hotelhalle erfuhr Karl der Khne eine ergreifende Neuigkeit: die Stammgste wuten schon alles! Erst hielt Frau Stilgebauer, die wuchtige Gattin eines Staatssekretrs, den Direktor fest und wollte den Namen des armen Reichen wissen. Dann wurde Khne, beim Durchqueren des Bridgesalons, von smtlichen Spielern berfallen und nach ungeahnten Einzelheiten ausgefragt. Und schlielich verstellte ihm, auf der Treppe zum ersten Stock, Frau von Mallebr, eine eroberungslustige, verheiratete Wienerin, den Weg und interessierte sich fr das Alter des Millionrs. Khne machte unhflich kehrt und rannte zum Portier Polter, der, hinter seiner Ladentafel am Hoteleingang, gerade einen greren Posten Ansichtskarten verkaufte. Der Direktor mute warten. Endlich kam er an die Reihe. Einfach tierisch! stie er hervor. Die Gste wissen es schon! Das Personal mu getratscht haben. Nein, das Personal nicht, sagte Onkel Polter. Sondern Baron Keller. Und woher wei es der Baron? Von mir natrlich, sagte Onkel Polter. Ich habe ihn aber ausdrcklich gebeten, es nicht weiterzuerzhlen. Sie wissen ganz genau, da er tratscht, meinte Khne wtend. Deswegen habe ich's ihm ja mitgeteilt, erwiderte der Portier. Der Direktor wollte antworten. Aber Mister Bryan kam gerade, vollkommen verschneit und mit Eiszapfen im Bart, von drauen und verlangte Schlssel, Post und Zeitungen. Onkel Polter war noch langsamer als sonst. Als Bryan weg war, knurrte Khne: Sind Sie wahnsinnig? Nein, bemerkte der Portier und machte sorgfltig eine Eintragung in seinem Notizbuch. Karl der Khne schnappte nach Luft. Wollen Sie die Gte haben und antworten? Onkel Polter reckte sich. Er war grer als der Direktor. Das heit: in Wirklichkeit war er kleiner. Aber hinter seiner Portiertheke befand sich ein Podest. Und vielleicht war Polter nur deswegen so streng. Vielleicht wre er ohne Podest ein andrer Mensch geworden. (Das ist freilich nur eine Vermutung.) Die Stammgste muten informiert werden, sagte er. Da gibt's gar keinen Streit. Erstens sinkt das Barometer, und wenn die Leute ein paar Tage nicht skifahren knnen, werden sie rammdsig. Der Millionr ist eine groartige Abwechslung. Zweitens sind nun Beschwerden unmglich gemacht worden. Stellen Sie sich geflligst vor, die Gste wrden den Mann hinausekeln, weil sie ihn fr einen armen Teufel hielten! Er knnte unser Hotel glatt zugrunde richten. Geld genug hat er ja. Karl der Khne drehte sich um und ging ins Bro. Der Portier begrte jetzt den Skikursus fr Fortgeschrittene. Sie waren mit dem Murner Alois vom Pichelstein nach St. Kilian abgefahren und hatten den letzten Autobus versumt, weil die Marchesa di Fiori versehentlich gegen ein Wildgatter gesaust war. Es war zwar nichts passiert. Aber die Dame hatte auf freiem Felde einen Weinkrampf gekriegt. Und nun kamen sie alle, verfroren und mde, angestolpert. Der Murner Alois zwinkerte zum Portier hinber, und Onkel Polter nickte ein wenig. Sie waren sich einig: Diese Leute hatten eine einzige Entschuldigung. Sie waren reich. Das sechste Kapitel Zwei Miverstndnisse Der Mnchner Abendschnellzug hielt in Bruckbeuren. Zirka dreiig Personen stiegen aus und versanken, vllig berrascht, bis an die Knie in Neuschnee. Sie lachten. Aus dem Gepckwagen wurden Schrankkoffer gekippt. Der Zug fuhr weiter. Dienstleute, Hotelchauffeure und Hausburschen bernahmen das Gepck und schleppten es auf den Bahnhofsplatz hinaus. Die Ankmmlinge stapften hinterher und kletterten vergngt in die wartenden Autobusse und Pferdeschlitten. Herr Johann Kesselhuth aus Berlin blickte besorgt zu einem rmlich gekleideten lteren Mann hinber, der einsam im tiefen Schnee stand und einen ldierten Spankorb trug. Wollen Sie ins Grandhotel? fragte ein Chauffeur. Zgernd stieg Herr Kesselhuth in den Autobus. Hupen und Peitschen erklangen. Dann lag der Bahnhofsplatz wieder leer. Nur der arme Mann stand auf dem alten Fleck. Er blickte zum Himmel hinauf, lchelte kindlich den glitzernden Sternen zu, holte tief Atem, hob den Spankorb auf die linke Schulter und marschierte die Dorfstrae entlang. Es gab weder Fusteig noch Fahrweg, es gab nichts als Schnee. Zunchst versuchte der arme Mann in den breiten glatten Reifenspuren der Autobusse zu laufen. Doch er rutschte aus. Dann steckte er den rechten Fu in eine Schneewehe  vorsichtig, als steige er in ein womglich zu heies Bad  und stiefelte nun, zum uersten entschlossen, vorwrts. Hierbei pfiff er. Die Straenlaternen trugen hohe weie Schneemtzen. Die Gartenzune waren zugeweht. Auf den verschneiten Dchern der niedrigen Gebirgshuser lagen groe Steine. Herr Schulze glaubte die Berge zu spren, die ringsum unsichtbar in der Dunkelheit lagen. Er pfiff brigens  Der Mai ist gekommen . Der Autobus bremste und stand still. Etliche Hausdiener bugsierten die Koffer vom Verdeck. Ein Liftboy ffnete einen Trflgel und salutierte. Die spten Gste betraten das Hotel. Onkel Polter und der Direktor verbeugten sich und sagten: Herzlich willkommen! Die Halle war von Neugierigen erfllt. Sie warteten auf das Abendessen und auf den Sonderling und boten einen festlichen Anblick. Ein schsisches Ehepaar, Chemnitzer Wirkwaren, und eine rassige Dame aus Polen wurden, da sie ihre Zimmer vorausbestellt hatten, sofort vom Empfangschef zum Fahrstuhl geleitet. Herr Johann Kesselhuth und ein junger Mann mit einem schbigen Koffer und einem traurigen Herbstmntelchen blieben brig. Kesselhuth wollte dem jungen Mann den Vortritt lassen. Unter gar keinen Umstnden, sagte der junge Mann. Ich habe Zeit. Herr Kesselhuth dankte und wandte sich dann an den Portier. Ich mchte ein schnes sonniges Zimmer haben. Mit Bad und Balkon. Der Direktor meinte, die Auswahl sei nicht mehr allzu gro. Onkel Polter studierte den Hotelplan und glich einem leberkranken Strategen. Der Preis spielt keine Rolle, erklrte Herr Kesselhuth. Dann wurde er rot. Der Portier berhrte die Bemerkung. Zimmer 31 ist noch frei. Es wird Ihnen bestimmt gefallen. Wollen Sie, bitte, das Anmeldeformular ausfllen? Herr Kesselhuth nahm den dargebotenen Tintenstift, sttzte sich auf die Theke und notierte voller Sorgfalt seine Personalien. Nun hefteten sich die Blicke aller brigen endgltig auf den jungen Mann und prften seinen trbseligen Mantel. Karl der Khne hstelte vor Aufregung. Womit knnen wir Ihnen dienen? fragte der Direktor. Der junge Mann zuckte die Achseln, lchelte unentschlossen und sagte: Tja, mit mir ist das so eine Sache. Ich heie Hagedorn und habe den ersten Preis der Putzblank-Werke gewonnen. Hoffentlich wissen Sie Bescheid. Der Direktor verbeugte sich erneut. Wir wissen Bescheid, sagte er beziehungsvoll. Herzlich willkommen unter unserm Dach! Es wird uns eine Ehre sein, Ihnen den Aufenthalt so angenehm wie mglich zu machen. Hagedorn stutzte. Er sah sich um und merkte, da ihn die abendlich gekleideten Gste neugierig anstarrten. Auch Herr Kesselhuth hatte den Kopf gehoben. Welches Zimmer war doch gleich fr Herrn Hagedorn vorgesehen? fragte Khne. Ich denke, wir geben ihm das Appartement 7, sagte der Portier. Der Direktor nickte. Der Hausdiener ergriff Hagedorns Koffer und fragte: Wo ist das groe Gepck des Herrn? Nirgends, erwiderte der junge Mann. Was es so alles gibt! Der Portier und der Direktor lchelten lieblich. Sie werden sich jetzt gewi vom Reisestaub reinigen wollen, sagte Karl der Khne. Drfen wir Sie nachher zum Abendessen erwarten? Es gibt Nudeln mit Rindfleisch. Das allein wre kein Hinderungsgrund, sagte der junge Mann. Aber ich bin satt. Herr Kesselhuth sah wieder vom Anmeldeformular hoch und machte groe Augen. Der Hausdiener nahm den Schlssel und ging mit dem Koffer zum Lift. Aber wir sehen Sie doch nachher noch? fragte der Direktor werbend. Natrlich, sagte Hagedorn. Dann suchte er eine Ansichtskarte aus, lie sich eine Briefmarke geben, bezahlte beides, obwohl der Portier anzuschreiben versprach, und wollte gehen. Ehe ich's vergesse, sagte Onkel Folter hastig. Interessieren Sie sich fr Briefmarken? Er holte das Kuvert heraus, in dem er die auslndischen Marken aufbewahrt hatte, und breitete die bunte Pracht vor dem jungen Mann aus. Hagedorn betrachtete das Gesicht des alten Portiers. Dann unterzog er hflich die Briefmarken einer flchtigen Musterung. Er verstand nicht das geringste davon. Ich habe keine Kinder, sagte er. Aber vielleicht kriegt man welche. Darf ich also weitersammeln? fragte Onkel Polter. Hagedorn steckte die Marken ein. Tun Sie das, meinte er. Es ist ja wohl ungefhrlich. Dann ging er, vom strahlenden Direktor gefhrt, zum Fahrstuhl. Die Stammgste, an deren Tischen er vorbeimute, glotzten ihn an. Er steckte die Hnde in die Manteltaschen und zog ein trotziges Gesicht. Herr Johann Kesselhuth legte, vllig geistesabwesend, sein ausgeflltes Anmeldeformular beiseite. Wieso sammeln Sie fr diesen Herrn Briefmarken? fragte er. Und warum gibt es seinetwegen Nudeln mit Rindfleisch? Onkel Folter gab ihm den Schlssel und meinte: Es gibt komische Menschen. Dieser junge Mann zum Beispiel ist ein Millionr. Wrden Sie das fr mglich halten? Es stimmt trotzdem. Er darf nur nicht wissen, da wir es wissen. Denn er will als armer Mann auftreten. Er hofft, schlechte Erfahrungen zu machen. Das wird ihm aber bei uns nicht gelingen. Haha! Wir wurden telefonisch auf ihn vorbereitet. Ein reizender Mensch, sagte der Direktor, der vom Lift zurckgekehrt war. Auerordentlich sympathisch. Und er spielt seine Rolle gar nicht ungeschickt. Ich bin gespannt, was er zu den siamesischen Katzen sagen wird! Herr Kesselhuth klammerte sich an der Theke fest. Siamesische Katzen? murmelte er. Der Portier nickte stolz. Drei Stck. Auch das wurde uns gestern per Telefon angeraten. Genau wie das Briefmarkensammeln. Herr Kesselhuth starrte blo zur Hoteltr hinber. Sollte er ins Freie strzen und den zweiten armen Mann, der im Anmarsch war, zur Umkehr bewegen? Ein Schwrm Gste kam angerckt. Ein bezaubernder Bengel, rief Frau Casparius, eine muntere Bremerin. Frau von Mallebr warf ihr einen bsen Blick zu. Die Dame aus Bremen erwiderte ihn. Wie heit er denn nun eigentlich? fragte Herr Lenz, ein dicker Klner Kunsthndler. Doktor Fritz Hagedorn, sagte Johann Kesselhuth automatisch. Daraufhin schwiegen sie alle. Sie kennen ihn? rief Direktor Khne begeistert. Das ist ja groartig! Erzhlen Sie mehr von ihm! Nein. Ich kenne ihn nicht, sagte Herr Johann Kesselhuth. Die anderen lachten. Frau Casparius drohte schelmisch mit dem Finger. Johann Kesselhuth wute nicht aus noch ein. Er ergriff seinen Zimmerschlssel und wollte fliehen. Man versperrte ihm den Weg. Hundert Fragen schwirrten durch die Luft. Man stellte sich vor und schttelte ihm die Hand. Er nannte in einem fort seinen Namen. Lieber Herr Kesselhuth, sagte schlielich der dicke Herr Lenz. Es ist gar nicht nett von Ihnen, da Sie uns so zappeln lassen. Dann erklang der Gong. Die Gruppe zerstreute sich. Denn man hatte Hunger. Kesselhuth setzte sich gebrochen an einen Tisch in der Halle, hatte Falten der Qual auf der Stirn und wute keinen Ausweg. Eins stand fest. Frulein Hilde und die dmliche Kunkel hatten gestern abend telefoniert. Siamesische Katzen in Hagedorns Zimmer! Das konnte reizend werden. Der arme Mann, der Volkslieder pfeifend, seinen Spankorb durch den Schnee schleppte, hatte kalte, nasse Fe. Er blieb stehen und setzte sich chzend auf den Korb. Drben auf einem Hgel lag ein groes schwarzes Gebude mit zahllosen erleuchteten Fenstern. Das wird das Grandhotel sein, dachte er. Ich sollte lieber in einen kleinen verrucherten Gasthof ziehen, statt in diesen idiotischen Steinbaukasten dort oben. Dann aber fiel ihm ein, da er ja die Menschen kennenlernen wollte. So ein Bldsinn! sagte er ganz laut. Ich kenne die Brder doch lngst. Dann bckte er sich und machte einen Schneeball. Er hielt ihn lange in beiden Hnden. Sollte er ihn nach einer Laterne werfen? Wie vor einigen Tagen die beiden Knirpse in der Lietzenburger Strae? Oder wie er selber, vor vierzig Jahren? Herr Schulze fror an den Fingern. Er lie den kleinen weien Schneeball unbenutzt fallen. Ich trfe ja doch nicht mehr, dachte er melancholisch. Versptete Skifahrer kamen vorber. Sie strebten hgelwrts. Zum Grandhotel. Er hrte sie lachen und stand auf. Die rindsledernen Stiefel drckten. Der Spankorb war schwer. Der violette Anzug aus der Fruchtstrae kniff unter den Armen. Ich knnte mir selber eine runterhauen, sagte er gereizt und marschierte weiter. Als er in das Hotel trat, standen die Skifahrer bei dem Portier, kauften Zeitungen und betrachteten ihn befremdet. Aus einem Stuhl erhob sich ein elegant gekleideter Herr. Ach nein. Das war ja Johann! Kesselhuth nherte sich bedrckt. Flehend sah er zu dem armen Mann hin. Aber die Blicke prallten ab. Herr Schulze setzte den Spankorb nieder, drehte dem Hotel den Rcken und studierte ein Plakat, auf dem zu lesen war, da am bernchsten Abend in smtlichen Rumen des Grandhotels ein Lumpenball stattfinden werde. Da brauch ich mich wenigstens nicht erst umzuziehen, dachte er voller Genugtuung. Die Skifahrer verschwanden polternd und stolpernd im Fahrstuhl. Der Portier musterte die ihm dargebotene Kehrseite des armen Mannes und sagte: Hausieren verboten! Dann wandte er sich an Kesselhuth und fragte nach dessen Wnschen. Kesselhuth sagte: Ich mu ab morgen skifahren. Ich wei nicht, wie man das macht. Glauben Sie, da ich's noch lernen werde? Aber natrlich! meinte Onkel Polter. Das haben hier noch ganz andere gelernt. Sie nehmen am besten beim Graswander Toni Privatstunden. Da kann er sich Ihnen mehr widmen. Auerdem ist es angenehmer, als wenn Ihnen, im groen Kursus, bei dem ewigen Hinschlagen dauernd dreiig Leute zuschauen. Johann Kesselhuth wurde nachdenklich. Wer schlgt hin? fragte er zgernd. Sie! stellte der Portier fest. Der Lnge nach. Der Gast kniff die Augen klein. Ist das sehr gefhrlich? Kaum, meinte der Portier. Auerdem haben wir ganz hervorragende rzte in Bruckbeuren! Der Sanittsrat Doktor Zwiesel zum Beispiel ist wegen seiner Heilungen komplizierter Knochenbrche geradezu weltberhmt. Die Beine, die in seiner Klinik waren, schauen hinterher viel schner aus als vorher! Ich bin nicht eitel, sagte der Gast. Hierber mute der arme Mann, der inzwischen smtliche Anschlge studiert hatte, laut lachen. Dem Portier, der den Kerl vergessen hatte, trat nunmehr, Schritt fr Schritt, die Galle ins Blut. Wir kaufen nichts! Sie sollen gar nichts kaufen, bemerkte der arme Mann, Was wollen Sie denn dann hier? Der aufdringliche Mensch trat nher und sagte sonnig: Wohnen! Der Portier lchelte mitleidig: Das drfte Ihnen um ein paar Mark zu teuer sein. Gehen Sie ins Dorf zurck, guter Mann! Dort gibt es einfache Gasthuser mit billigen Touristenlagern. Vielen Dank, entgegnete der andere. Ich bin kein Tourist. Sehe ich so aus? brigens ist das Zimmer, das ich bei Ihnen bewohnen werde, noch viel billiger. Der Portier blickte Herrn Kesselhuth an, schttelte, dessen Einverstndnis voraussetzend, den Kopf und sagte, gewissermaen abschlieend: Guten Abend! Na endlich! meinte der arme Mann. Es wurde langsam Zeit, mich zu begren. Ich htte in diesem Hotel bessere Manieren erwartet. Onkel Polter wurde dunkelrot und zischte: Hinaus! Aber sofort! Sonst lasse ich Sie expedieren! Jetzt wird mir's zu bunt! erklrte der arme Mann entschieden. Ich heie Schulze und bin der zweite Gewinner des Preisausschreibens. Ich soll zehn Tage im Grandhotel Bruckbeuren kostenlos verpflegt und beherbergt werden. Hier sind die Ausweispapiere! Onkel Polter begann, ohne es selber zu merken, leichte Verbeugungen zu machen. Er verstand die Welt nicht mehr. Anschlieend kam er hinter seiner Ladentafel hervor, stieg von seinem Podest herab, wurde auffallend klein, murmelte: Einen Augenblick, bitte! und trabte zum Bro, um den Direktor zu holen. Einfach tierisch! wrde Khne sagen. Schulze und Kesselhuth waren, vorbergehend, allein. Herr Geheimrat, meinte Johann verzweifelt, wollen wir nicht lieber wieder abreisen? Schulze war offenbar taub. Es ist etwas Schreckliches geschehen, flsterte Johann. Stellen Sie sich vor: als ich vorhin ankam ... Noch ein Wort, sagte der Geheimrat, und ich erschlage Sie mit der bloen Hand! Es klang absolut berzeugend. Auf die Gefahr hin ... begann Johann. Doch da ffnete sich die Fahrstuhltr, und Herr Hagedorn trat heraus. Er steuerte auf die Portierloge zu und hielt eine Postkarte in der Hand. Fort mit Ihnen! flsterte Schulze. Herr Kesselhuth gehorchte und setzte sich, um in der Nhe zu bleiben, an einen der Tische, die in der Halle standen. Er sah schwarz. Gleich wrden der Millionr, den man hier fr einen armen Mann hielt, und der arme Mann, den man hier fr einen Millionr hielt, aufeinandertreffen! Die Miverstndnisse zogen sich ber dem Hotel wie ein Gewitter zusammen! Der junge Mann bemerkte Herrn Schulze und machte eine zuvorkommende Verbeugung. Der andere erwiderte den stummen Gru. Hagedorn sah sich suchend um. Entschuldigen Sie, sagte er dann. Ich bin eben erst angekommen. Wissen Sie vielleicht, wo der Hotelbriefkasten ist? Auch ich bin eben angekommen, erwiderte der arme Mann. Und der Briefkasten befindet sich hinter der zweiten Glastr links. Tatschlich! rief Hagedorn, ging hinaus, warf die Karte an seine Mutter ein, kam zufrieden zurck und blieb neben dem andern stehen. Sie haben noch kein Zimmer? Nein, entgegnete der andere. Man scheint im unklaren, ob man es berhaupt wagen kann, mir unter diesem bescheidenen Dach eine Unterkunft anzubieten. Hagedorn lchelte. Hier ist alles mglich. Wir sind, glaube ich, in ein ausgesprochen komisches Hotel geraten. Falls Sie den Begriff Komik sehr weit fassen, haben Sie recht. Der junge Mann betrachtete sein Gegenber lange. Dann sagte er: Seien Sie mir nicht allzu bse, mein Herr! Aber ich mchte fr mein Leben gern raten, wie Sie heien. Der andere trat einen groen Schritt zurck. Wenn ich beim erstenmal daneben rate, geb ich's auf, erklrte der junge Mann. Ich habe aber eine so ulkige Vermutung. Und weil der ltere nicht antwortete, redete er weiter. Sie heien Schulze! Stimmt's? Der andere war ehrlich betroffen. Es stimmt, sagte er. Ich heie Schulze. Aber woher wissen Sie das? Wie? Ich wei noch mehr, behauptete der junge Mann. Sie haben den zweiten Preis der Putzblank-Werke gewonnen. Sehen Sie! Ich gehre nmlich zu den Kleinen Propheten! Und jetzt mssen Sie raten, wie ich heie. Schulze dachte nach. Dann erhellte sich sein Gesicht. Er strahlte frmlich und rief: Ich hab's! Sie heien Hagedorn! Jawoll ja, sagte der Jngere. Von uns kann man lernen. Sie lachten und schttelten einander die Hand. Schulze setzte sich auf seinen Spankorb und bot auch Hagedorn ein Pltzchen an. So saen sie, im trauten Verein, und gerieten umgehend in ein profundes Gesprch ber Reklame. Und zwar ber die Wirkungsgrenze origineller Formulierungen. Es war, als kennten sie einander bereits seit Jahren. Herr Johann Kesselhuth, der sich eine Zeitung vors Gesicht hielt, um an dem Blatt vorbeischauen zu knnen, staunte. Dann fing er an, einen Plan zu schmieden. Und schlielich begab er sich mit dem Lift ins zweite Stockwerk, um zunchst sein Zimmer, mit Bad und Balkon, kennenzulernen und die Koffer auszupacken. Damit die neuen Anzge nicht knitterten. Als Khne und Polter, nach eingehender Beratung, die Halle durchquerten, saen die beiden Preistrger noch immer auf dem durchnten, altersschwachen Spankorb und unterhielten sich voller Feuer. Der Portier erstarrte zur Salzsule und hielt den Direktor am Smoking fest. Da! stie er hervor. Sehen Sie sich das an! Unser verkappter Millionr mit Herrn Schulze als Denkmal! Als Goethe und Schiller! Einfach tierisch! behauptete Karl der Khne. Das hat uns noch gefehlt! Ich transportiere den Schulze in die leerstehende Mdchenkammer. Und Sie deuten dem kleinen Millionr an, wie peinlich es uns ist, da er, ausgerechnet in unserem Hotel, einen richtiggehend armen Mann kennenlernen mute. Da wir den Schulze nicht einfach hinausschmeien knnen, wird er einsehen. Immerhin, vielleicht geht der Bursche morgen oder bermorgen freiwillig. Hoffentlich! Er vergrault uns sonst die andern Stammgste! Der Herr Doktor Hagedorn ist noch ein Kind, sagte der Portier nicht ohne Strenge. Das Frulein, das aus Berlin anrief, hat recht gehabt. Bringen Sie schnell den Schulze auer Sehweite! Bevor die Gste aus den Speiseslen kommen. Sie gingen weiter. Willkommen! sagte Direktor Khne zu Herrn Schulze. Darf ich Ihnen Ihr Zimmer zeigen? Die beiden Preistrger erhoben sich. Schulze ergriff den Spankorb. Hagedorn sah Schulze freundlich an. Lieber Herr Schulze, ich sehe Sie doch noch ? Der Direktor griff ein. Herr Schulze wird von der langen Reise mde sein, behauptete er. Da irren Sie sich aber ganz gewaltig, meinte Schulze. Und zu Hagedorn sagte er: Lieber Hagedorn, wir sehen uns noch. Dann folgte er dem Direktor zum Lift. Der Portier legte sehr viel vterliche Gte in seinen Blick und sagte zu dem jungen Mann: Entschuldigen Sie, Herr Doktor! Es tut uns leid, da ausgerechnet dieser Gast der erste war, den Sie kennenlernten. Hagedorn verstand nicht ganz. Mir tut es gar nicht leid! Herr Schulze pat, wenn ich so sagen darf, nicht in diese Umgebung. Ich auch nicht, erklrte der junge Mann. Onkel Folter schmunzelte: Ich wei, ich wei. Noch etwas, sagte Hagedorn. Gibt es hier in allen Zimmern Tiere? Er legte seine Hnde auf die Theke. Sie waren zerkratzt und rotfleckig. Tiere? Der Portier starrte versteinert auf die beiden Handrcken. In unserm Hotel gibt es Tiere? Sie haben mich offenbar miverstanden, erwiderte Hagedorn. Ich rede von den Katzen. Onkel Folter atmete auf. Haben wir Ihren Geschmack getroffen? Doch, doch. Die kleinen Biester sind sehr niedlich. Sie kratzen zwar. Aber es scheint ihnen Spa zu machen. Und das ist die Hauptsache. Ich meine nur: Haben auch die anderen Gste je drei Katzen im Zimmer? Das ist ganz verschieden, meinte der Portier und suchte nach einem anderen Thema. Er fand eines. Morgen frh kommt der Masseur auf Ihr Zimmer. Was will er denn dort? fragte der junge Mann. Massieren. Wen? Sie, Herr Doktor. Sehr aufmerksam von dem Mann, sagte Hagedorn. Aber ich habe kein Geld. Gren Sie ihn schn. Der Portier schien gekrnkt. Herr Doktor! Massiert werde ich auch gratis? fragte Hagedorn. Also gut. Wenn es durchaus sein mu! Was verspricht man sich davon? Der kleine Millionr verstellte sich vorbildlich. Massage hlt die Muskulatur frisch, erluterte Polter. Auerdem wird die Durchblutung der Haut enorm gefrdert. Bitte, sagte der junge Mann. Wenn es keine schlimmen Folgen hat, so soll es mir recht sein. Haben Sie wieder Briefmarken? Noch nicht, sagte der Portier bedauernd. Aber morgen bestimmt. Ich verlasse mich darauf, entgegnete Hagedorn ernst und ging in die Halle, um in Ruhe lcheln zu knnen. Im vierten Stock stiegen Schulze und Karl der Khne aus. Denn die Liftanlage reichte nur bis hierher. Sie kletterten zu Fu ins fnfte Stockwerk und wanderten dann einen langen, schmalen Korridor entlang. An dessen uerstem Ende sperrte der Direktor eine Tr auf, drehte das Licht an und sagte: Das Hotel ist nmlich vollstndig besetzt. Drum, meinte Schulze und blickte, frs erste fassungslos, in das aus Bett, Tisch, Stuhl, Waschtisch und schiefen Wnden bestehende Kmmerchen. Kleinere Zimmer haben Sie nicht? Leider nein, sagte der Direktor. Schulze setzte den Spankorb nieder. Schn kalt  ist es hier! Die Zentralheizung geht nur bis zum vierten Stock. Und fr einen Ofen ist kein Platz. Das glaube ich gern, sagte der arme Mann. Glcklicherweise hat mir der Arzt streng verboten, in geheizten Rumen zu schlafen. Ich danke Ihnen fr Ihre ahnungsvolle Rcksichtnahme. Oh, bitte sehr, erwiderte Khne und bi sich auf die Unterlippe. Man tut, was man kann. Die brige Zeit werde ich mich nun freilich vllig in den Gesellschaftsrumen aufhalten mssen, meinte Herr Schulze. Denn zum Erfrieren bin ich natrlich nicht hergekommen. Karl der Khne sagte: Sobald ein heizbares Zimmer frei wird, quartieren wir Sie um! Es hat keine Eile, meinte der arme Mann vershnlich. Ich liebe schiefe Wnde ber alles. Die Macht der Gewohnheit, verstehen Sie? Ich verstehe vollkommen, antwortete der Direktor. Ich bin glcklich, Ihren Geschmack getroffen zu haben. Wahrhaftig, sagte Schulze. Das ist Ihnen gelungen. Auf Wiedersehen! Er ffnete die Tr. Whrend der Direktor ber die Schwelle schritt, berlegte sich Schulze, ob er ihm mit einem wohlgezielten Tritt nachhelfen sollte. Er beherrschte sich aber, schlo die Tr, ffnete das Dachfenster und sah zum Himmel hinauf. Groe Schneeflocken sanken in die kleine Kammer und setzten sich behutsam auf die Bettkante. Der Tritt wre verfrht, sagte Geheimrat Tobler. Der Tritt kommt in die Sparbchse. Das siebente Kapitel Siamesische Katzen Dieser Abend hatte es in sich. Das erste Miverstndnis sollte nicht das letzte bleiben. (Echte Miverstndnisse vervielfltigen sich durch Zellteilung. Der Kern des Irrtums spaltet sich, und neue Miverstndnisse entstehen.) Whrend Kesselhuth den Smoking anzog und Schulze, dicht unterm Dach, den Spankorb auskramte, sa Hagedorn, im Glnze seines blauen Anzugs, in der Halle, rauchte eine der Zigaretten, die ihm Franke, der Untermieter, auf die Reise mitgegeben hatte, und zog die Stirn kraus. Ihm war unbehaglich zumute. Htte man ihn schief angesehen, wre ihm wohler gewesen. Schlechte Behandlung war er gewhnt. Dagegen wute er sich zu wehren. Aber so? Er glich einem Igel, den niemand reizen will. Er war nervs. Weswegen benahmen sich die Menschen mit einem Male derartig naturwidrig? Wenn pltzlich die Tische und Sthle in die Luft emporgeschwebt wren, mitsamt dem alten Portier, Hagedorn htte nicht berraschter sein knnen. Er dachte: Hoffentlich kommt dieser olle Schulze bald wieder. Bei dem wei man doch, woran man ist! Zunchst kamen aber andere Gste. Denn das Abendessen nherte sich seinem Ende. Frau Casparius lie die Nachspeise unberhrt und segelte hastig durch den groen Speisesaal. Eine widerliche Person, sagte die Mallebr. Baron Keller blickte vom Kompotteller hoch, verschluckte einen Kirschkern und machte Augen, als versuche er in sein Inneres zu blicken. Inwiefern? fragte er dann. Wissen Sie, warum die Casparius so rasch gegessen hat? Vielleicht hat sie Hunger gehabt, meinte er nachsichtig. Frau von Mallebr lachte bse. Besonders scharfsinnig sind Sie nicht. Das wei ich, antwortete der Baron. Sie will sich den kleinen Millionr kapern, sagte die Mallebr. Wahrhaftig? fragte Keller. Blo weil er schlecht angezogen ist? Sie wird es romantisch finden. Romantisch nennt man das? fragte er. Dann mu ich Ihnen allerdings beipflichten: Frau Casparius ist wirklich eine widerliche Person. Kurz darauf lachte er. Was gibt's? fragte die Mallebr. Mir fllt trotz meines notorischen Mangels an Scharfsinn auf, da auch Sie besonders rasch essen. Ich habe Hunger, erklrte sie ungehalten. Ich wei sogar, worauf, sagte er. Frau Casparius, die fesche Blondine aus Bremen, hatte ihr Ziel erreicht. Sie sa neben Hagedorn am Tisch. Onkel Polter sah manchmal hinber und glich einem Vater, der seinen Segen kaum noch zurckhalten kann. Hagedorn schwieg. Frau Casparius beschrieb unterdessen die Zigarrenfabrik ihres Mannes. Sie erwhnte, der Vollstndigkeit halber, da Herr Casparius in Bremen geblieben sei, um sich dem Tabak und der Beaufsichtigung der beiden Kinder zu widmen. Darf ich auch einmal etwas sagen, gndige Frau? fragte der junge Mann bescheiden. Bitte sehr? Haben Sie siamesische Katzen im Zimmer? Sie sah ihn besorgt an. Oder andere Tiere? fragte er weiter. Sie lachte. Das wollen wir nicht hoffen! Ich meine Hunde oder Seelwen. Oder Meerschweinchen. Oder Schmetterlinge. Nein, erwiderte sie. Bedaure, Herr Doktor. In meinem Zimmer bin ich das einzige lebende Wesen. Wohnen Sie auch in der dritten Etage? Nein, sagte er. Ich mchte nur wissen, weswegen sich in meinem Zimmer drei siamesische Katzen aufhalten. Kann man die Tierchen einmal sehen? fragte sie. Ich liebe Katzen ber alles. Sie sind so zrtlich und bleiben einem doch fremd. Es ist ein aufregend unverbindliches Verhltnis. Finden Sie nicht auch? Ich habe wenig Erfahrung mit Katzen, sagte er unvorsichtigerweise. Sie machte veilchenblaue Augen und erklrte mit dichtverschleierter Stimme: Dann hten Sie sich, lieber Doktor. Ich bin eine Katze. Glcklicherweise setzten sich Frau von Mallebr und Baron Keller an den Nebentisch. Und wenige Minuten spter war der Tisch, an dem Hagedorn sa, rings von neugierigen Gsten und lauten Stimmen umgeben. Frau Casparius beugte sich vor. Schrecklich, dieser Lrm! Kommen Sie! Zeigen Sie mir Ihre drei kleinen Katzen! Ihm war das Tempo neu. Ich glaube, sie schlafen schon, sagte er. Wir werden sie nicht aufwecken, sagte sie. Wir werden ganz, ganz leise sein. Ich verspreche es Ihnen. Da kam der Kellner und berreichte ihm eine Karte. Auf dieser Karte stand: Der Unterzeichnete, der zum Toblerkonzern Beziehungen hat, wrde Herrn Doktor Hagedorn gern auf einige Minuten in der Bar sprechen. Kesselhuth. Der junge Mann stand auf. Seien Sie mir nicht bse, gndige Frau, sagte er. Mich will jemand sprechen, der mir von grtem Nutzen sein kann. Das ist ein seltsames Hotel! Nach diesen Worten und einer Verbeugung ging er. Frau Casparius versah ihr schnes Gesicht mit einem diffusen Dauerlcheln. Frau von Mallebr lie sich nichts vormachen. Sie kniff vor Genugtuung in die Sessellehne. Da sie sich aber vergriff und den rmel des Barons erwischte, sthnte Keller auf und sagte: Mu das sein, gndige Frau? Herr Kesselhuth erinnerte zunchst daran, da Hagedorn und er gemeinsam im Grandhotel eingetroffen wren, und gratulierte zu dem ersten Preis der Putzblank-Werke. Dann lud er den jungen Mann zu einem Genever ein. Sie setzten sich in eine Ecke. Auf den Hockern vor der Theke saen die Geschwister Marek mit Sullivan, dem indischen Kolonialoffizier, tranken Whisky und sprachen englisch. Auf einem Sofa von uerst geringem Fassungsvermgen kuschelte sich das Chemnitzer Ehepaar. Die brigen Barbesucher hatten das Vergngen, dem zrtlichen Zwiegesprch zuhren zu drfen. Die schsische Mundart eignet sich bekanntlich wie keine zweite zum Austausch lieblicher Gefhle. Sogar Jonny, der Barmixer, verlor die Selbstbeherrschung. Er grinste bers ganze Gesicht. Schlielich bckte er sich und hackte, ohne Sinn und Verstand, im Eiskasten herum. Denn es geht nicht an, da Hotelangestellte die Gste auslachen. Wenn man unsre deutsche Sprache mit einem Gebude vergleichen wollte, meinte Hagedorn, so knnte man sagen, in Sachsen habe es durchs Dach geregnet. Kesselhuth lchelte, bestellte noch zwei Genever und sagte: Ich will mich deutlich ausdrcken, Herr Doktor. Ich will Sie fragen, ob ich Ihnen behilflich sein kann. Entschuldigen Sie, bitte. Ich bin nicht zimperlich, antwortete der junge Mann. Es wre groartig, wenn Sie mir helfen wrden. Ich kann's gebrauchen. Er trank einen Schluck. Das Zeug schmeckt gut. Ja, ich bin also seit Jahren stellungslos. Der Direktor der Putzblank-Werke hat mir, als ich mich nach einem Posten erkundigte, gute Erholung in Bruckbeuren gewnscht. Wenn ich blo wte, von welcher Anstrengung ich mich erholen soll! Arbeiten will ich, da die Schwarte knackt! Und ein bichen Geld verdienen! Statt dessen helfe ich meiner Mutter ihre kleine Rente auffressen. Es ist scheulich. Kesselhuth blickte ihn freundlich an. Der Toblerkonzern hat ja noch einige andere Fabriken auer den Putzblank-Werken, meinte er. Und nicht nur Fabriken. Sie sind Reklamefachmann? Jawoll! sagte Hagedorn. Und keiner von den schlechtesten, wenn ich diese khne Behauptung aufstellen darf. Herr Kesselhuth nickte. Sie drfen! Was halten Sie von folgendem? fragte der junge Mann eifrig. Ich knnte meiner Mutter noch heute abend eine zweite Karte schreiben. Da ich unverletzt angekommen bin, habe ich ihr nmlich schon mitgeteilt. Sie knnte meine Arbeiten in einen kleinen Karton packen; und in sptestens drei Tagen sind Hagedorns Gesammelte Werke in Bruckbeuren. Verstehen Sie etwas von Reklame, Herr Kesselhuth? Johann schttelte wahrheitsgem den Kopf. Ich mchte mir die Arbeiten trotzdem ansehen, und dann gebe ich, er verbesserte sich hastig, dann schicke ich sie mit ein paar Zeilen an Geheimrat Tobler. Das wird das beste sein. Hagedorn setzte sich kerzengerade und wurde bla. An wen wollen Sie den Kram schicken? fragte er. An Geheimrat Tobler, erklrte Kesselhuth. Ich kenne ihn seit zwanzig Jahren! Gut? Ich bin tglich mit ihm zusammen. Der junge Mann verga vorbergehend, Atem zu holen. Das ist ein Tag, sagte er dann, um den Verstand zu verlieren. Sehr geehrter Herr, machen Sie, bitte, keine Witze mit mir. Jetzt wird's ernst. Geheimrat Tobler liest Ihre Briefe? Er hlt groe Stcke auf mich, erklrte Herr Kesselhuth stolz. Wenn er sich die Sachen ansieht, gefallen sie ihm bestimmt, sagte der junge Mann. In dieser Beziehung bin ich grenwahnsinnig. Das kostet nichts und erhlt bei Laune. Er stand auf. Darf ich meiner Mutter rasch eine Eilkarte schicken? Sehe ich Sie dann noch? Ich wrde mich sehr freuen, entgegnete Kesselhuth. Gren Sie Ihre Frau Mutter unbekannterweise von mir. Das ist eine patente Frau, sagte Hagedorn und ging. An der Tr kehrte er noch einmal um. Eine bescheidene Frage, Herr Kesselhuth. Haben Sie Katzen im Zimmer? Ich habe nicht darauf geachtet, meinte der andere. Aber ich glaube kaum. Als Hagedorn die Halle durchquerte, lief er Frau Casparius in die Arme. Sie war in Nerz gehllt und trug hohe pelzbesetzte berschuhe. Neben ihr schritt, im Gehpelz, der Kunsthndler Lenz. Kommen Sie mit? fragte die Bremerin. Wir gehen ins Esplanade. Zwecks Reunion. Darf ich bekannt machen? Herr Doktor Hagedorn  Herr Lenz. Die Herren begrten sich. Kommen Sie mit, Herr Doktor! sagte der dicke Lenz. Unsere schne Frau tanzt leidenschaftlich gern. brigens auch gern leidenschaftlich. Und ich eigne mich figrlich nicht besonders zum Anschmiegen. Ich bin zu konvex. Entschuldigen Sie mich, sagte der junge Mann. Ich mu einen Brief schreiben. Post kann man whrend des ganzen Tages erledigen, meinte Frau Casparius. Tanzen kann man nur abends. Der Brief mu noch heute fort, sagte Hagedorn bedauernd. Leidige Geschfte! Dann entfernte er sich eiligst. Frau von Mallebr, die ihn kommen sah, gab dem Baron einen Wink. Keller erhob sich, vertrat dem jungen Mann lchelnd den Weg, stellte sich vor und fragte: Darf ich Sie mit einer charmanten Frau bekannt machen? Hagedorn erwiderte rgerlich: Ich bitte darum, und lie die blichen Zeremonien ber sich ergehen. Keller setzte sich. Der junge Mann blieb ungeduldig stehen. Ich frchte, wir halten Sie auf, sagte Frau von Mallebr. Sie sprach, auf Wirkung bedacht, eine Terz tiefer als sonst. Keller lchelte. Er kannte Frau von Mallebrs akustische Taktik. Es tut mir leid, Ihnen recht geben zu mssen, meinte Hagedorn. Post! Leidige Geschfte! Die Mallebr schttelte mibilligend die schwarzen Wasserwellen. Sie sind doch hier, um sich zu erholen. Das ist ein Irrtum, antwortete er. Ich bin gekommen, weil ich, infolge eines gewonnenen Preisausschreibens, hergeschickt wurde. Nehmen Sie Platz! sagte die Mallebr. Die Gste an den Nebentischen blickten gespannt herber. Sehr freundlich, meinte Hagedorn. Aber ich mu auf mein Zimmer. Guten Abend. Er ging. Baron Keller lachte. Sie htten nicht so rasch zu essen brauchen, gn' Frau. Frau von Mallebr betrachtete ihr Gesicht im Spiegel der Puderdose, tupfte Puder auf ihre adlige Nase und sagte: Wir wollen's abwarten. Auf der Treppe traf Hagedorn Herrn Schulze. Ich friere wie ein Schneider, sagte Schulze. Ist Ihr Zimmer auch ungeheizt? Aber nein, meinte Hagedorn. Wollen Sie sich bei mir einmal umschauen? Ich mu eine Karte nach Hause schreiben. Ich habe eben ein unglaubliches Erlebnis gehabt. Raten Sie! Nein, darauf kommt keiner. Also denken Sie an: ich habe eben mit einem Herrn gesprochen, der den ollen Tobler persnlich kennt! Der jeden Tag mit ihm zusammen ist! Was sagen Sie dazu? Man sollte es nicht fr mglich halten, behauptete Schulze und folgte dem jungen Mann ins erste Stockwerk. Hagedorn schaltete das elektrische Licht ein. Schulze glaubte zu trumen. Er erblickte einen Salon, ein Schlafzimmer und ein gekacheltes Bad. Was soll das denn heien? dachte er. So viel besser ist ja nun seine Lsung des Preisausschreibens nicht, da man mir die Bruchbude unterm Dach angedreht hat und ihm so 'ne Zimmerflucht. Trinken Sie einen Schnaps? fragte der junge Mann. Er schenkte franzsischen Kognak ein. Sie stieen an und sagten Prost! Da klopfte es. Hagedorn rief: Herein! Es erschien das Zimmermdchen. Ich wollte nur fragen, ob der Herr Doktor schon schlafen gehen. Es ist wegen des Ziegelsteins. Hagedorn runzelte die Stirn. Weswegen? Wegen des Ziegelsteins, wiederholte das Mdchen. Ich mchte ihn nicht zu frh ins Bett tun, damit er nicht auskhlt. Verstehen Sie das? fragte Hagedorn. Noch nicht ganz, erwiderte Schulze. Und zu dem Mdchen sagte er: Der Herr Doktor geht noch nicht schlafen. Bringen Sie Ihren Ziegelstein spter! Das Mdchen ging. Hagedorn sank verstrt in einen Klubsessel. Haben Sie auch ein Zimmermdchen mit geheizten Ziegelsteinen? Keineswegs, meinte Schulze. Franzsischen Kognak brigens auch nicht. Er grbelte. Auch keine siamesischen Katzen? fragte der andere und zeigte auf ein Krbchen. Schulze griff sich an die Stirn. Dann ging er in Kniebeuge und betrachtete die drei kleinen schlafenden Tiere. Dabei kippte er um und setzte sich auf den Perserteppich. Ein Ktzchen erwachte, reckte sich, stieg aus dem Korb und nahm auf Schulzes violetter Hose Platz. Hagedorn schrieb die Karte an seine Mutter. Schulze legte sich auf den Bauch und spielte mit der kleinen Katze. Dann wurde die zweite wach, schaute anfangs faul ber den Rand des Korbes, kam dann aber nach lngerer berlegung ebenfalls auf den Teppich spaziert. Schulze hatte alle Hnde voll zu tun. Hagedorn sah flchtig von seiner Karte hoch, lchelte und sagte: Vorsicht! Lassen Sie sich nicht kratzen! Keine Sorge, erklrte der Mann auf dem Teppich. Ich verstehe mit so etwas umzugehen. Die zwei Katzen spielten auf dem lteren Herrn Hasehen. Wenn er sie festhielt, schnurrten sie vor Wonne. Ich fhle mich wie zu Hause, dachte er. Und nachdem er das gedacht hatte, ging ihm ein groes Licht auf. Als Hagedorn mit der Eilkarte zu Rande war, legte Schulze die zwei Katzen zu der dritten in den Korb zurck. Sie sahen ihn aus ihren schwarzmaskierten Augen fragend an und bewegten die Schwnze vergngt hin und her. Ich besuche euch bald wieder, sagte er. Nun schlaft aber, wie sich das fr so kleine artige Katzen gehrt! Dann berredete er den jungen Mann, die Karte dem Stubenmdchen zur Besorgung anzuvertrauen. Ich bin Ihnen Revanche schuldig. Sie mssen sich mein Zimmer ansehen. Kommen Sie! Sie gaben dem Mdchen die Karte und stiegen in den Fahrstuhl. Der nette Herr, der den alten Tobler so gut kennt, heit Kesselhuth, erzhlte Hagedorn. Er kam gleichzeitig mit mir im Hotel an. Und vor einer Viertelstunde hat er mich gefragt, ob er mir beim Toblerkonzern behilflich sein soll. Halten Sie fr mglich, da er das berhaupt kann? Warum schlielich nicht? meinte Schulze. Wenn er den ollen Tobler gut kennt, wird er's schon zuwege bringen. Aber wie kommt ein fremder Mensch eigentlich dazu, mir helfen zu wollen? Sie werden ihm sympathisch sein, sagte Schulze. Dem anderen schien diese Erklrung nicht zu gengen. Wirke ich denn sympathisch? fragte er erstaunt. Schulze lchelte. Auerordentlich sympathisch sogar! Entschuldigen Sie, meinte der junge Mann. Ist das Ihre persnliche Ansicht? Er war richtig rot geworden. Schulze erwiderte: Es ist meine feste berzeugung. Nun war auch er verlegen. Fein, sagte Hagedorn. Mir geht's mit Ihnen ganz genauso. Sie schwiegen, bis sie im vierten Stock ausstiegen. Sie wohnen wohl auf dem Blitzableiter? fragte der junge Mann, als der andere die Stufen betrat, die zur fnften Etage fhrten. Noch hher, erklrte Schulze. Herr Kesselhuth will dem Tobler meine Arbeiten schicken, berichtete Hagedorn. Hoffentlich versteht der olle Millionr etwas von Reklame. Schrecklich, da ich schon wieder davon anfange, was? Aber es geht mir nicht aus dem Kopf. Da rennt man sich in Berlin seit Jahren die Hacken schief. Fast jeden Tag wird man irgendwo anders abgewiesen. Dann kutschiert man in die Alpen. Und kaum ist man dort, fragt einen ein wildfremder Herr, ob man im Toblerkonzern angestellt zu werden wnscht. Ich werde die Daumen halten, sagte der andere. Sie schritten den schmalen Korridor entlang. Ich mchte, wenn ich wieder Geld verdiene, mit meiner Mutter eine grere Reise machen, erklrte Hagedorn. Vielleicht an die oberitalienischen Seen. Sie kennt nur Swinemnde und den Harz. Das ist fr eine sechzigjhrige Frau zu wenig, nicht? Das sei auch seine Meinung, entgegnete Schulze. Und whrend der junge Mann von den sieben gewonnenen Preisausschreiben und den damit verbundenen geographischen Erfahrungen erzhlte, schlo der andere die Tr zu dem Dachstbchen auf. Er ffnete und machte Licht. Hagedorn blieben Stockholm und die Schren im Halse stecken. Er starrte verstndnislos in die elende Kammer. Nach lngerer Zeit sagte er: Machen Sie keine Witze! Treten Sie nher! bat Schulze. Setzen Sie sich, bitte, aufs Bett oder in die Waschschssel! Was Ihnen lieber ist! Der andere klappte den Jackettkragen hoch und steckte die Hnde in die Taschen. Klte ist gesund, meinte Schulze. Schlimmstenfalls werde ich die Pantoffeln anbehalten, wenn ich schlafen gehe. Hagedorn blickte sich suchend um. Nicht einmal ein Schrank ist da, sagte er. Knnen Sie sich das Ganze erklren? Mir gibt man ein feudales Appartement. Und Sie sperrt man in eine hundekalte Bodenkammer! Es gibt eine einzige Erklrung, behauptete Schulze. Man hlt Sie fr einen andern! Irgendwer mu sich einen Scherz erlaubt haben. Vielleicht hat er verbreitet, Sie seien der Thronfolger von Albanien. Oder der Sohn eines Multimillionrs. Hagedorn zeigte den Glanz auf den Ellenbogen seines Anzuges und hielt einen Fu hoch, um das biblische Alter seiner Schuhe darzulegen. Sehe ich so aus? Gerade darum! Es gibt genug extravagante Personen unter denen, die sich Extravaganzen pekunir leisten knnen. Ich habe keinen Spleen, sagte der junge Mann. Ich bin kein Thronfolger und kein Millionr. Ich bin ein armes Luder. Meine Mutter war auf der Sparkasse, damit ich mir hier ein paar Glas Bier leisten kann. Er schlug wtend auf den Tisch. So! Und jetzt gehe ich zu dem Hoteldirektor und erzhle ihm, da man ihn veralbert hat und da ich sofort hier oben, neben Ihnen, eine ungeheizte Hundehtte zu beziehen wnsche! Er war schon an der Tr. Tobler sah sein eigenes Abenteuer in Gefahr. Er hielt den andern am Jackett fest und zwang ihn auf den einzigen Stuhl. Lieber Hagedorn, machen Sie keine Dummheiten! Davon, da Sie neben mir eine Eisbude beziehen, haben wir alle beide nichts. Seien Sie gescheit! Bleiben Sie der geheimnisvolle Unbekannte! Behalten Sie Ihre Zimmer, damit ich wei, wohin ich gehen soll, wenn mir's hier oben zu kalt wird! Lassen Sie sich in drei Teufels Namen eine Flasche Kognak nach der andern bringen und eine ganze Ziegelei ins Bett legen! Was schadet es denn? Schrecklich! sagte der junge Mann. Morgen frh kommt der Masseur. Schulze mute lachen. Massage ist gesund! Ich wei, erwiderte Hagedorn. Sie frdert die Durchblutung der Haut. Er schlug sich vor die Stirn. Und der Portier sammelt Briefmarken! Diese Mystifikation ist gewissenhaft durchdacht! Und ich Rindvieh bildete mir ein, die Leute hier seien von Natur aus nett. Er warf das Kuvert mit den Briefmarken beleidigt auf den Tisch. Schulze prfte den Inhalt fachmnnisch und steckte das Kuvert ein. Ich habe eine groartige Idee, sagte Hagedorn. Sie beziehen meine Zimmer, und ich werde hier wohnen. Wir erzhlen dem Direktor, er habe sich geirrt. Der Thronfolger von Albanien seien Sie! Ist das gut? Nein, erwiderte Schulze. Fr einen Thronfolger bin ich zu alt. Es gibt auch alte Thronfolger, wandte der junge Mann ein. Und den Millionr glaubt man mir erst recht nicht! sagte Schulze. Stellen Sie sich das doch vor! Ich als Millionr! Lcherlich! Sehr berzeugend wrden Sie allerdings nicht wirken, gab Hagedorn offen zu. Aber ich will niemand anders sein! Tun Sie's mir zuliebe, bat Schulze. Mir haben die drei kleinen Katzen so gut gefallen. Der junge Mann kratzte sich am Kopf. Also schn, erklrte er. Aber bevor wir abreisen, geben wir durch Anschlag am Schwarzen Brett bekannt, da das Hotel von irgendeinem Spamacher hineingelegt worden ist. Ja? Das eilt nicht, sagte Schulze. Bis auf weiteres bleiben Sie, bitte, ein Rtsel! Das achte Kapitel Der Schneemann Kasimir Als die beiden miteinander durch die Halle gingen, war die Emprung gro. Das Publikum fand sich brskiert. Wie konnte der geheimnisvolle Millionr mit dem einzigen armen Teufel, den das Hotel zu bieten hatte, gemeinsame Sache machen! So realistisch brauchte er seine Rolle wirklich nicht zu spielen! Einfach tierisch! sagte Karl der Khne, der beim Portier stand. Dieser Schulze! Das ist das Letzte! Die Casparius und die Mallebr machen schon Jagd auf den Kleinen, erzhlte Onkel Poker. Er knnte es haben wie in Abrahams Scho! Der Vergleich stimmt nur teilweise, meinte der Direktor. (Er neigte gelegentlich zur Pedanterie.) Ich sehe schon, sagte der Portier, ich werde fr Herrn Schulze eine kleine Nebenbeschftigung erfinden mssen. Sonst geht er dem Millionr nicht von der Seite. Vielleicht reist er bald wieder ab, bemerkte Herr Khne. Die Dachkammer, die wir ihm ausgesucht haben, wird ihm auf die Dauer kaum zusagen. Dort oben hat es noch kein Stubenmdchen und kein Hausdiener ausgehalten. Onkel Polter kannte die Menschen besser. Er schttelte das Haupt. Sie irren sich. Schulze bleibt. Schulze ist ein Dickkopf. Der Hoteldirektor folgte den beiden seltsamen Gsten in die Bar. Die Kapelle spielte. Etliche elegante Paare tanzten. Sullivan, der Kolonialoffizier, trank den Whisky aus alter Gewohnheit pur und war bereits hinber. Er hing auf seinem Barhocker, stierte vor sich hin und schien Bruckbeuren mit einer nordindischen Militrstation zu verwechseln. Darf ich vorstellen? fragte Hagedorn. Und dann machte er Geheimrat Tobler und Johann, dessen Diener, miteinander bekannt. Man nahm Platz. Herr Kesselhuth bestellte eine Runde Kognak. Schulze lehnte sich bequem zurck, betrachtete, gerhrt und spttisch zugleich, das altvertraute Gesicht und sagte: Doktor Hagedorn erzhlte mir eben, da Sie den Geheimrat Tobler kennen. Herr Kesselhuth war nicht mehr ganz nchtern. Er hatte nicht des Alkohols wegen getrunken. Aber er war ein gewissenhafter Mensch und hatte nicht vergessen, da er tglich mindestens hundert Mark ausgeben mute. Ich kenne den Geheimrat sogar ausgezeichnet, erklrte er und blinzelte vergngt zu Schulze hinber. Wir sind fast dauernd zusammen! Sie sind vermutlich Geschftsfreunde? fragte Schulze. Vermutlich? sagte Kesselhuth groartig. Erlauben Sie mal! Mir gehrt eine gutgehende Schiffahrtslinie! Wir sitzen zusammen im Aufsichtsrat. Direkt nebeneinander! Donnerwetter! rief Schulze. Welche Linie ist das denn? Darber mchte ich nicht sprechen, sagte Kesselhuth vornehm. Aber es ist nicht die kleinste, mein Herr! Sie tranken. Hagedorn setzte sein Glas nieder, zog die Oberlippe hoch und meinte: Ich verstehe nichts von Schnaps. Aber der Kognak schmeckt, wenn ich nicht irre, nach Seife. Das mu er tun, erklrte Schulze. Sonst taugt er nichts. Wir knnen ja auch etwas anderes trinken, sagte Kesselhuth. Herr Ober, was schmeckt bei Ihnen nicht nach Seife? Es war aber gar nicht der Kellner, der an den Tisch getreten war, sondern der Hoteldirektor. Er fragte den jungen Mann, ob ihm die Zimmer gefielen. Doch, doch, sagte Hagedorn, ich bin soweit ganz zufrieden. Herr Khne behauptete, da er sich glcklich schtze. Dann winkte er; und Jonny und ein Kellner brachten einen Eiskbel mit einer Flasche Champagner und zwei Glser. Ein kleiner Begrungsschluck, sagte der Hoteldirektor lchelnd. Und ich kriege kein Glas? fragte Schulze unschuldsvoll. Khne lief rot an. Der Kellner brachte ein drittes Glas und go ein. Der Versuch, Schulze zu ignorieren, war milungen. Auf Ihr Wohl! rief dieser fidel. Der Direktor verschwand, um dem Portier sein jngstes Leid zu klagen. Schulze stand auf, schlug ans Glas und hob es hoch. Die anderen Gste blickten unfreundlich zu ihm hin. Trinken wir darauf, sagte er, da Herr Kesselhuth fr meinen jungen Freund beim ollen Tobler etwas erreichen mge! Johann kicherte vor sich hin. Mach ich, mach ich! murmelte er und trank sein Glas leer. Hagedorn sagte: Lieber Schulze, wir kennen uns noch nicht lange. Aber vielleicht sollten wir in diesem Augenblick fragen, ob Herr Kesselhuth auch fr Sie etwas unternehmen kann? Keine schlechte Idee, meinte Schulze. Johann Kesselhuth sagte amsiert: Ich werde Geheimrat Tobler nahelegen, auch Herrn Schulze anzustellen. Was sind Sie denn von Beruf? Auch Werbefachmann, antwortete Schulze. Schn war's, wenn wir in derselben Abteilung arbeiten knnten, meinte Hagedorn. Wir verstehen uns nmlich sehr gut, Schulze und ich. Wir wrden den Toblerkonzern propagandistisch grndlich aufmbeln. Er kann's gebrauchen. Was ich da in der letzten Zeit an Reklame gesehen habe, war zum Heulen. So? fragte Schulze. Grauenhaft dilettantisch, erklrte der junge Mann. Bei dem Reklameetat, den so ein Konzern hat, kann man ganz anders loslegen. Wir werden dem Tobler zeigen, was fr knusprige Kerle wir sind! Ist er brigens ein netter Mensch? Ach ja, sagte Johann Kesselhuth. Mir gefllt er. Aber das ist natrlich Geschmackssache. Wir werden ja sehen, meinte Hagedorn. Trinken wir auf ihn! Der olle Tobler soll leben! Sie stieen an. Das soll er, sagte Kesselhuth und blickte Herrn Schulze liebevoll in die Augen. Nachdem die von Karl dem Khnen gestiftete Flasche leergetrunken war, bestellte der Schiffahrteibesitzer Kesselhuth eine weitere Flasche. Sie wunderten sich, da sie, trotz der langen Reise, noch immer nicht mde waren. Sie schoben es auf die Hhenluft. Dann kletterten sie ins Brustbl hinunter, aen Weiwrste und tranken Mnchner Bier. Aber sie blieben nur kurze Zeit. Denn die rassige Dame aus Polen, die abends eingetroffen war, sa mit Mister Bryan in einer schummrigen Ecke, und Hagedorn sagte: Ich frchte, wir sind der internationalen Verstndigung im Wege. Die Bar war, als sie zurckkamen, noch voller als vorher, Frau von Mallebr und Baron Keller saen an der Theke, tranken Cocktails und knabberten Kaffeebohnen. Frau Casparius und der dicke Herr Lenz waren aus dem Esplanade zurck und knobelten. Eine stattliche Schar rotwangiger Hollnder lrmte an einem groen runden Tisch. Und das schsische Ehepaar mokierte sich ber die phonetische Impertinenz der hollndischen Sprache. Spter verdrngte einer der Hollnder den Klavierspieler. Sofort erhoben sich seine temperamentvollen Landsleute und veranstalteten, ungeachtet ihrer Smokings und mondnen Abendkleider, echt hollndische Volkstnze. Sullivan rutschte von seinem Barhocker und nahm, da sich Frulein Marek strubte, als Solist und gefhrlich taumelnd, an dem lndlichen Treiben teil. Das whrte rund zwanzig Minuten. Dann eroberte der Klavierspieler seinen angestammten Drehsessel zurck. Nun tanzen Sie schon endlich mit einer ihrer Verehrerinnen! sagte Schulze zu Hagedorn. Es ist ja kaum noch zum Aushalten, wie sich die Weiber die Augen verrenken! Der junge Mann schttelte den Kopf. Man meint ja gar nicht mich, sondern den Thronfolger von Albanien. Wenn's weiter nichts ist! erwiderte Schulze. Das wrde mich wenig stren. Der Effekt ist die Hauptsache. Hagedorn wandte sich an Kesselhuth. Man hlt mich hier im Hotel unbegreiflicherweise fr den Enkel von Rockefeller oder fr einen verkleideten Knigssohn. Dabei bin ich keines von beiden. Unglaublich! sagte Herr Kesselhuth. Er bemhte sich, ein berraschtes Gesicht zu ziehen. Was es so alles gibt! Das bleibt aber, bitte, unter uns! bat Hagedorn. Ich htte das Miverstndnis gerne richtiggestellt. Aber Schulze hat mir abgeraten. Herr Schulze hat recht, sagte Kesselhuth. Ohne Spa gibt's nichts zu lachen! Pltzlich spielte die Kapelle einen Tusch. Herr Heltai, Professor der Tanzkunst und Arrangeur von Kostmfesten, trat aufs Parkett, klatschte in die Hnde und rief: Damenwahl, meine Herrschaften! Er wiederholte die Ankndigung noch in englischer und franzsischer Sprache. Die Gste lachten. Mehrere Damen erhoben sich. Auch Frau Casparius. Sie steuerte auf Hagedorn los. Frau von Mallebr wurde bla und engagierte, verzerrt lchelnd, den Baron. Nun aber ran an den Speck! befahl Schulze. Frau Casparius machte einen bertriebenen Knicks und sagte: Sie sehen, Herr Doktor, mir entgeht man nicht. Da werden Weiber zu Hynen! deklamierte Schulze, der sich auskannte. Doch die Bremerin und Hagedorn waren schon auer Hrweite. Der Tanz begann. Schulze beugte sich vor. Ich gehe in die Halle, flsterte er. Folgen Sie mir unauffllig! Bringen Sie aber 'ne anstndige Zigarre mit! Dann verlie er die Bar. Geheimrat Tobler sa nun also mit seinem Diener Johann in der Halle. Die meisten Tische waren leer. Kesselhuth klappte sein Zigarrenetui auf und fragte: Darf ich Sie zu einem Kognak einladen? Fragen Sie nicht so bld! meinte Tobler. Der andere bestellte. Die Herren rauchten und blickten einander belustigt an. Der Kellner brachte die Kognaks. Nun haben wir uns also doch kennengelernt, sagte Johann befriedigt. Noch dazu am ersten Abend! Wie habe ich das gemacht? Tobler runzelte die Stirn. Sie sind ein Intrigant, mein Lieber. Eigentlich sollte ich Sie entlassen. Johann lchelte geschmeichelt. Dann sagte er: Ich kriegte ja, als ich ankam, einen solchen Schreck! Der Hoteldirektor und der Portier krochen doch dem Doktor Hagedorn in smtliche Poren! Am liebsten wre ich Ihnen entgegengelaufen, um Sie zu warnen. Ich werde meiner Tochter die Ohren abschneiden, erklrte Tobler. Sie hat natrlich angerufen. Frulein Hildegards Ohren sind so niedlich, meinte Johann. Ich wette, die Kunkel hat telefoniert. Wenn ich nicht so guter Laune wre, wrde ich mich rgern, gestand Tobler. So eine Frechheit! Ein wahres Glck, da dieses verrckte Miverstndnis dazwischenkam! Hat man Ihnen ein nettes Zimmer gegeben? fragte der Diener. Ein entzckendes Zimmer, behauptete Tobler. Sonnig, luftig. Sehr luftig sogar. Johann nahm dem Geheimrat ein paar Fusseln vom Anzug und brstete mit der flachen Hand besorgt auf den violetten Jackettschultern herum. Lassen Sie das! knurrte Tobler. Sind Sie verrckt? Nein, meinte Johann. Aber froh, da ich neben Ihnen sitze. Na ja, und ein klein bichen besoffen bin ich natrlich auch. Ihr Anzug sieht zum Frchten aus. Ich werde morgen auf Ihr Zimmer kommen und Ordnung machen. Welche Zimmernummer haben Sie, Herr Geheimrat? Unterstehen Sie sich! sagte Tobler streng. Das fehlte gerade noch, da man den Besitzer einer gutgehenden Schiffahrtslinie dabei erwischt, wie er bei mir Staub wischt. Haben Sie Bleistift und Papier bei sich? Sie mssen einen geschftlichen Brief erledigen. Beeilen Sie sich! Ehe unser kleiner Millionr eintrifft. Wie gefllt er Ihnen? Ein reizender Mensch, sagte Johann. Wir werden zu dritt noch sehr viel Spa haben. Lassen Sie uns arme Leute ungeschoren! meinte der Geheimrat. Widmen Sie sich geflligst dem Wintersport und der vornehmen Gesellschaft! Die Hoteldirektion glaubt, da ich Doktor Hagedorn von Berlin aus kenne und es nur nicht zugeben will, erzhlte Johann. Man wird also nichts dabei finden, wenn ich oft mit ihm zusammen bin. Im Gegenteil, ohne mich wre er nie so schnell Millionr geworden! Er blickte an Tobler herunter. Ihre Schuhe sind auch nicht geputzt! sagte er. Man sah es ihm an, wie er darunter litt. Es ist zum Verzweifeln! Der Geheimrat, dem die Zigarre auerordentlich schmeckte, meinte: Kmmern Sie sich lieber um Ihre Schiffahrtslinie! So oft die Kapelle eine Atempause machen wollte, klatschten die Tanzpaare wie besessen. Frau Casparius sagte leise: Sie tanzen wirklich gut. Ihre Hand lag auf Hagedorns Schulter und bte einen zrtlichen Druck aus. Was tun Sie morgen? Fahren Sie Ski? Er verneinte. Als kleiner Junge hatte ich Schneeschuhe. Jetzt ist mir die Sache zu teuer. Wollen wir eine Schlittenpartie machen? Nach Sankt Veit? Den Lunch nehmen wir mit. Ich bin mit meinen beiden Bekannten verabredet. Sagen Sie ab! bat sie. Wie knnen Sie berhaupt diesen Mann, der wie eine Vogelscheuche aussieht, meiner bezaubernden Gesellschaft vorziehen? Ich bin auch so eine Vogelscheuche, sagte er zornig. Schulze und ich gehren zusammen! Sie lachte und zwinkerte eingeweiht. Freilich, Doktor. Ich vergesse das immer wieder. Aber Sie sollten trotzdem mit mir nach Sankt Veit fahren. Im Pferdeschlitten. Mit klingelnden Glckchen. Und mit warmen Decken. So etwas kann sehr schn sein. Sie schmiegte sich noch enger an ihn und fragte: Mifalle ich Ihnen denn so? O nein, sagte er. Aber Sie haben so etwas erschreckend Pltzliches an sich. Sie rckte ein wenig von ihm ab und rmpfte die Lippen. So sind die Mnner. Wenn man redet, wie einem zumute ist, werdet ihr fein wie ein Schock Stiftsdamen. Sie sah ihm kerzengerade in die Augen. Seien Sie doch nicht so zimperlich, zum Donnerwetter! Sind wir jung? Gefallen wir einander? Wie? Wozu das Theater! Hab ich recht oder stimmt's? Die Kapelle hrte zu spielen auf. Sie haben recht, sagte er. Aber wo sind meine Bekannten? Er begleitete sie an ihren Tisch, verbeugte sich vor ihr und vor dem dicken Herrn Lenz und entfernte sich eilends, um die Herren Schulze und Kesselhuth zu suchen. Stecken Sie die Notizen weg! sagte Geheimrat Tobler zu seinem Diener. Dort kommt unser kleiner Millionr. Hagedorn strahlte. Er setzte sich und chzte. Das ist eine Frau! meinte er benommen. Die htte Kavalleriegeneral werden mssen! Dafr ist sie entschieden zu hbsch, behauptete Schulze. Hagedorn dachte nach. Na ja, sagte er. Aber man kann doch nicht mit jeder hbschen Frau etwas anfangen! Dafr gibt es schlielich viel zu viele hbsche Frauen! Ich kann dem Doktor nur beipflichten, meinte Herr Kesselhuth. Ober! Drei Korn! Und als der Kellner wieder da war  und der Korn auch  rief er: Allerseits frohe Pfingsten! Sie kippten den farblosen Inhalt der drei Glser. Dann fragte Hagedorn neugierig: Was tun wir jetzt? Es ist noch nicht einmal Mitternacht. Schulze drckte die Zigarre aus und sagte: Meine Herren, Silentium! Ich erlaube mir, eine Frage an Sie zu richten, die Sie verblffen wird. Und die Frage lautet: Wozu sind wir nach Bruckbeuren gekommen? Etwa in der Absicht, uns zu betrinken? Es scheint so, bemerkte Kesselhuth und kicherte. Wer dagegen ist, bleibe sitzen! sagte Schulze. Zum ersten! Zum zweiten! Zum  dritten! Einstimmig angenommen, meinte Hagedorn. Schulze fuhr fort: Wir sind also nicht hierhergekommen, um zu trinken. Kesselhuth hob die Hand und sagte: Nicht nur, Herr Lehrer! Und so fordere ich die Anwesenden auf, erklrte Schulze, sich von den Pltzen zu erheben und mir in die Natur zu folgen. Sie erhoben sich mhsam und gingen, leise schwankend, aus dem Hotel hinaus. Die klare, kalte Gebirgsluft verschlug ihnen den Atem. Sie standen verwundert im tiefen Schnee. ber ihnen wlbte sich die dunkelblaue, mit goldnen und grnen, silbernen und rtlichen Brillantsplittern berste Riesenkuppel des Sternhimmels. Am Mond zog ein verlassenes weies Wlkchen vorber. Sie schwiegen minutenlang. Aus dem Hotel klang ferne Tanzmusik. Herr Kesselhuth rusperte sich und sagte: Morgen wird's schn. Mnner neigen, ergreifenden Eindrcken gegenber, zur Verlegenheit. So kam es, da Hagedorn erklrte: So, meine Herrschaften! Jetzt machen wir einen groen Schneemann! Und Schulze rief: Ein Hundsfott, wer sich weigert! Marsch, marsch! Anschlieend setzte eine rege Ttigkeit ein. Baumaterial war ja gengend vorhanden. Sie buken und kneteten eine Kugel, rollten sie kreuz und quer durch den Schnee, klatschten fanatisch auf ihr herum, deformierten sie ins Zylindrische, rollten den unaufhrlich wachsenden Block noch einige Male hin und her und stellten ihn schlielich, als er ausreichend imposant erschien, vor die kleinen Silbertannen, die gegenber vom Hoteleingang, jenseits des Fahrweges, den Park flankierten. Die drei Mnner schwitzten. Aber sie waren unerbittlich und begannen nun den zweiten Teil des Schneemannes, seinen Rumpf, zu bilden. Der Schnee wurde knapp. Sie drangen in den Park vor. Die Tannenbume stachen mit Nadeln nach den erhitzten Gesichtern. Schlielich war auch der Rumpf fertig, und schwer atmend hoben sie ihn auf den Schneesockel hinauf. Es gelang ohne grere Zwischenflle. Herr Kesselhuth fiel allerdings hin und sagte: Der teure Smoking! Aber es focht ihn nicht weiter an. Wenn erwachsene Mnner etwas vorhaben, dann setzen sie es durch. Sogar im Smoking. Schlielich kam auch ein Kopf zustande. Er wurde auf den Rumpf gepflanzt. Dann traten sie ehrfurchtsvoll einige Schritte zurck und bewunderten ihr Werk. Der Gute hat leider einen Eierkopf, stellte Schulze fest. Das macht nichts, sagte Hagedorn. Wir nennen ihn ganz einfach Kasimir. Wer Kasimir heit, kann sich das leisten. Es erhob sich kein Widerspruch. Dann zckte Schulze sein Taschenmesser und wollte sich die Knpfe vom violetten Anzug schneiden, um sie Kasimir in den Schneebauch zu drcken. Aber Herr Kesselhuth lie es nicht zu und erklrte, das gehe keinesfalls. Deshalb nahm Hagedorn Herrn Schulze das Messer weg, schnitt mehrere Tannenzweige ab und besetzte Kasimirs Brust damit, bis er wie ein Gardehusar aussah. Kriegt er keine Arme? fragte Kesselhuth. O nein, sagte Doktor Hagedorn. Kasimir ist ein Torso! Dann verliehen sie ihm ein Gesicht. Als Nase verwandten sie eine Streichholzschachtel. Der Mund wurde von kurzen Zweigstcken dargestellt. Und als Augen benutzten sie Baumrinde. Kesselhuth bemerkte kritisch: Kasimir braucht einen Tschako, damit man seine Glatze nicht sieht. Sie sind ein grauenhafter Naturalist, sagte Schulze emprt. Wenn Sie Bildhauer geworden wren, htten Sie Ihren Plastiken Percken aufgesetzt! Ich besorge morgen frh aus der Kche einen Konfitreneimer, versprach Hagedorn. Den setzen wir unserem Liebling verkehrt auf. Da kann er den Henkel gleich als Kinnkette benutzen. Der Vorschlag wurde gebilligt und angenommen. Kasimir ist ein schner, stattlicher Mensch, meinte Schulze hingerissen. Kunststck! rief Kesselhuth. Er hat ja auch drei Vter! Zweifellos einer der beachtlichsten Schneemnner, die je gelebt haben, sagte Hagedorn. Das ist meine ehrliche berzeugung. Dann riefen sie im Chor: Gute Nacht, Kasimir! Und der Schneemann antwortete ganz laut: Gute Nacht, meine Herren. Es war aber gar nicht der Schneemann, sondern ein Gast aus dem ersten Stock, der wegen des Lrms vor dem Hotel nicht hatte einschlafen knnen. Wtend knallte er das Fenster zu. Und die drei Vter Kasimirs gingen auf den Zehenspitzen ins Haus. Herr Schulze zog, als er schlafen ging, seinen Flauschmantel an. Er lchelte vergngt zum Dachfenster empor und sagte: Der alte Tobler friert, aber er ergibt sich nicht! Dann schlummerte er ein. Auch Hagedorn schlief sehr bald. Anfangs strten ihn zwar die elegante Umgebung und der warme Ziegelstein. Doch er war, was den Schlaf anbelangt, eine Naturbegabung. Sie setzte sich auch in Bruckbeuren durch. Nur Herr Kesselhuth wachte. Er sa in seinem Zimmer und erledigte Post. Nachdem der Geschftsbrief fertig war, den ihm der Geheimrat zu schreiben aufgetragen hatte, begann er ein privates, auerordentlich geheimes Schreiben. Und das lautete so: Liebes Frulein Hildegard! Wir sind gesund und munter angekommen. Sie htten aber trotzdem nicht hintenrum mit dem Hotel telefonieren sollen. Der Herr Geheimrat will Ihnen die Ohren abschneiden. Es war ja auch ein Schreck! Man hat den andern Preistrger, Herrn Doktor Hagedorn, fr den verkleideten Millionr gehalten. Ich kam gerade dazu. Und nun hat Hagedorn die Katzen im Zimmer. Nicht der Herr Geheimrat. Wir haben uns angefreundet. Ich mich mit Hagedorn. Er sich mit Ihrem Vater. Und dadurch der Herr Geheimrat mit mir. Ich bin sehr froh. Vorhin haben wir zu dritt einen groen Schneemann gemacht. Er heit Kasimir und hat einen Eierkopf. Und einen Torso. Das Hotel ist sehr vornehm. Das Publikum auch. Der Herr Geheimrat sieht natrlich zum Frchten aus. Von dem Schlips kann einem schlecht werden. Aber rausgeschmissen hat man ihn nicht. Morgen geh ich in sein Zimmer und mache Ordnung. Mein elektrisches Bgeleisen hab ich mitgenommen. Wegen dem Schneemann wollte er sich die Jackettknpfe abschneiden. Man mu kolossal auf ihn aufpassen. Die Frauen sind mchtig hinter Doktor Hagedorn her. Sie halten ihn fr einen Thronfolger. Dabei ist er stellungslos und sagt, man knnte sich nicht in jede hbsche Frau verlieben. Das ginge zu weit. Morgen lerne ich Skifahren. Privatim. Es brauchen nicht alle zu sehen, wenn ich lang hinschlage. Der Portier dachte erst, der Herr Geheimrat sei ein Hausierer. Das hat er davon. Aber er findet so was ja nur komisch. Nun darf ich ihn wenigstens kennen und mit ihm sprechen. Ich bin sehr froh. Aber das schrieb ich schon einmal, wie ich gerade bemerke. Ich bin trotzdem sehr froh. Wir waren in der Bar und haben einiges gehoben. Aber vom Sternhimmel sind wir dann wieder nchtern geworden. Und vom Schneemann. Er steht vorm Hoteltor. Die Gste werden morgen staunen. Ich schreibe Ihnen bald wieder. Hoffentlich breche ich nichts Wesentliches. Skifahren ist ziemlich gefhrlich. Wer soll sich um den Herrn Geheimrat kmmern, wenn ich bei irgendeinem Arzt in Gips liege! Na, ich werde schon aufpassen, da ich ganz bleibe. Hoffentlich geht es Ihnen gut, liebes Frulein Hilde. Haben Sie keine Sorge um Ihren Vater. Auf mich knnen Sie sich verlassen. Das wissen Sie ja. Gren Sie die Kunkel von mir. Und der Einfall mit dem Telefonieren she ihr hnlich. Mehr habe ich ihr nicht zu sagen. Von ganzem Herzen hochachtungsvoll und Ski Heil! Ihr alter Johann Kesselhuth. Das neunte Kapitel Drei Mnner im Schnee Frh gegen sieben Uhr polterten die ersten Gste aus ihren Zimmern. Es klang, als marschierten Kolonnen von Tiefseetauchern durch die Korridore. Der Frhstckssaal hallte wider von den Gesprchen und vom Gelchter hungriger, gesunder Menschen. Die Kellner balancierten ppig beladene Tabletts. Spter schleppten sie Lunchpakete herbei und berreichten sie den Gsten, die erst am Nachmittag von greren Skitouren zurckkehren wollten. Heute zog auch Hoteldirektor Khne wieder in die Berge. Als er, gestiefelt und gespornt, beim Portier vorberkam, sagte er: Herr Folter, sehen Sie zu, da dieser Schulze keinen Quatsch macht! Der Kerl ist heimtckisch. Seine Ohrlppchen sind angewachsen. Und kmmern Sie sich um den kleinen Millionr! Wie ein Vater, erklrte Onkel Folter ernst. Und dem Schulze werde ich irgendeine Nebenbeschftigung verpassen. Damit er nicht bermtig wird. Karl der Khne musterte das Barometer. Ich bin vor dem Diner wieder da. Fort war er. Na, wenn schon, sagte der Portier und sortierte anschlieend die Frhpost. Herr Kesselhuth sa noch in der Wanne, als es klopfte. Er meldete sich nicht. Denn er hatte Seife in den Augen. Und Kopfschmerzen hatte er auerdem. Das kommt vom Saufen, sprach er zu sich selber. Und dann lie er sich kaltes Wasser bers Genick laufen. Da wurde die Badezimmertr geffnet, und ein wilder, lockiger Gebirgsbewohner trat ein. Guten Morgen wnsch ich, erklrte er. Entschuldigen Sie, bittschn. Aber ich bin der Graswander Toni. Da kann man nichts machen, sagte der nackte Mann in der Wanne. Wie geht's? Danke der Nachfrage. Es geht. Das freut mich, versicherte Kesselhuth in gewinnender Manier. Und worum handelt sich's? Wollen Sie mir den Rcken abseifen? Anton Graswander zuckte die Achseln. Schon, schon. Aber eigentlich komm ich von wegen dem Skiunterricht. Ach so! rief Kesselhuth. Dann streckte er einen Fu aus dem Wasser, bearbeitete ihn mit Brste und Seife und fragte: Wollen wir mit dem Skifahren nicht lieber warten, bis ich abgetrocknet bin? Der Toni sagte: Please, Sir! Er war ein internationaler Skilehrer. Ich warte drunten in der Halle. Ich hab dem Herrn ein Paar Bretteln mitgebracht. Prima Eschenholz. Dann ging er wieder. Auch Hagedorns morgendlicher Schlummer erlitt eine Strung. Er trumte, da ihn jemand rttele und schttele, und rollte sich gekrnkt auf die andre Seite des breiten Betts. Aber der Jemand lie sich nicht entmutigen. Er wanderte um das Bett herum, schlug die Steppdecke zurck, zog ihm den Pyjama vom Leibe, go aus einer Flasche khles l auf den Rcken des Schlfers und begann ihn mit riesigen Hnden zu kneten und zu beklopfen. Lassen Sie den Bldsinn! murmelte Hagedorn und haschte vergeblich nach der Decke. Dann lachte er pltzlich und rief: Nicht kitzeln! Endlich wachte er ein wenig auf, drehte den Kopf zur Seite, bemerkte einen groen Mann mit aufgerollten Hemdsrmeln und fragte erbost: Sind Sie des Teufels, Herr? Nein, der Masseur, sagte der Fremde. Ich bin bestellt. Mein Name ist Masseur Stnzner. Ist Masseur Ihr Vorname? fragte der junge Mann. Eher der Beruf, antwortete der andre und verstrkte seine handgreiflichen Bemhungen. Es schien nicht ratsam, Herrn Stnzner zu reizen. Ich bin in seiner Gewalt, dachte der junge Mann. Er ist ein jhzorniger Masseur. Wenn ich ihn krnke, massiert er mich in Grund und Boden. Alle Knochen taten ihm weh. Und das sollte gesund sein? Geheimrat Tobler wurde nicht geweckt. Er schlief, in seinen uralten warmen Mantel gehllt, turmhoch ber allem irdischen Lrm. Fern von Masseuren und Skilehrern. Doch als er erwachte, war es noch dunkel. Er blieb lange Zeit, im friedlichen Halbschlummer, liegen. Und er wunderte sich, in regelmigen Abstnden, da es nicht heller wurde. Endlich kletterte er aus dem Bett und blickte auf die Taschenuhr. Die Leuchtziffern teilten mit, da es zehn Uhr war. Offensichtlich eine Art Sonnenfinsternis, dachte er und ging kurz entschlossen wieder ins Bett. Es war hundekalt im Zimmer. Aber er konnte nicht wieder einschlafen. Und, vor sich hindsend, kam ihm eine Idee. Er stieg wieder aus dem Bett heraus, zndete ein Streichholz an und betrachtete das nahezu waagrechte Dachfenster. Das Fenster lag voller Schnee. Das ist also die Sonnenfinsternis! dachte er. Er stemmte das Fenster hoch. Der grere Teil des auf dem Fenster liegenden, ber Nacht gefallenen Schnees prasselte das Dach hinab. Der Rest, es waren immerhin einige Kilo, fiel in und auf Toblers Pantoffeln. Er schimpfte. Aber es klang nicht sehr berzeugend. Drauen schien die Sonne. Sie drang wrmend in die erstarrte Kammer. Herr Geheimrat Tobler zog den alten Mantel aus, stellte sich auf den Stuhl, steckte den Kopf durchs Fenster und nahm ein Sonnenbad. Die Nhe und der Horizont waren mit eisig glnzenden Berggipfeln und rosa schimmernden Felsschroffen angefllt. Schlielich stieg er wieder vom Stuhl herunter, wusch und rasierte sich, zog den violetten Anzug an, umgrtete die langen Hosenbeine mit einem Paar Wickelgamaschen, das aus dem Weltkrieg stammte, und ging in den Frhstckssaal hinunter. Hier traf er Hagedorn. Sie begrten einander aufs herzlichste. Und der junge Mann sagte: Herr Kesselhuth ist schon auf der Skiwiese. Dann frhstckten sie grndlich. Durch die groen Fenster blickte man in den Park. Die Bume und Bsche sahen aus, als ob auf ihren Zweigen Schnee blhe, genau wie Blumen blhen. Darber erhoben sich die Kmme und Gipfel der winterlichen Alpen. Und ber allem, hoch oben, strahlte wolkenloser, tiefblauer Himmel. Es ist so schn, da man aus der Haut fahren knnte! sagte Hagedorn. Was unternehmen wir heute? Wir gehen spazieren, meinte Schulze. Es ist vollkommen gleichgltig wohin. Er breitete sehnschtig die Arme aus. Die zu kurzen rmel rutschten vor Schreck bis an die Ellbogen. Dann sagte er: Ich warne Sie nur vor einem: Wagen Sie es nicht, mir unterwegs mitzuteilen, wie die einzelnen Berge heien! Hagedorn lachte. Keine Bange, Schulze! Mir geht's wie Ihnen. Man soll die Schnheit nicht duzen! Die Frauen ausgenommen, erklrte Schulze aufs entschiedenste. Wie Sie wnschen! sagte der junge Mann. Dann bat er einen der Kellner, er mge ihm doch aus der Kche einen groen leeren Marmeladeneimer besorgen. Der Kellner fhrte den merkwrdigen Auftrag aus, und die beiden Preistrger brachen auf. Onkel Polter berlief eine Gnsehaut, als er Schulzes Wickelgamaschen erblickte. Auch ber Hagedorns Marmeladeneimer konnte er sich nicht freuen. Es sah aus, als ob zwei erwachsene Mnner fortgingen, um im Sand zu spielen. Sie traten aus dem Hotel. Kasimir ist ber Nacht noch schner geworden! rief Hagedorn begeistert aus, lief zu dem Schneemann hinber, stellte sich auf die Zehenspitzen und stlpte ihm den goldgelben Eimer aufs Haupt. Dann bte er, schmerzverzogenen Gesichts, Schulterrollen und sagte: Dieser Stnzner hat mich vllig zugrunde gerichtet! Welcher Stnzner? fragte Schulze. Der Masseur Stnzner, erklrte Hagedorn. Ich komme mir vor, als htte man mich durch eine Wringmaschine gedreht. So hnlich mu sich Prokrustes gefhlt haben. Und das soll gesund sein? Das ist vorstzliche Krperverletzung! Es ist trotzdem gesund, behauptete Schulze. Wenn er bermorgen wiederkommt, sagte Hagedorn, schicke ich ihn in Ihre Rumpelkammer. Soll er sich bei Ihnen austoben! Da ffnete sich die Hoteltr, und Onkel Folter stapfte durch den Schnee. Hier ist ein Brief, Herr Doktor. Und in dem anderen Kuvert sind ein paar auslndische Briefmarken. Danke schn, sagte der junge Mann. Oh, ein Brief von meiner Mutter! Wie gefllt Ihnen brigens Kasimir? Darber mchte ich mich lieber nicht uern, erwiderte der Portier. Erlauben Sie mal! rief der junge Mann. Kasimir gilt unter Fachleuten fr den schnsten Schneemann zu Wasser und zu Lande! Ach so, sagte Onkel Polter. Ich dachte, Kasimir sei der Vorname von Herrn Schulze. Er verbeugte sich leicht und ging zur Hoteltr zurck. Dort drehte er sich noch einmal um. Von Schneemnnern verstehe ich nichts. Sie folgten einem Weg, der ber verschneites, freies Gelnde fhrte. Spter kamen Sie in einen Tannenwald und muten steigen. Die Bume waren uralt und riesengro. Manchmal lste sich die schwere Schneelast von einem der Zweige und stubte in dichten weien Wolken auf die zwei Mnner herab, die schweigend durch die mrchenhafte Stille spazierten. Der Sonnenschein, der streifig ber dem Bergpfad schwebte, sah aus, als habe ihn eine gtige Fee gekmmt. Als sie einer Bank begegneten, machten sie halt. Der Schnee lag auf ihr wie ein hohes Daunenkissen. Hagedorn schob den Schnee beiseite, und sie setzten sich. Ein schwarzes Eichhrnchen lief eilig ber den Weg. Nach einer Weile erhoben sie sich wortlos und gingen weiter. Der Wald war zu Ende. Sie gerieten auf freies Feld. Ihr Pfad schien im Himmel zu mnden. In Wirklichkeit bog er rechts ab und fhrte zu einem baumlosen Hgel, auf dem sich zwei schwarze Punkte bewegten. Hagedorn sagte: Ich bin glcklich! Bis weit ber die Grenzen des Erlaubten! Er schttelte befremdet den Kopf. Wenn man's so bedenkt: Vorgestern noch in Berlin. Seit Jahren ohne Arbeit. Und in vierzehn Tagen wieder in Berlin ... Glcklichsein ist keine Schande, sagte Schulze, sondern eine Seltenheit. Pltzlich entfernte sich der eine der schwarzen Punkte von dem anderen. Der Abstand wuchs. Der Punkt wuchs auch. Es war ein Skifahrer. Er kam mit unheimlicher Geschwindigkeit nher und hielt sich mit Mhe aufrecht. Da gehen jemandem die Schneeschuhe durch, meinte Hagedorn. Ungefhr zwanzig Meter von ihnen tat der Skifahrer einen marionettenhaften Sprung, strzte kopfber in eine Schneewehe und war verschwunden. Spielen wir ein bichen Feuerwehr! rief Schulze. Dann liefen sie querfeldein, versanken wiederholt bis an die Hften im Schnee und halfen einander, so gut es ging, vorwrts. Endlich erblickten sie ein Paar zappelnde Beine und ein Paar Skibretter und zogen und zerrten an dem fremden Herrn, bis er, dem Schneemann Kasimir nicht unhnlich, zum Vorschein kam. Er hustete und prustete, spuckte pfundweise Schnee aus und sagte dann tieftraurig: Guten Morgen, meine Herren. Es war Johann Kesselhuth. Herr Schulze lachte Trnen. Doktor Hagedorn klopfte den Schnee vom Anzug des Verunglckten. Und Kesselhuth befhlte mitrauisch seine Gliedmaen. Ich bin anscheinend noch ganz, meinte er dann. Weshalb sind Sie denn in diesem Tempo den Hang heruntergefahren? fragte Schulze. Kesselhuth sagte rgerlich: Die Bretter sind gefahren. Ich doch nicht! Nun kam auch der Graswander Toni angesaust. Er fuhr einen eleganten Bogen und blieb mit einem Ruck stehen. Aber, mein Herr! rief er. Schufahren kommt doch erst in der fnften Stunde dran! Nach dem Mittagessen gingen die drei Mnner auf die Hotelterrasse hinaus, legten sich in bequeme Liegesthle, schlssen die Augen und rauchten Zigarren. Die Sonne brannte heier als im Sommer. In ein paar Tagen werden wir wie die Neger aussehen, meinte Schulze. Braune Gesichtsfarbe tut Wunder. Man blickt in den Spiegel und ist gesund. Die anderen nickten zustimmend. Nach einiger Zeit sagte Hagedorn: Wissen Sie, wann meine Mutter den Brief geschrieben hat, der heute ankam? Whrend ich in Berlin beim Fleischer war, um Wurst fr die Reise zu holen. Wozu diese berstrzung? fragte Kesselhuth verstndnislos. Damit ich bereits am ersten Tage Post von ihr htte! Aha! sagte Schulze. Ein sehr schner Einfall. Die Sonne brannte. Die Zigarren brannten nicht mehr. Die drei Mnner schliefen. Herr Kesselhuth trumte vom Skifahren. Der Graswander Toni stand auf dem einen Turm der Mnchner Frauenkirche. Und er, Kesselhuth, stand auf dem andern Turm. Und jetzt eine kleine Schufahrt, sagte der Toni. ber das Kirchendach, bitte schn. Und dann, mit einem stilreinen Sprung, in die Brienner Strae. Vorm Hofgarten, beim Annast, machen S' einen Stemmbogen und warten auf mich. Ich fahre nicht, erklrte Kesselhuth. Das wrde mir nicht einmal im Traum einfallen! Hierbei fiel ihm ein, da er trumte! Da wurde er mutig und sagte zum Toni: Rutschen Sie mir in stilreinen Stemmbgen den Buckel runter! Anschlieend lchelte er im Schlaf. Das zehnte Kapitel Herrn Kesselhuths Aufregungen Als Hagedorn erwachte, waren Schulze und Kesselhuth verschwunden. Aber an einem der kleinen Tische, nicht weit von ihm, sa Frau von Mallebr und trank Kaffee. Ich habe Sie beobachtet, Herr Doktor, sagte sie. Sie haben Talent zum Schlafen! Das will ich meinen! gab er stolz zur Antwort. Habe ich geschnarcht? Sie verneinte und lud ihn zu einer Tasse Kaffee ein. Er setzte sich zu ihr. Sie sprachen zunchst ber das Hotel und die Alpen und ber das Reisen. Dann sagte sie: Ich habe das Gefhl, mich bei Ihnen entschuldigen zu mssen, da ich eine so oberflchliche Frau bin. Ja, ja, ich bin oberflchlich. Es stimmt leider. Aber ich war nicht immer so. Mein Wesen wird jeweils von dem Manne bestimmt, mit dem ich zusammenlebe. Das ist bei vielen Frauen so. Wir passen uns an. Mein erster Mann war Biologe. Damals war ich sehr gebildet. Mein zweiter Mann war Rennfahrer, und in diesen zwei Jahren habe ich mich nur fr Autos interessiert. Ich glaube, wenn ich mich in einen Turner verliebte, wrde ich die Riesenwelle knnen. Hoffentlich heiraten sie niemals einen Feuerschlucker, meinte Hagedorn. berdies soll es Mnner geben, denen das Anpassungsbedrfnis der Frau auf die Nerven geht. Es gibt berhaupt nur solche Mnner, sagte sie. Aber ein, zwei Jahre lang findet es jeder reizend. Sie machte eine Kunstpause. Dann fuhr sie fort: Ich habe groe Angst, da meine Oberflchlichkeit chronisch wird. Aber ohne fremde Hilfe finde ich nicht heraus. Wenn ich Sie richtig verstehe, halten Sie mich fr einen besonders energischen und wertvollen Menschen. Sie verstehen mich richtig, erwiderte sie und sah ihn zrtlich an. Ihre Ansicht ehrt mich, sagte er. Aber ich bin doch schlielich kein Gesundbeter, gndige Frau! Das ist falsch ausgedrckt, meinte sie leise. Ich will doch nicht mit Ihnen beten! Er stand auf. Ich mu leider fort und meine Bekannten suchen. Wir werden das Gesprch ein andermal fortsetzen. Sie gab ihm die Hand. Ihre Augen blickten verschleiert. Schade, da Sie schon gehen, lieber Doktor. Ich habe sehr groes Vertrauen zu Ihnen. Er machte sich aus dem Staube und suchte Schulze, um sich auszuweinen. Er suchte Schulze, fand aber Kesselhuth. Dieser sagte: Vielleicht ist er in seinem Zimmer. Sie begaben sich also ins fnfte Stockwerk. Sie klopften. Weil niemand antwortete, drckte Hagedorn auf die Klinke. Die Tr war nicht verschlossen. Sie traten ein. Das Zimmer war leer. Wer wohnt hier? fragte Kesselhuth. Schulze, antwortete der junge Mann. Das heit, von Wohnen kann natrlich gar keine Rede sein. Es ist seine Schlafstelle. Er kommt am spten Abend, zieht seinen Mantel an, setzt die rote Pudelmtze auf und legt sich ins Bett. Herr Kesselhuth schwieg. Er konnte es nicht fassen. Na, gehen wir wieder! meinte Hagedorn. Ich komme nach, sagte der andere. Das Zimmer interessiert mich. Als der junge Mann gegangen war, begann Herr Kesselhuth aufzurumen. Der Spankorb stand aufgeklappt auf dem Fuboden. Die Wsche war durchgewhlt. Der Mantel lag auf dem Bett. Schlipse, Rllchen und Socken huften sich auf dem Tisch. Im Krug und im Waschbecken war kein frisches Wasser. Johann hatte Trnen in den Augen. Nach zwanzig Minuten war Ordnung! Der Diener holte aus seinem eleganten Jackett ein Etui hervor und legte drei Zigarren und eine Schachtel Streichhlzer auf den Tisch. Dann eilte er treppab, durchstberte seine Koffer und Schrnke und kehrte, ber die Dienstbotentreppe schleichend, in die Dachkammer zurck. Er brachte ein Frottierhandtuch, einen Aschenbecher, eine Kamelhaardecke, eine Vase mit Tannengrn, eine Gummiwrmflasche und drei pfel angeschleppt. Nachdem er die verschiedenen Gaben aufgestellt und hingelegt hatte, blickte er sich noch einmal prfend um, notierte einiges in seinem Notizbuch und ging, wieder ber die Hintertreppe, in sein vornehm eingerichtetes Zimmer zurck. Er war niemandem begegnet. Hagedorn, der im Schreibsalon, im Spielzimmer, in der Bar, in der Bibliothek und sogar auf der Kegelbahn gesucht hatte, wute sich keinen Rat mehr. Das Hotel lag wie ausgestorben. Die Gste waren noch in den Bergen. Er ging in die Halle und fragte den Portier, ob er eine Ahnung habe, wo Herr Schulze stecke. Er ist auf der Eisbahn, Herr Doktor, sagte Onkel Folter. Hinterm Haus. Der junge Mann verlie das Hotel. Die Sonne ging unter. Es schimmerten nur noch die hchsten Gipfel.  Die Eisbahn befand sich auf dem Tennisgelnde. Aber es lief niemand Schlittschuh. Die Eisflche war hoch mit Schnee bedeckt. Am anderen Ende der Bahn schippten zwei Mnner. Hagedorn hrte sie reden und lachen. Er ging an dem hohen Drahtgitter entlang, um den Platz herum. Als er nahe genug war, rief er: Entschuldigen Sie, haben Sie einen groen lteren Herrn gesehen, der Schlittschuh laufen wollte? Einer der beiden Arbeiter rief laut zurck: Jawohl, mein Lieber! Der groe ltere Herr schippt Schnee! Schulze? fragte Hagedorn. Sind Sie's wirklich? Ihnen ist wohl die Sicherung durchgebrannt? Keineswegs! antwortete Schulze heiter. Ich treibe Ausgleichsgymnastik! Er hatte die rote Pudelmtze auf dem Kopf sitzen, trug die schwarzen Ohrenklappen, die dicken Strickhandschuhe und zwei Paar Pulswrmer. Der Portier hat mich als technische Nothilfe eingesetzt. Hagedorn betrat, tastenden Schritts, die gekehrte Eisflche und lief vorsichtig zu den beiden Mnnern hinber. Schulze schttelte ihm die Hand. Aber das gibt's doch gar nicht, meinte der junge Mann verstrt. So eine Unverschmtheit! Das Hotel hat doch Angestellte genug! Sepp, der Grtner und Skihallenwchter, spuckte in die Hnde, schippte weiter und sagte: Freilich hat es das. Es drfte eine Schikane sein. Ich kann das nicht finden, erklrte Schulze. Der Portier ist um meine Gesundheit besorgt. Kommen Sie sofort hier weg! sagte Hagedorn. Ich werde den Kerl ohrfeigen, bis er weie Muse sieht! Mein Lieber, sagte Schulze. Ich bitte Sie noch einmal, sich nicht in diese Angelegenheit hineinzumischen. Ist noch eine Schippe da? fragte der junge Mann. Das schon, meinte der Sepp. Aber der halbe Platz ist gekehrt. Das andere schaff ich allein. Gehen S' jausen, Herr Schulze! War ich sehr im Wege? fragte der ltere Herr schchtern. Der Sepp lachte. Leicht! Studiert haben S' nicht auf das Schippen. Schulze lachte auch. Er verabschiedete sich kollegial, drckte dem Einheimischen ein paar Groschen in die Hand, lehnte sein Handwerkszeug ans Gitter und ging mit Hagedorn durch den Park ins Hotel zurck. Morgen lauf ich Schlittschuh, sagte er. Aber vielleicht kann ich's gar nicht mehr. Zu dumm, da keine Wrmbude da ist. Das war immer das Schnste am Eislaufen. Ich rgere mich, gestand Hagedorn. Wenn Sie jetzt keinen Krach machen, werden Sie sptestens bermorgen die Treppen scheuern. Beschweren Sie sich wenigstens beim Direktor! Der Direktor steckt doch auch dahinter. Man will mich hinausekeln. Ich finde es sehr spannend. Schulze schob seinen Arm unter den des jungen Mannes. Es ist eine Marotte von mir. Knurren Sie nicht! Vielleicht verstehen Sie mich spter einmal! Das glaube ich kaum, antwortete Hagedorn. Sie sind zu gutmtig. Deshalb haben Sie's auch in Ihrem Leben zu nichts gebracht. Der andere mute lcheln. Genauso ist es. Ja, es kann nicht jeder Mensch Thronfolger von Albanien sein. Er lachte. Und nun erzhlen Sie mir ein bichen von Ihren Liebesaffren! Was wollte denn die dunkle Schnheit, die auf die Terrasse kam, um Ihren Schlaf zu bewachen? Es ist eine Frau von Mallebr. Und ich soll sie unbedingt retten. Sie gehrt nmlich zu den Frauen, die das Niveau des Mannes annehmen, in den sie gerade verliebt sind. Auf diesem Wege hat sie sich nun eine Oberflchlichkeit zugezogen, die sie endlich wieder loswerden will. Zu dieser Kur braucht sie umgehend einen gebildeten, geistig hochstehenden Menschen. Und der bin ich! Sie rmster, sagte Schulze. Wenn die Person nur nicht so hbsch wre! Na, und die Blondine aus Bremen, will die auch gerettet werden? Nein. Frau Casparius ist fr die einfachere Methode. Sie behauptet, wir zwei seien jung und unbeschftigt; und es sei eine Snde, wenn wir einander etwas abschlgen. Sie wollte sich bereits gestern abend die drei siamesischen Katzen ansehen. Vorsicht, Vorsicht! sagte Schulze. Welche gefllt Ihnen besser? Ich bin fr Flirts zu schwerfllig. Und ich mchte so bleiben. Auf Erlebnisse, ber die man sich hinterher rgert, bin ich nicht mehr neugierig. Andererseits: Wenn sich Frauen etwas in den Kopf gesetzt haben, fhren sie es meistens durch. Sagen Sie, Schulze, knnten Sie nicht ein bichen auf mich aufpassen? Wie eine Mutter, erklrte der andere pathetisch. Die bsen Frauen drfen Ihnen nichts tun. Verbindlichen Dank, sagte Hagedorn. Als Belohnung kriege ich aber jetzt in Ihrem Salon einen Kognak. Schneeschippen macht durstig. Auerdem mu ich den kleinen Katzen guten Tag sagen. Wie geht's ihnen denn? Sie haben schon nach Ihnen gefragt, erklrte der junge Mann. Whrenddessen sa der angebliche Schiffahrtslinienbesitzer Kesselhuth in seinem Zimmer und verfate einen verzweifelten Brief. Er schrieb: Liebes Frulein Hildegard! Ich habe mich wieder einmal zu frh gefreut. Ich dachte schon, es wre alles soweit gut und schn. Aber als Doktor Hagedorn und ich heute nachmittag den Herrn Geheimrat suchten, fanden wir ihn nicht. Hagedorn hat natrlich keine blasse Ahnung, wer Herr Schulze in Wirklichkeit ist. Wir suchten den Herrn Geheimrat in seinem Zimmer. Und das ist wohl das Verheerendste, was sich denken lt. Dieses Zimmer liegt im fnften Stock, hat lauter schiefe Wnde und ist berhaupt kein Zimmer, sondern eine Rumpelkammer mit Bett. Es gibt keinen Ofen und nichts. Das Fenster ist direkt berm Kopf. Der Schnee tropft herein und wird zu kleinen Eiszapfen. Ein Schrank ist keiner da. Sondern die Wsche liegt auf dem Tisch und in dem Spankorb, den Sie ja kennen. Wenn Sie diese hundekalte, elende Bude sehen wrden, fielen Sie sofort um. Von Frau Kunkel gar nicht zu reden. Ich habe selbstverstndlich sofort aufgerumt. Und Zigarren und pfel auf den Tisch gelegt. Nebst einer Vase mit Tannenzweigen drin. Als Schmuck. Morgen kauf ich eine elektrische Heizsonne im Ort. Hoffentlich gibt es eine solche. Die stelle ich heimlich hin. Ein Kontakt ist da. Heute hat mich niemand gesehen. Das ist ein Glck. Denn der Herr Geheimrat will nicht, da ich hinaufkomme. Weil ich ein reicher Mann sein mu. Und weil ich nicht merken soll, wie er wohnt. Er hat mir nmlich erzhlt, sein Zimmer sei reizend und luftig. Luftig ist es ja wirklich. Wenn er uns blo nicht krank wird! Nicht einmal die Zimmernummer hat er mir gesagt! Das Zimmer hat gar keine Nummer. Aber er verschwieg sie nicht nur deswegen, sondern auch, damit ich die Rumpelkammer nicht finde. Er htte sie allerdings auch nicht sagen knnen, wenn er gewollt htte. Doch er wollte ja gar nicht. Ich wei kaum, was ich machen soll. Denn wenn ich ihn bitte, umzuziehen oder abzureisen, wird er mich wieder beschimpfen. Oder ich mu sofort nach Berlin zurck, und was soll dann werden? Sie kennen ihn ja. Wenn auch nicht so lange wie ich. In dieser Rumpelkammer wrde bestimmt kein Diener wohnen bleiben, sondern beim Arbeitsgericht klagen. ber mich ist nichts weiter zu erzhlen. Heute frh hatte ich die erste Skistunde. Die Bretteln sind sehr teuer. Doch mir kann es nur recht sein. Ich soll ja das Geld hinauswerfen. Der Skilehrer heit Toni Graswander. Toni ist Anton. Ich habe ihn gefragt.  Er hat mir auf einer bungswiese gezeigt, wie man's machen soll. Das Absatzheben und die Stcke und andere Dinge. Leider lag die Wiese auf einem Berg. Und pltzlich fuhr ich ab, obwohl ich gar nicht wollte. Es hat sicher sehr komisch ausgesehen. Trotzdem hatte ich Angst, weil es so rasch fuhr. Ich bin, glaube ich, blo vor Schreck nicht hingefallen. Zum Glck waren keine Bume in der Gegend. Ich sauste sehr lange bergab. Dann fuhr ich ber eine groe Wurzel. Und sprang hoch. Und fiel mit dem Kopf in den Schnee. Mindestens einen Meter tief. Spter wurde ich von zwei Herren herausgezogen. Sonst wre ich eventuell erstickt. Die zwei Herren waren der Herr Geheimrat und der Doktor Hagedorn. Das war sicher Schicksal. Finden Sie nicht auch? Morgen habe ich die zweite Stunde. Das hilft nun alles nichts. Liebes Frulein Hilde, jetzt ziehe ich den Smoking an und gehe zum Abendessen. Vorlufig die herzlichsten Gre. Ich lasse das Kuvert offen. Womglich ist schon wieder etwas Neues eingetreten. Hoffentlich nein. Also bis nachher. Das Abendessen verlief ohne Strungen. Hagedorn bekam Nudeln mit Rindfleisch. Die Herrschaften, die an den Nachbartischen saen und Hors d'ceuvres und gestowte Rebhhner verzehrten, blickten auf Hagedorns Terrine, als sei Nudelsuppe mit Rindfleisch die ausgefallenste Delikatesse. Schulze bekam einen Teller ab, weil er sagte, er esse es fr sein Leben gern. Dann ging er schlafen. Er war mde. Als er in seine Dachkammer trat, staunte er nicht wenig. Er kannte sich nicht mehr aus, bewunderte die Ordnung, beschnupperte die Zigarren und pfel und streichelte die Tannenzweige. Die Gummiwrmflasche schob er verchtlich beiseite. Aber die Kamelhaardecke breitete er bers Bett. Er war ber Johanns heimliche Frsorge gerhrt, nahm sich jedoch vor, Herrn Kesselhuth am nchsten Tag auszuzanken. Dann kleidete er sich zum Schlafengehen an, holte einen der pfel vom Tisch, kroch ins Bett, lschte das Licht aus und bi begeistert in den Apfel hinein. Es war fast wie in der Kindheit.  Hagedorn und Kesselhuth saen noch in der Halle und rauchten Zigarren. Sie schauten dem eleganten Treiben zu. Karl der Khne kam an den Tisch und erkundigte sich, ob die Herren den Tag angenehm verbracht htten. Dann entfernte er sich wieder, um andere Gste zu begren und um sich in der Bar als Tnzer zu bettigen. Frulein Marek tanzte mit ihm am liebsten. Hagedorn erzhlte sein Erlebnis von der Eisbahn. Herr Kesselhuth geriet vollkommen auer sich. Er war unfhig, sich noch zu unterhalten, entschuldigte sich und ging stracks in sein Zimmer. Hagedorn wurde etwas spter von einem schlesischen Fabrikanten ins Gesprch gezogen, der herausfinden wollte, ob der junge Millionr geneigt sei, sich mit etlichen hunderttausend Mark an der Wiedererffnung einer vor Jahren stillgelegten Grospinnerei zu beteiligen. Hagedorn betonte unentwegt, da er keinen Pfennig Geld besitze. Aber Herr Spalteholz hielt das fr Ausflchte und pries die Gewinnmglichkeiten in immer glhenderen Farben. Schlielich lud er den Herrn Doktor in die Bar ein. Hagedorn lief geduldig mit. Um den reichlich zwecklosen Gesprchen zu entgehen, tanzte er abwechselnd mit Frau von Mallebr und Frau Casparius. Herr Spalteholz aus Gleiwitz sa meistens allein am Tisch und lchelte gewinnend. Hagedorn merkte allmhlich, da es sich lohnte, bald mit der einen, bald mit der anderen Dame zu tanzen. Die Eifersucht wuchs. Die Rivalin trat in den Vordergrund. Und der Mann, um den sich's drehte, wurde Nebensache. Er verschwand, ohne sich lange zu verabschieden, besuchte rasch noch den Schneemann Kasimir, verschnte ihn durch einen Schnurrbart aus zwei Raubvogelfedern, die er im Walde gefunden hatte, und ging in sein Appartement. Auch er war mde. Inzwischen beendete Johann den Brief an Frulein Tobler. Der Schlu lautete folgendermaen: Ich habe schon wieder etwas erfahren. Etwas Entsetzliches, gndiges Frulein! Am Nachmittag hat der Portier, ein widerlicher Kerl, den Herrn Geheimrat auf die Eisbahn geschickt. Dort mute er mit einem gewissen Sepp Schnee schippen. Ist es nicht grauenhaft, da ein so gebildeter Mann wie Ihr Herr Vater in einem Hotel als Straenkehrer beschftigt wird? Der Herr Geheimrat soll allerdings sehr gelacht haben. Und er hat dem Doktor Hagedorn verboten, etwas dagegen zu unternehmen. Dabei knnte der Herr Doktor sehr viel erreichen, da man ihn ja fr den Millionr hlt. Ich bin restlos durcheinander, liebes Frulein Hilde! Soll ich mich hineinmischen? Ihr Herr Vater tut ja trotzdem, was er will. Schreiben Sie mir doch bitte umgehend! Falls Sie es fr richtig halten sollten, werde ich mit dem Herrn Geheimrat furchtbar zanken und verlangen, da er ein anderes Zimmer nimmt oder abreist oder sich zu erkennen gibt. Der Herr Doktor sagt selber: Wenn das so weitergeht, mu Schulze nchstens die Treppen scheuern und Kartoffeln schlen. Glauben Sie das auch? Der Herr Geheimrat soll in Bruckbeuren scheuern? Er hat doch keine Ahnung, wie das gemacht wird! Ich warte dringend auf Nachricht von Ihnen und verbleibe mit den besten Gren Ihr unverbrchlicher Johann Kesselhuth. Das elfte Kapitel Der einsame Schlittschuhlufer Am nchsten Morgen frhstckten die drei Mnner gemeinsam. Der Tag war noch schner als der vorige. Es hatte nachts nicht geschneit. Die Luft war frostklar. Die Sonne malte tiefblaue Schatten in den Schnee. Und der Oberkellner teilte mit, da soeben vom Wolkenstein herrlichste Fernsicht gemeldet worden sei. Die Gste wimmelten im Frhstckssaal wie ein Nomadenstamm, der zur Vlkerwanderung aufbricht. Was unternimmt man heute? fragte Schulze. Dann holte er, mit gespielter Umstndlichkeit, eine Zigarre hervor, zndete sie an und musterte, ber das brennende Streichholz hinweg, den edlen Spender. Johann wurde rot. Er griff in die Tasche und legte drei Billetts auf den Tisch. Wenn es Ihnen recht ist, sagte er, fahren wir mit der Drahtseilbahn auf den Wolkenstein. Ich habe mir erlaubt, Fahr- und Platzkarten zu besorgen. Der Andrang ist sehr gro. In einer halben Stunde sind wir dran. Allein mchte ich nicht fahren. Haben Sie Lust mitzukommen? Mittags mu ich allerdings wieder zurck. Wegen der zweiten Skistunde. Dreiig Minuten spter schwebten sie in einem rhombischen Kasten, der fnfzehn Personen fate, ber den waldigen Hgeln, die dem Wolkenstein vorgelagert sind, und fuhren in einem ziemlich steilen Winkel in den Himmel empor. So oft sie einen der betonierten Riesenmasten passierten, schwankte der Kasten bedenklich, und einige der eleganten Sportsleute wurden unter der braunen Gesichtsfarbe bla. Die Landschaft, auf die man hinunterblickte, wurde immer gewagter. Und der Horizont wich immer weiter zurck. Die Abgrnde vertieften sich. Die Baumgrenze wurde berquert. Sturzbche fielen an schroffen Felswnden hinab ins Ungewisse. Im Schnee sah man Wildspuren. Endlich, nach dem siebenten Pfeiler, waren die Abgrnde berwunden. Die Erde kam wieder nher. Die Landschaft nahm, auf einer hheren Ebene, wieder gemigte Formen an. Und die sonnenberglnzten, weien Hnge wimmelten von Skifahrern. Es sieht aus wie weier Musselin mit schwarzen Tupfen, sagte eine Frau. Die meisten Fahrgste lachten. Aber sie hatte recht. Kurz darauf gab es einen letzten herzhaften Ruck, und die Endstation, zwlfhundert Meter ber Bruckbeuren, war erreicht. Die Passagiere stolperten, von der Fahrt und der dnnen Luft benommen, ins Freie, bemchtigten sich ihrer Schneeschuhe, schulterten sie und kletterten zum Berghotel Wolkenstein hinauf, um von dort aus eine der gepriesenen fnfundvierzig Abfahrten in Angriff zu nehmen. Wohin man sah, zogen Schneeschuhkarawanen. Noch an den fernsten Steilhngen sausten winzige Skirudel zu Tale. Vor den Veranden des Hotels standen Touristen in Scharen und bohnerten ihre Bretteln; denn hier oben hatte es nachts Neuschnee gegeben. Nur auf der groen hlzernen Sonnenterrasse ging es friedlich zu. Hier gab es lange Reihen von Liegesthlen. Und in diesen Liegesthlen schmorten eingelte Gesichter und Unterarme. Fnfzehn Grad unter Null, sagte das eine Gesicht. Und trotzdem kriegt man den Sonnenstich. Tun Sie, was Sie nicht lassen knnen, erklrte ein anderes krebsrotes Gesicht. Schulze hielt seine Begleiter fest. Meine Herren, meinte er, jetzt kaufen wir uns ein Flschchen Nul, salben alles, was aus dem Anzug herausguckt, und pflanzen uns hin. Hagedorn verschwand im Haus und besorgte l. Kesselhuth und Schulze annektierten drei Liegesthle. Dann fetteten sie sich ein und lieen sich rsten. Der reinste Grill-Room, behauptete Schulze. Wenn man die Augen halb ffnete, erblickte man unabsehbare Gipfelketten, in vielen Zackenreihen hintereinander geschichtet, und dort, wo sie mit dem Firmament zusammenstieen, blitzte, durch die gesenkten Wimpern, ein eisiges Feuerwerk aus Gletschern und Sonne. Eine Stunde hielten sie das Gebratenwerden aus, dann erhoben sie sich. Sie lobten wechselseitig ihre Hautfarbe, tranken Limonade und ergingen sich. Kesselhuth lie sich von einem steinalten Fernrohrbesitzer die bekanntesten Berge zeigen und ruhte nicht, bis er Gemsen gesehen hatte. Es konnte auch ein Irrtum gewesen sein. Die unermdliche Drahtseilbahn spie immer neue Skifahrer aus. Die schmalen, von hohen Schneemauern eingesumten Wege waren belebter als die Straen der Weltstdte. Und nachdem es einer schicken jungen Dame, die ihre Schneeschuhe geschultert trug, mit Hilfe einer unbedachten Wendung gelungen war, Herrn Schulze die Pudelmtze vom Kopf zu schlagen, gaben sie die Wanderung durch die Stille der Natur auf. Der Verkehr war lebensgefhrlich. Als sie in den Wagen der Drahtseilbahn steigen wollten, stieen sie mit Frau Casparius zusammen. Sie war eben angekommen. Der dicke Herr Lenz schleppte seine und ihre Schneeschuhe und dampfte. Die Bremer Blondine trat zu Hagedorn und brachte ihren schwungvollen Jumper zur Geltung. Sie kommen doch heute abend zu dem Kostmfest? sagte sie. Dann nickte sie und stiefelte betont burschikos bergan. Nach dem Mittagessen wurde Kesselhuth feierlich vom Graswander Toni abgeholt. Bittschn, sagte der Toni. Es ist wegen der Regelmigkeit. Gehn wir! Johann nickte, trank einen Schluck Kaffee und zog an seiner Zigarre. Sie sollten ber Tag nicht rauchen, erklrte der Toni. Das ist unsportlich, bittschn. Kesselhuth legte folgsam die Zigarre beiseite und stand auf. Please, Sir, sagte der Toni und trollte sich. Herr Kesselhuth verabschiedete sich traurig und trabte hinter dem Skilehrer her. Als ob er zur Schlachtbank gefhrt wrde, meinte Hagedorn. Aber der Skianzug ist fabelhaft! Kein Wunder, sagte Schulze stolz. Er ist ja auch bei meinem Schneider gearbeitet worden. Hagedorn lachte herzlich und fand die Bemerkung groartig. Geheimrat Tobler war froh, da seine unbedachte uerung als Witz aufgenommen worden war, und lachte, allerdings ein bichen krampfhaft, mit. Dann blieb er jedoch nicht mehr lange sitzen und sagte: Mahlzeit! Jetzt geht Papa Schlittschuh laufen. Darf ich mitkommen? Schulze hob abwehrend die Hand. Lieber nicht! Sollte sich wider Erwarten herausstellen, da ich es berhaupt noch kann, fhre ich morgen vor geladenem Publikum etliche Eistnze vor. Das mag Ihnen zum Trost gereichen. Der junge Mann wnschte Hals- und Beinbruch und zog sich ins Schreibzimmer zurck, um seiner Mutter einen ausfhrlichen Brief zu schreiben. Herr Schulze holte seine Schlittschuhe aus der fnften Etage und begab sich zur Eisbahn. Er hatte Glck, er war der einzige Fahrgast. Mhsam schnallte er die rostigen Schlittschuhe an die schweren rindsledernen Stiefel. Dann stellte er sich auf die blitzblanke Flche und wagte die ersten Schritte. Es ging. Er verschrnkte die Hnde auf dem Rcken und lief, noch etwas zaudernd, einmal rund um die Bahn. Dann blieb er aufatmend stehen und freute sich. Man war eben doch ein verfluchter Kerl! Nun wurde er wagemutiger. Er begann Bogen zu fahren. Der Rechtsbogen klappte besser als der linke. Aber das war schon so gewesen, als er noch in die Schule ging. Das war nicht mehr zu ndern. Er berlegte sich, was er damals alles gekonnt hatte. Er holte mit dem linken Bein Schwung und fuhr eine Drei. Erst einen Auswrtsbogen, dann eine winzige Schleife und abschlieend einen Rckwrtsbogen. Donnerwetter, sagte er hochachtungsvoll zu sich selber. Gelernt ist gelernt. Und nun riskierte er eine aus rechten Auswrts- und Einwrtsbogen zusammengestellte Acht. Das klappte auch! Die beiden Ziffern waren gro und deutlich in die Eisflche graviert. Und jetzt eine Pirouette, sagte er laut, holte mit dem linken Bein und beiden Armen Schwung, drehte sich etwa zehnmal wie ein Kreisel um sich selber, lachte bermtig, da zog ihm eine unsichtbare Macht die Fe vom Eis! Er gestikulierte, es half nichts, er schlug lang hin, der Hinterkopf drhnte, das Eis knisterte, die Rippen schmerzten, Schulze lag still. Er lag mit offenen Augen und blickte verwundert himmelwrts. Minutenlang rhrte er sich nicht. Dann schnallte er die Schlittschuhe ab. Ihn frstelte. Er stellte sich auf die Fe, hinkte bers Eis zur Gittertr, drehte sich noch einmal um, lchelte wehmtig und sagte: Wenn's dem Esel zu wohl wird... Am spten Nachmittag saen die drei Mnner im Lesezimmer, studierten die Zeitungen und sprachen ber wichtige Ereignisse der letzten Zeit. Sie wurden von Professor Heltai, dem Tanzlehrer des Hotels, unterbrochen. Er trat an den Tisch und bat Herrn Schulze, ihm zu folgen. Schulze ging mit. Nach einer Viertelstunde fragte Kesselhuth: Wo bleibt eigentlich Schulze? Vielleicht lt er sich Unterricht in modernen Tnzen geben? Nicht sehr wahrscheinlich, meinte Kesselhuth. (Er hatte Hagedorns Bemerkung ernst genommen.) Nach einer weiteren Viertelstunde brachen sie auf, Schulze zu entdecken. Sie fanden ihn, ohne grere Schwierigkeiten, in einem der Speisesle. Er stand spreizbeinig auf einer hohen Leiter, schlug gerade einen Nagel in die Wand und verknotete an diesem eine Wscheleine. Dann kletterte er herunter und schleppte die Leiter voller Eifer an die Nebenwand. Haben Sie Fieber? fragte Hagedorn besorgt. Schulze stieg auf die Leiter, nahm einen Nagel aus dem Mund und den Hammer aus der Anzugtasche. Ich bin gesund, sagte er. Ihr Benehmen spricht dagegen. Ich dekoriere, erklrte Schulze und schlug mit dem Hammer auf seinen Daumen. Dann knotete er das andere Ende der Leine fest. Sie hing jetzt quer durch den Saal. Eine allerliebste Beschftigung, meinte er und kletterte wieder herunter. Ich bin dem Professor der Tanzkunst behilflich. Da rckte Heltai mit zwei Stubenmdchen an, die einen groen Korb trugen. Die Mdchen reichten Schulze alte, zerlcherte Wschestcke hinauf, und er hngte sie dekorativ ber die Leine. Der Professor betrachtete die herabhngenden Hemden, Hosen, Strmpfe und Leibchen, kniff ein Auge zu, zwirbelte sein schwarzes Schnurrbrtchen und rief: Sehr fesch, mein Lieber! Schulze schob in einem fort die Leiter durch den Saal, kletterte hinauf und herunter und hngte unermdlich die dekorativen Fetzen auf. Die Stubenmdchen kicherten ber die zerlcherte, vorsintflutliche Unterwsche. Sogar ein riesiges Fischbeinkorsett war dabei. Der Professor rieb sich die Hnde. Sie sind ein Knstler, mein Lieber. Wann haben Sie das gelernt? Soeben, mein Lieber, sagte Schulze. Der Professor lie, ob dieser burschikosen Entgegnung, seinen Schnurrbart los. Andere Saalseite gleichfalls! rief er. Ich hole Luftschlangen und Ballons. Er verschwand. Schulze schkerte mit den Zimmermdchen und tat berhaupt, als seien Hagedorn und Kesselhuth lngst fort. Johann ertrug den Anblick nicht lnger. Er trat auf die Leiter zu und sagte: Lassen Sie mich hinauf! Fr zwei ist kein Platz, erwiderte Schulze. Ich will allein hinauf, sagte Kesselhuth. Das knnte Ihnen so passen, antwortete Schulze hochmtig. Spielen Sie lieber Bridge! Feine Leute knnen wir hier nicht gebrauchen! Kesselhuth ging zu Hagedorn. Wissen Sie keinen Rat, Herr Doktor? Ich hab's ja kommen sehen, meinte der junge Mann. Passen Sie auf: Morgen lt man ihn Kartoffeln schlen! Dann gingen die beiden, betrbt und im Gleichschritt, ins Lesezimmer zurck. Das zwlfte Kapitel Der Lumpenball Nach dem Abendessen, das eine Stunde frher als sonst stattgefunden hatte, eilten die Gste in ihre Zimmer und verkleideten sich. Gegen zehn Uhr abends fllten sich die Sle, die Halle, die Bar und die Korridore mit Apachen, Bettlern, Zigeunerinnen, Leierkastenmnnern, Indianerinnen, Einbrechern, Wilddieben, Zofen, Negern, Schulmdchen, Prinzessinnen, Schutzleuten, Menschenfressern, Spanierinnen, Vagabunden, hochbeinigen Pagen und Trappern. \ Es trafen brigens auch auswrtige Verbrecher, Gepcktrger und Wahrsagerinnen ein. Gste anderer Hotels. Sie unterschieden sich von den andern dadurch, da sie Eintritt zahlen muten. Sie taten es gern. Die Kostmblle im Grandhotel dauerten bis zum Morgengrauen. Die Direktion hatte zwei drfliche Kapellen engagiert. In smtlichen Slen erscholl Tanzmusik. Scharen von Einheimischen waren da, in ihren wunderschnen alten Trachten. Die Bauern sollten gegen Mitternacht bodenstndige Tnze vorfhren, Schuhplattler, Watschentnze und andere international berhmte Sitten und Gebruche. Die Tanzweisen vermischten sich, da in jedem Saal etwas anderes gespielt wurde, zu einem wilden, ohrenbetubenden Lrm. Papierschlangen und Konfetti flogen durch die Luft. Bauernburschen trieben etliche Ziegen und ein schreckhaftes Schwein durch die Sle. Das Ferkel und die zur Lustigkeit entschlossenen Damen quiekten um die Wette. In der Halle war eine Tombola errichtet. Alles, was berflssig und entbehrlich ist, war in Pyramidenform vereinigt worden. (Die Lose und die Gewinne bezog der Tanzlehrer seit Jahren von einer Mnchner Firma. Und der Reingewinn der Lotterie fiel, auf Grund eines Gewohnheitsrechtes, an ihn.) Kesselhuth hatte whrend des Abendessens mitgeteilt, da im Groen Saal ein Tisch mit drei Sthlen reserviert sei. Schulze und Hagedorn saen, von verkleideten Menschen umgeben, an dem fr sie bestellten Tisch und warteten auf den Besitzer der gutgehenden Schiffahrtslinie. Doktor Hagedorn war hemdsrmlig. Den Hals umschlang ein groes rotes Taschentuch. Auf dem Kopf trug er eine schief und tief ins Gesicht gezogene Reisemtze. Er stellte ganz offensichtlich einen Apachen dar. Schulze hatte sich noch weniger verwandelt. Er trug, diesmal allerdings innerhalb des Hotels, seine bliche sportliche Ausrstung: den violetten Anzug, die Wickelgamaschen, die kleeblttrigen Manschettenknpfe, die schwarzsamtenen Ohrenklappen und die feurig rote Pudelmtze. Ihm wurde langsam hei. Wo sind die Schlittschuhe? fragte Hagedorn. Hren Sie auf! bat Schulze. Erinnern Sie mich nicht an meinen Hinterkopf! Ich hatte vllig vergessen, wie hart so eine Eisbahn sein kann. Als Schlittschuhlufer werde ich nicht mehr auftreten. Und Sie hatten sich so darauf gefreut, sagte Hagedorn mitleidig. Das ist nicht weiter schlimm, erklrte Schulze. Ich hatte mich vorbergehend in meinem Alter geirrt. Er lchelte freundlich. Wie gefallen Ihnen aber meine Dekorationen, junger Freund? Er schaute sich zufrieden um. Hagedorn erklrte, hingerissen zu sein. Das ist recht, sagte Schulze. Wo jedoch steckt unser lieber Kesselhuth? In diesem Augenblick fllte jemand, der hinter ihnen stand, die drei Weinglser. Wir haben keinen Wein bestellt, sagte Hagedorn erschrocken. Ich mchte ein helles Bier haben. Ich meinerseits auch, meinte Schulze. Da lachte der Kellner. Und als sie sich erstaunt umdrehten, war es gar kein Kellner, sondern Herr Johann Kesselhuth. Er trug die Toblersche Livree, seinen altgewohnten, geliebten Anzug, und blickte Herrn Schulze, um Entschuldigung bittend, in die Augen. Groartig! rief Hagedorn. Ich will Sie nicht krnken, Herr Kesselhuth, aber Sie sehen wie der geborene herrschaftliche Diener aus! Ich fhle mich nicht gekrnkt, Herr Doktor, sagte Kesselhuth. Wenn ich nicht Alexander wre, mchte ich Diogenes sein. Die drei Mnner amsierten sich kniglich. Jeder auf seine Weise. Herr Kesselhuth beispielsweise stand, obwohl er schlielich Besitzer einer Schiffahrtslinie war, glckselig lchelnd hinter dem Stuhl, auf dem Schulze sa, und nannte den armen Kerl, der die Eisbahn hatte kehren mssen, bei jeder Gelegenheit gndiger Herr. Und Schulze rief den Reeder Kesselhuth unentwegt beim Vornamen. Johann, bitte Feuer! Und: Johann, Sie trinken zuviel! Und: Johann, besorgen Sie uns drei Schinkenbrote! Hagedorn meinte: Kinder, das klappt, als ob ihr die Rollen jahrelang einstudiert httet. Sie sind ein Schlaumeier, sagte Schulze. Und Kesselhuth lachte geschmeichelt. Spter kam der dicke Herr Lenz an den Tisch. Er hatte sich als Kaschemmenwirt verkleidet, trug eine halbleere Flasche Danziger Goldwasser unterm Arm und fragte Schulze, ob er sich denn nicht an der Prmiierung der drei gelungensten Lumpenkostme vormerken lassen wolle. Sie kriegen todsicher den ersten Preis, sagte er. So echt wie Sie knnen wir andern gar nicht aussehen! Wir sind ja blo verkleidet. Schulze lie sich berreden und ging mit Lenz zu Professor Heltai, der die Startnummern fr den Wettbewerb zu verteilen hatte. Doch der Tanzlehrer zwirbelte den Schnurrbart und sagte: Tut mir leid, mein Lieber. Sie fallen nicht unter die Bestimmungen. Sie sind nicht kostmiert. Sie sehen nur so aus. Sie sind ein Professional. Lenz war, weil er Rheinlnder war, leicht erregbar. Aber der Professor blieb hart. Ich habe meine Anweisungen, erklrte er abschlieend. Na denn nicht, liebe Tante! sagte Schulze und machte kehrt. Als er zum Tisch zurckkam, war Hagedorn verschwunden. Johann hockte solo und sprach dem Alkohol zu. Ein kleines Schulmdchen, in einem kurzen Rock und mit einem Ranzen auf dem Rcken, hat ihn weggeholt, berichtete er. Es war die Dame aus Bremen. Sie gingen auf die Suche und gerieten versehentlich an die Tombola. Johann kaufte, auf Toblers leisen Befehl, dreiig Lose. Acht Gewinne waren darunter! Und zwar eine gerahmte Alpenlandschaft, die von einem einheimischen lmaler stammte. Ein groer Teddybr, der Muh! sagen konnte. Eine Flasche Klnischwasser. Noch eine Flasche Klnischwasser. Noch ein Teddybr. Eine Rolle Papierschlangen. Ein Karton Briefpapier. Und noch eine Flasche Klnischwasser. Sie beluden sich mit den Gewinnen und lieen im Nebenraum eine Blitzlichtaufnahme machen. Des Jgers Heimkehr, meinte der Geheimrat. Und dann drngten sie sich weiter durch das Gewhl. Von Saal zu Saal. Durch alle Korridore. Aber Hagedorn war nicht zu finden. Wir mssen ihn finden, Johann, sagte der Geheimrat. Das Bremer Schulmdchen hat ihn natrlich verschleppt. Dabei hat er mich auf beiden Knien beschworen, ihm eine Art Mutter zu sein. In der Bar war der verlorene Sohn auch nicht. Johann nahm die Gelegenheit wahr und begann die Gewinne wegzuschenken. Das Klnischwasser fand bei den Bauernmdchen reienden Absatz. Eine der Hollnderinnen bekam ungefragt die lgemalte Alpenlandschaft in die Hand gedrckt und bedankte sich hollndisch. Wir verstehen dich ja doch nicht, erwiderte Johann unwillig, gab ihr den Karton mit dem Briefpapier als Zugabe und sagte: Kein Wort weiter! Sie kehrten an ihren Tisch zurck. Hagedorn war noch immer nicht da. Johann setzte die zwei Teddybren auf den dritten Stuhl. Der Geheimrat nahm die schwarzen Ohrenklappen ab. Es ist merkwrdig, erklrte er. Aber ohne Ohrenklappen schmeckt der Wein besser. Was, um alles in der Welt, hat das Gehr mit den Geschmacksnerven zu tun? Nichts, sagte Johann. Anschlieend begannen sie zu experimentieren. Sie hielten sich die Ohren zu und tranken. Sie hielten sich die Augen zu und tranken. Fllt Ihnen etwas auf? fragte Tobler. Jawohl, antwortete Johann. Smtliche Leute starren herber und halten uns fr bldsinnig. Was fllt Ihnen sonst noch auf? Man kann machen, was man will,  der Wein schmeckt groartig. Prosit! Whrenddem sa Frau Casparius, eine groe Schleife im Haar, und auch sonst als halbwchsiges Schulmdchen verkleidet, mit dem Apachen Fritz Hagedorn in dem verqualmten, berfllten Bierkeller. An ihrem Tisch saen auerdem noch viele andere Gste. Sie waren ebenfalls kostmiert, aber sie litten darunter. Das rund dreiigjhrige Schulkind klappte den Ranzen auf, holte eine Puderdose heraus und betupfte sich die freche Nase mit einer rosa Quaste. Der junge Mann sah ihr zu. Was machen die Schularbeiten, Kleine? Ich brauche dringend ein paar Nachhilfestunden. Vor allem in Menschenkunde. Da tauge ich gar nichts. Du mut warten, bis du grer wirst, riet er. Auf diesem Gebiet lernt man nur durch Erfahrung. Falsch, sagte sie. Wenn es darnach ginge, mte ich die Beste in der ganzen Klasse sein. Aber es geht nicht darnach. Schade. Dann war dein ganzer Flei vergeblich? Oh, du armes Kind! Sie nickte. Was willst du denn mal werden, wenn du aus der Schule kommst? Straenbahnschaffner, sagte sie. Oder Blumenfrster. Oder, am allerliebsten, Spazierfhrer. Aha. Das ist aber auch ein interessanter Beruf! Ich wollte eigentlich Schneemann werden. Schneeleute haben ber ein halbes Jahr Ferien. Heit es nicht Schneemnner? Es heit Schneeleute. Aber als Schneemann braucht man das Abitur. Und was sind Sie statt dessen geworden? fragte sie. Erst war ich Tortenzeichner, antwortete er. Und jetzt bin ich Selbstbinder. Man hat sein Auskommen. Ich besitze einen eigenen Wagen. Einen Autobus. Wegen der groen Verwandtschaft. Wenn du einmal in Berlin bist, fahr ich dich herum. Ich habe Blumenksten am Chassis. Das Schulmdchen klatschte in die Hnde. Schn! rief sie. Mit Pelargonien? Natrlich, sagte er. Andere Blumen passen berhaupt nicht zu Autobussen. Nun wurde es den anderen Leuten am Tisch endgltig zuviel. Sie zahlten und gingen fluchtartig ihrer Wege. Das Schulkind freute sich und sagte: Wenn wir noch lauter sprechen, haben wir in zehn Minuten das Lokal ganz fr uns allein. Der Plan zerschlug sich. Erst kam Lenz, der Kaschemmenwirt. Seine Flasche Goldwasser war leer. Er bestellte Burgunder und sang rheinische Lieder. Und dann erschien Frau von Mallebr. Mit Baron Keller. Sie ging, weil sie schne, schlanke Beine hatte, als Palastpage gekleidet. Keller trug seinen Frack. Man begrte einander so freundlich wie mglich. Im Frack? fragte Hagedorn erstaunt. Keller klemmte das Monokel noch fester. Ich kostmiere mich nie. Es liegt mir nicht. Ich kann so was nicht komisch finden. Aber im Frack zum Lumpenball! meinte das kleine Schulmdchen. Warum denn nicht? bemerkte der dicke Lenz. Es gibt auch Lumpen im Frack! Und dann lachte er ausschweifend. Der Baron verzog den Mund. Und Hagedorn erklrte, leider gehen zu mssen. Bleiben Sie doch noch, bat der Page. Und das Schulmdchen begann laut zu schluchzen. Ich habe mein Wort verpfndet, meinte der junge Mann. Wir Apachen sind ein emsiges Volk. Es handelt sich um einen Einbruch. Was wollen Sie denn stehlen? fragte Lenz. Einen greren Posten linker Handschuhe, sagte Hagedorn geheimnisvoll. Er legte einen Finger an den Mund und entfernte sich schnell. Die beiden lteren Herren winkten, als sie ihn kommen sahen. Wo waren Sie mit dem Schulmdchen? fragte Schulze sittenstreng. Habt ihr gut gefolgt? Lieber, mtterlicher Freund, sagte der junge Mann. Wir haben nur davon gesprochen, was die Kleine, wenn sie aus der Schule kommt, werden will. Pfui, Herr Doktor! rief Kesselhuth. Na, und was will sie werden? fragte Schulze. Sie wei es noch nicht genau. Entweder Blumenfrster oder Spazierfhrer. Die beiden lteren Herren versanken in Nachdenken. Dann sagte Kesselhuth, der sich wieder hinter Schulzes Stuhl gestellt hatte: Na denn Prost! Sie tranken. Und er fuhr fort: Gndiger Herr, darf ich mir eine Bemerkung erlauben? Ich bitte darum, Johann, sagte Schulze. Wir sollten jetzt vors Hotel gehen und auf Kasimirs Wohl trinken. Der Vorschlag wurde einstimmig angenommen. Kesselhuth belud sich mit einer Flasche und drei Glsern. Schulze bernahm die Teddybren. Dann spazierten die drei Mnner im Gnsemarsch durch die Sle. Hagedorn schritt voran. Im Grnen Saal strten sie die Preisverteilung fr die gelungensten Kostme. Im Kleinen Saal behinderten sie durch ihren Vorbeimarsch die von Professor Heltai arrangierten Tanz- und Pfnderspiele. Wrdig und ein wenig im Zickzack marschierend, bahnten sie sich unbeirrt ihren Weg. Der Portier, den besonders waghalsige Ballbesucher mit Konfetti und Papierschlangen verziert hatten, verbeugte sich vor Hagedorn und blickte giftig zu Schulze hinber, der die Teddybren emporhob und laut zu ihnen sagte: Schaut euch einmal den bsen Onkel an! So etwas gibt's wirklich. Kasimir, der Husaren-Schneemann, sah wieder ganz reizend aus. Die drei Mnner betrachteten ihn voller Liebe. Es schneite. Schulze trat vor. Bevor wir auf das Wohl unseres gemeinsamen Sohnes anstoen, sagte er feierlich, mchte ich ein gutes Werk tun. Es ist bekanntlich nicht gut, da der Mann allein sei. Auch der Schneemann nicht. Er ging langsam in Kniebeuge und setzte die Teddybren, einen zur Rechten und einen zur Linken Kasimirs, in den kalten Schnee. Nun hat er wenigstens, auch wenn wir fern von ihm weilen, Gesellschaft. Dann fllte Herr Kesselhuth die Glser. Aber der Rest Wein, der in der Flasche war, reichte nicht aus. Und Johann verschwand im Hotel, um eine volle Flasche zu besorgen. Nun standen Schulze und Hagedorn allein unterm Nachthimmel. Jeder hatte ein halbvolles Glas in der Hand. Sie schwiegen. Der Abend war sehr lustig gewesen. Aber die beiden Mnner waren pltzlich ziemlich ernst. Ein sich leise bewegender Vorhang von Schneeflocken trennte sie. Schulze hustete verlegen. Dann sagte er: Seit ich im Krieg war, habe ich keinen Mann mehr geduzt. Frauen, na ja. Da gibt es Situationen, wo man schlecht Sie sagen kann. Ich mchte, wenn es dir recht ist, mein Junge, den Vorschlag machen, da wir jetzt Brderschaft trinken. Der junge Mann hustete gleichfalls. Dann antwortete er: Ich habe seit der Universitt keinen Freund mehr gehabt. Ich htte mich nie getraut, Sie um Ihre Freundschaft zu bitten. Menschenskind, ich danke dir. Ich heie Eduard, bemerkte Schulze. Ich heie Fritz, sagte Hagedorn. Dann stieen sie mit den Glsern an, tranken und drckten einander die Hand. Kesselhuth, der, eine neue Flasche unterm Arm, aus der Tr trat, sah die beiden, ahnte die Bedeutung dieses Hndedrucks, lchelte ernst, machte behutsam kehrt und ging in das lrmende Hotel zurck. Das dreizehnte Kapitel Der groe Rucksack Mutter Hagedorns Paket traf am nchsten Tag ein. Es enthielt die Reklamearbeiten, die der Sohn verlangt hatte, und einen Brief. Mein lieber guter Junge! schrieb die Mutter. Vielen Dank fr die zwei Ansichtskarten. Ich bin auf dem Sprunge und will das Paket zum Bahnhof bringen, damit Du es schnell kriegst. Hoffentlich knicken die Ecken nicht um. Ich meine, bei den Paketen und Kunstdrucksachen. Und sage diesem Herrn Kesselhuth, wir mchten Deine Arbeiten gelegentlich zurckhaben. Solche Herrschaften sind meistens vor lauter Groartigkeit vergelich. Herr Franke sagt, wenn es mit den Toblerwerken klappte, das wre zum Bldsinnigwerden. Du weit ja, da er sich stets so ausschweifend ausdrckt. Er will fr Dich die Daumen halten. Das finde ich, wo er nur zur Untermiete bei uns wohnt, sehr anstndig von ihm. Ich halte nicht nur die Daumen, sondern auch die groen Zehen. Wenn trotzdem aus der Anstellung nichts werden sollte, haben wir uns wenigstens keine Vorwrfe zu machen. Das ist die Hauptsache. Man darf sich nicht aus der Ruhe bringen lassen. Und wer sich ein Bein ausreit, hat es sich selber zuzuschreiben. Da der andere Preistrger ein netter Mensch ist, freut mich. Gre ihn schn. Natrlich unbekannterweise. Und lat Euch von den feinen Leuten nichts vormachen. Viele knnen sowieso nichts dafr, da sie reich sind. Viele haben, glaube ich, nur deswegen Geld, weil der liebe Gott ein weiches Herz hat. Besser als gar nichts, hat er bei ihrer Erschaffung gedacht. Wirst Du brigens mit der Wsche reichen? Sonst schicke mir rasch die schmutzige in einem Karton. In drei Tagen hast Du sie wieder. Bei Heppners liegen sehr schne Oberhemden im Fenster. Ich werde eins zurcklegen lassen. Ein blaues mit vornehmen Streifen. Wir holen es, wenn Du wieder zu Hause bist. Ich knnte Dir's mitschicken. Aber wer wei, ob es Dir gefllt. So, mein Junge. Jetzt fahre ich mit dem Zug bis zum Potsdamer Bahnhof. Dann laufe ich bis zum Anhalter. Schneeluft ist gesund. Man kommt berhaupt zu wenig aus der Stube. Die Ansichtskarten gefallen mir gut. So hnlich wie neulich im Kino, wo Du Fremdenloge verlangtest. Ich habe es Herrn Franke erzhlt. Er hat gelacht. Vergi nicht, wenn Du im Wald bist, acht- bis zehnmal tief Atem zu holen. Nicht fter. Sonst kriegt man Kopfschmerzen. Und was soll das. Mir geht es ganz ausgezeichnet. Ich singe viel. In der Kche. Wenn ich esse, steht Deine Fotografie auf dem Tisch. Denn allein schmeckt's mir nicht. Hab ich recht? Hoffentlich kommt morgen ein Brief von Dir. Wo Du ausfhrlich schreibst. Vorlufig versteh ich nmlich manches noch nicht. Vielleicht bin ich mit der Zeit ein bichen dumm geworden. Durch die Arterienverkalkung. Wieso hast Du zum Beispiel drei kleine Katzen im Zimmer? Und wieso hast Du zwei Zimmer und ein extra Bad? Und was soll das mit dem Ziegelstein? Das ist mir vllig unklar, mein lieber Junge. Herr Franke sagt, hoffentlich wre es wirklich ein Hotel. Und nicht etwa ein Irrenhaus. Er ist ein schrecklicher Mensch. Hat denn der andere Preistrger auch so viele Rumlichkeiten und Katzen und einen Ziegelstein? Der Roman in der Zeitung ist diesmal sehr spannend. Viel besser als der letzte. Besonders seit gestern. Herr Franke und ich sind ganz verschiedener Ansicht, wie die Geschichte weitergehen wird. Er versteht nichts von Romanen. Das wissen wir ja nun schon. Und dann: mach keine Dummheiten! Ich meine Ausflge auf gefhrliche Berggipfel. Gibt es in Brckbeuren Lawinen? Dann sieh Dich besonders vor! Sie fangen ganz harmlos an, und pltzlich sind sie gro. Ausweichen hat dann keinen Zweck mehr. Passe, bitte, gut auf! Ja? Auch mit den weiblichen Personen im Hotel. Entweder ist es nichts Genaues oder in festen Hnden. Da nicht wieder so ein Krach wird wie damals in der Schweiz. Da sitzt Du dann wieder da mit dem dicken Kopf. Sei so lieb. Sonst hab ich keine Ruhe. Ich schreibe wieder einmal einen Brief, der nicht alle wird. Also Schlu! Antworte auf meine Fragen. Du vergit es oft. Und nun zum Bahnhof. Bleibe gesund und munter! Kein Tag, der vorber ist, kommt wieder. Und benimm Dich! Du bist manchmal wirklich frech. Viele Gre und Ksse von Deiner Dich ber alles liebenden Mutter. Nach dem Lunch saen die drei Mnner auf der Terrasse, und Doktor Hagedorn zeigte seine gesammelten Werke. Schulze betrachtete sie eingehend. Er fand sie sehr gelungen, und sie unterhielten sich lebhaft darber. Herr Kesselhuth rauchte eine dicke schwarze Zigarre, schenkte allen Kaffee ein und sonnte sich in jeder Beziehung. Schlielich meinte er: Also, heute abend schicke ich das Paket an Geheimrat Tobler. Und vergessen Sie, bitte, nicht, bei ihm anzufragen, ob er auch fr Herrn Schulze einen Posten hat, bat Hagedorn. Es ist dir doch recht, Eduard? Schulze nickte. Gewi, mein Junge. Der olle Tobler soll sich mal anstrengen und was fr uns beide tun. Kesselhuth nahm die Arbeiten an sich. Ich werde nichts unversucht lassen, meine Herren. Und er soll die Sachen, bitte, bestimmt zurckgeben, erklrte der junge Mann. Meine Mutter ist diesbezglich sehr streng. Selbstverstndlich, sagte Schulze, obwohl ihn das ja eigentlich gar nichts anging. Kesselhuth zerdrckte den Rest seiner Zigarre im Aschenbecher, erhob sich chzend, murmelte einiges und ging traurig davon. Denn im Rahmen der Hoteltr stand der Graswander Toni und hatte zwei Paar Schneeschuhe auf der Schulter. Die dritte Lehrstunde nahte. Das Geheimnis des Stemmbogens sollte entrtselt werden. Eduard und Fritz brachen etwas spter auf. Sie planten einen Spaziergang. Zunchst statteten sie jedoch ihrem Schneemann einen kurzen Besuch ab. Der rmste taute. Kasimir weint, behauptete Hagedorn. Das weiche Gemt, Eduard, hat er von dir. Er weint nicht, widersprach Schulze. Er macht eine Abmagerungskur. Wenn wir Geld htten, meinte Hagedorn, knnten wir ihm einen groen Sonnenschirm schenken, in den Boden stecken und ber ihm aufspannen. Ohne Schirm wird er zugrunde gehen. Mit dem Geld ist das so eine Sache, meinte Schulze. Auch wenn wir welches htten,  sptestens Anfang Mrz stnde hier nur noch ein Schirm herum, und Kasimir wre verschwunden. Die Vorteile des Reichtums halten sich sehr in Grenzen. Du sprichst, als ob du frher ein Bankkonto gehabt httest, sagte Hagedorn und lachte gutmtig. Meine Mutter behauptet, Besitz sei hufig nichts anderes als ein Geschenk der Vorsehung an diejenigen, die im brigen schlecht weggekommen sind. Das wre allzu gerecht, erklrte Schulze. Und allzu einfach. Dann wanderten sie, in betrchtliche Gesprche vertieft, nach Schlo Kerms hinaus, sahen den Bauern beim Eisschieen zu, folgten quellwrts einem zugefrorenen Gebirgsbach, muten steil bergan klettern, glitten aus, schimpften, lachten, atmeten schwer, schwiegen, kamen durch weie Wlder und entfernten sich mit jedem Schritt mehr von allem, was an den letzten Schpfungstag erinnert. Schlielich war die Welt zu Ende. Es gab keinen Ausweg. Hohe Felswnde behoben den letzten Zweifel. Dahinter befand sich, sozusagen offensichtlich, das leere Nichts. Und von einem dieser Felsen strzte ein Wasserfall herab. Nein, er strzte nicht. Der Frost hatte ihn mit beiden Armen im Sturz aufgehalten. Er war vor Schreck erstarrt. Das Wasser hatte sich in Kristall verwandelt. Im Baedeker vergleicht man diesen Wasserfall mit einem Kronleuchter, bemerkte Hagedorn. Schulze setzte sich auf eine eisgekhlte Baumwurzel und sagte: Ein Glck, da die Natur nicht lesen kann! Nach dem Kaffeetrinken ging Hagedorn auf sein Zimmer. Schulze versprach bald nachzukommen. Wegen der kleinen Katzen und wegen eines groen Kognaks. Aber als er aus dem Lesesaal trat und auf die Treppe zusteuerte, wurde er von Onkel Folter gestrt. Sie sehen aus, als ob Sie sich langweilten, meinte der Portier. Machen Sie sich meinetwegen kein Kopfzerbrechen! bat Schulze. Ich langweile mich niemals. Er wollte gehen. Onkel Folter tippte ihm auf die Schulter. Hier ist eine Liste! Den Rucksack bekommen Sie in der Kche. Ich brauche keinen Rucksack, meinte Schulze. Sagen Sie das nicht! erklrte der Portier und lchelte grimmig. Das Kind der Botenfrau hat die Masern. Gute Besserung! Aber was hat das arme Kind in dem Rucksack zu suchen, den ich in der Kche holen soll? Der Portier schwieg und legte Briefe und Zeitungen in verschiedene Schlsselfcher. Schulze betrachtete die Liste, die vor ihm lag, und las staunend: 100 Karten Wolkenstein-Panorama 15 2, Tuben Gummiarabikum 1 Rolle dunkelrote Nhseide 50 Briefmarken 25 3 Dutzendpackungen Rasierklingen 2 Meter schmales weies Gummiband 5 Riegel Wasserglasseife 1 Packung Pyramidon, groe Tabl. 1 Flasche Fllfedertinte 1 Paar Sockenhalter, schwarz 1 Paar Schuhspanner, Gre 37 1 Tte Pfefferminztee 1 Stahlbrste fr Wildlederschuhe 3 Schachteln Mentholdragees 1 Hundeleine, grn, Lack 4 Uhrreparaturen abholen 1 Dutzend Schneebrillen 1 kl. Flasche Birkenwasser 1 Aluminiumbrotkapsel fr Touren. Die Liste war keineswegs zu Ende. Aber Schulze hatte frs erste genug. Er sah erschpft hoch, lachte und sagte: Ach, so ist das gemeint! Der Portier legte einige Geldscheine auf den Tisch. Schreiben Sie hinter jeden Posten den Preis. Am Abend rechnen wir ab. Schulze steckte die Liste und das Geld ein. Wo soll ich das Zeug holen? Im Dorf, befahl Onkel Polter. In der Apotheke, beim Friseur, auf der Post, beim Uhrmacher, in der Drogerie, beim Kurzwarenhndler, im Schreibwarengeschft. Beeilen Sie sich! Der andere zndete sich eine Zigarre an und sagte, whrend er sie in Zug brachte: Ich hoffe, es hier noch weit zu bringen. Da ich jemals Botenfrau wrde, htte ich noch vor einer Woche fr ausgeschlossen gehalten. Er nickte dem Portier freundlich zu. Hoffentlich bilden Sie sich nicht ein, da Sie mich auf diese Weise vor der Zeit aus Ihrem Hotel hinausgraulen. Onkel Folter antwortete nicht. Darf man schon wissen, was Sie morgen mit mir vorhaben? fragte Schulze. Wenn es Ihnen recht ist  ich mchte fr mein Leben gern einmal Schornstein fegen! Wre es Ihnen mglich zu veranlassen, da der Schornsteinfeger morgen Zahnschmerzen kriegt? Er ging strahlend seiner Wege. Onkel Folter nagte ber eine Stunde an der Unterlippe. Spter fand er keine Zeit mehr dazu. Die Gste kehrten in Scharen von den Skiwiesen und von Ausflgen heim. Schlielich kam sogar der Hoteldirektor Khne nach Hause. Was ist denn mit Ihnen los? fragte er besorgt. Haben Sie die Gelbsucht? Noch nicht, sagte der Portier. Aber es kann noch werden. Dieser Schulze benimmt sich unmglich. Er wird immer unverschmter. Streikt er? fragte Karl der Khne. Im Gegenteil, meinte der Portier. Es macht ihm Spa! Der Direktor ffnete wortlos den Mund. Morgen mchte er Schornstein fegen! berichtete Folter. Es sei ein alter Traum von ihm. Karl der Khne sagte: Einfach tierisch! und lie Herrn Folter in trbe Gedanken versunken zurck. Geheimrat Tobler alias Herr Schulze brauchte zwei Stunden, bis er, von der Last des Rucksacks gebeugt, ins Hotel zurckkehrte. Er hatte sich brigens nie so gut unterhalten wie whrend dieser von seltsamen Einkufen ausgefllten Zeit. Der Uhrmacher hatte ihn beispielsweise ber die politische Lage in Ostasien weitestgehend aufgeklrt, und ber die wachsende wirtschaftliche Einflunahme Japans auf dem Weltmarkt. Der Provisor in der Apotheke hatte die Homopathie verteidigt und ihn fr einen der nchsten Abende zu einem Viertel Roten in die Dorfschenke eingeladen. Das blonde Ladenfrulein beim Friseur hatte ihn fr den Ehemann der Botenfrau gehalten. Und der Drogist hatte ihm, im Flsterton, bei knftigen greren Einkufen Prozente in Aussicht gestellt. Er lud den Rucksack in der Hotelkche ab und begab sich in den fnften Stock, um die Abrechnung fr den Portier fertigzumachen. Er ffnete die Tr zu seinem Zimmer und mute feststellen, da er Besuch hatte! Ein fremder, gutgekleideter Herr lag, mit dem Kopf vorneweg, unter dem Waschtisch, hmmerte emsig und hatte anscheinend keine Ahnung, da er nicht mehr allein war. Jetzt begann er sogar zu pfeifen. Sie wnschen? fragte Schulze laut und streng. Der Eindringling fuhr hoch, stie mit dem Hinterkopf gegen die Tischkante und kam, rckwrts kriechend, ans Tageslicht. Es war Herr Kesselhuth! Er hockte auf dem Fuboden und machte ein schuldbewutes Gesicht. Sie sind wohl nicht bei Trste! sagte Schulze. Stehen Sie geflligst auf! Kesselhuth erhob sich und klopfte seine Beinkleider sauber. Mit der Hand, die brigblieb, massierte er den Hinterkopf. Was haben Sie unter meinem Waschtisch zu suchen? fragte Schulze energisch. Der andere wies auf einen groen Karton, der auf dem Stuhl lag. Es ist wegen der Steckdose, Herr Geheimrat, sagte er verlegen. Die war nicht ganz in Ordnung. Ich brauche keine Steckdosen! Doch, Herr Geheimrat, antwortete Johann und ffnete den Karton. Es kam eine nickelglnzende elektrische Heizsonne zum Vorschein. Sie erklten sich sonst zu Tode. Er stellte das Gert auf den Tisch, kroch erneut unter den Waschtisch, fgte den Stecker in den Kontakt, kam wieder hervor und wartete gespannt. Allmhlich begann das Drahtgitter zu erglhen, erst rosa, dann rot; und schon sprten sie, wie sich die eisige Dachkammer mit sanfter Wrme fllte. Das Wasser in der Waschschssel taut auf, sagte Johann und schaute selig zu seinem Gebieter hinber. Tobler empfand diesen Blick, aber er erwiderte ihn nicht. Und hier ist ein Kistchen Zigarren, erklrte Kesselhuth schchtern. Ein paar Blumen habe ich auch besorgt. Nun aber nichts wie raus! meinte der Geheimrat. Sie htten Weihnachtsmann werden sollen! Inzwischen hatte auch Doktor Hagedorn Besuch erhalten. Es hatte geklopft. Er hatte, mde auf dem Sofa liegend, Herein! gerufen und gefragt: Warum kommst du so spt, Eduard? Aber der Besucher hatte geantwortet: Ich heie nicht Eduard, sondern Hortense. Kurz und gut, es war Frau Casparius! Sie war erschienen, um mit den drei siamesischen Katzen zu spielen. Und das tat sie denn auch. Sie sa auf dem Teppich und stellte Gruppen. Schlielich fand sie, da sie sich lange genug als Tierfreundin bettigt hatte, und wandte sich dem eigentlichen Zweck ihrer Anwesenheit zu. Sie sind nun schon drei Tage hier, sagte sie vorwurfsvoll. Wollen wir morgen einen Ausflug machen? Wir nehmen den Lunch mit und gehen bis zur Lamberger Au. Dort legen wir uns in die Sonne. Und wer zuerst den Sonnenstich hat, darf sich etwas wnschen. Ich wnsche mir gar nichts, erklrte der junge Mann. Nicht einmal den Sonnenstich. Sie hatte sich in einen gerumigen Lehnstuhl gesetzt, zog die Beine hoch und legte die Arme um die Knie. Wir knnten auch folgendes unternehmen, meinte sie leise. Wir knnten die Koffer packen und ausreien. Was halten Sie von Garmisch? Garmisch ist meines Wissens ein reizender Ort, sagte er. Aber Eduard wird es wahrscheinlich nicht erlauben. Was geht uns denn Eduard an? fragte sie rgerlich. Er vertritt Mutterstelle an mir. Sie wiegte den Kopf. Wir knnten mit dem Nachtzug fahren. Kommen Sie. Jede Stunde ist kostbar. An ein Fortleben nach dem Tode glaube ich nmlich nicht recht. Also deswegen haben Sie's so eilig! meinte er. Es klopfte. Er rief: Herein! Die Tr ging auf. Schulze trat ein. Entschuldige, Fritz. Ich hatte ein paar Besorgungen zu machen. Bist du allein? Sofort! sagte Frau Hortense Casparius, sah durch Herrn Schulze hindurch, als sei er aus Glas, und ging. Das vierzehnte Kapitel Die Liebe auf den ersten Blick Am nchsten Nachmittag geschah etwas Auergewhnliches: Hagedorn verliebte sich! Er tat dies im Hotelautobus, der neue Gste vom Bahnhof brachte und den er, von einem kleinen Ausflug kommend, unterwegs bestieg. Einer der Passagiere war ein junges, herzhaftes Mdchen. Sie hatte eine besonders geradlinige Art, die Menschen anzuschauen. (Womit nicht nur gesagt werden soll, da sie nicht schielte.) Neben ihr sa eine dicke, verstrt gutmtige Frau, die von dem Mdchen Tante Julchen genannt wurde. Hagedorn htte Tante Julchens Nichte stundenlang anstarren knnen. Auerdem wurde er das Gefhl nicht los, das junge Mdchen schon einmal gesehen zu haben. Tante Julchen war ziemlich umstndlich. Da die Koffer auf dem Autobus verstaut worden waren, beschftigte ihr Innenleben aufs lebhafteste. Bei jeder Kurve griff sie sich ans Herz und jammerte vor Schreck. Auerdem war ihr kein Berg zu niedrig  sie wollte seinen Vor- und Zunamen wissen. Hagedorn machte sich ntzlich und log zusammen, was ihm gerade einfiel. Einige Fahrgste, welche die Gegend von frher her zu kennen schienen, musterten ihn mitrauisch. Sie nahmen ihm seine frei erfundene Geographie ein bichen bel. Tante Julchen hingegen sagte: Vielen Dank, mein Herr. Man kommt sich sonst vor wie in einer fremden Stadt bei Nacht. Jede Strae heit anders, aber man kann die Schilder nicht lesen. Dabei war ich noch nie in den Alpen. Das junge Mdchen sah ihn, um Nachsicht bittend, an, und dieser Blick gab ihm den Rest. Er lchelte blde, htte sich ohrfeigen knnen und erwog den Plan, aufzustehen und whrend der Fahrt abzuspringen. Er blieb natrlich sitzen. Vorm Hotel half er den beiden beim Aussteigen. Und da Tante Julchen das Abladen der Koffer aufs strengste berwachte, waren das junge Mdchen und er pltzlich allein. Das ist aber ein schner Schneemann, rief sie. Gefllt er Ihnen? fragte er stolz. Den haben Eduard und ich errichtet. Und ein Bekannter, der eine groe Schiffahrtslinie besitzt. Eduard ist mein Freund. Aha! sagte sie. Er hat leider seit gestern abgenommen. Der Besitzer der Schiffahrtslinie oder Ihr Freund Eduard? Der Schneemann, erwiderte er. Weil die Sonne so sehr schien. Sie betrachteten den Schneemann und schwiegen verlegen. Wir haben ihn Kasimir getauft, erklrte er spter. Er hat nmlich einen Eierkopf. Und in solch einem Fall ist es ein wahres Glck, Kasimir zu heien. Sie nickte verstndnisvoll und zeigte auf die Teddybren, die neben Kasimir hockten. Es sind Eisbren geworden. Ganz wei. Wie nennt man das gleich? Mimikry, gab er zur Antwort. Ich bin so vergelich, sagte sie. Was die Bildung anbelangt. Werden Sie lange hierbleiben? fragte er. Sie schttelte den Kopf. Ich mu bald wieder nach Berlin zurck. Ich bin auch aus Berlin, meinte er. Welch ein Zufall! Geheimrat Tobler hielt, oben im fnften Stock, sein Nachmittagsschlfchen. In Bruckbeuren hatte er sich eigentlich, aus Hochachtung vor den Schnheiten der Natur, dieses Brauches entuern wollen. Aber man war eben doch nicht mehr der Jngste. Und so hatte er Johanns Heizsonne in Betrieb gesetzt, sich ins Bett gelegt und schlief. Dann aber wurde die Tr aufgerissen. Er erwachte und blickte mimutig auf. Hagedorn stand vor ihm, setzte sich aufs Bett und sagte: Wo hast du denn die Heizsonne her, Eduard? Das ist 'ne Stiftung, bemerkte Schulze mit verschlafener Stimme. Solltest du gekommen sein, um mich das zu fragen, so nennen wir uns wieder Sie. Mensch! Schulze! stie Hagedorn hervor. Ich mute es dir sofort sagen. Ich bin verloren. Ich habe mich soeben verliebt! Ach, bleib mir mit deinen albernen Weibern vom Halse, befahl Eduard und drehte sich zur Wand. Gute Nacht, mein Junge! Sie ist kein albernes Weib, sagte Fritz streng. Sie ist enorm hbsch. Und gescheit! Und Humor hat sie. Und ich glaube, ich gefalle ihr auch. Du bist grenwahnsinnig! murmelte Schulze. Welche ist es denn? Die Mallebr oder die Circe aus Bremen? Hre schon endlich mit denen auf! rief Hagedorn entrstet. Es ist doch eine ganz andere! Sie ist doch nicht verheiratet! Das wird sie doch erst sein, wenn ich ihr Mann bin! Eine Tante ist mit dabei. Die hrt auf den Namen Julchen. Schulze war nun wach geworden. Du bist ein Wstling! sagte er. Warte mit dem Heiraten wenigstens bis morgen! Du wirst dich doch nicht etwa in eine Gans vergaffen, die mit einer Tante namens Julchen auf Mnnerfang geht! Wir werden schon wen fr dich finden. Hagedorn stand auf. Eduard, ich verbiete dir, in einem derartigen Ton von meiner zuknftigen Gemahlin zu sprechen! Sie ist keine Gans. Und sie fngt keine Mnner. Sehe ich vielleicht wie eine gute Partie aus? Gott bewahre! sagte Schulze. Aber sie hat doch natrlich davon gehrt, da du ein Thronfolger bist! Diesen Quatsch kann sie noch gar nicht gehrt haben, meinte der junge Mann. Sie ist nmlich eben erst aus Berlin eingetroffen. Und ich erlaube es ganz einfach nicht, erklrte Schulze kategorisch. Ich vertrete Mutterstelle an dir. Ich verbiete es dir. Damit basta! Ich werde dir schon eines schnen Tages die richtige Frau aussuchen. Geliebter Eduard, sagte Fritz. Schau sie dir erst einmal an. Wenn du sie siehst, wird dir die Luft wegbleiben! Hagedorn setzte sich in die Halle und behielt den Lift und die Treppe im Auge. Seine erste Begeisterung wich, whrend er ungeduldig auf das junge Mdchen und auf die Zukunft wartete, einer tiefen Niedergeschlagenheit. Ihm war pltzlich eingefallen, da man zum Heiraten Geld braucht und da er keines hatte. Frher, als er Geld verdiente, war er an die verkehrten Fruleins geraten. Und jetzt, wo er Tante Julchens Nichte liebte, war er stellungslos und wurde fr einen Thronfolger gehalten! Sie sehen aus, als wollten Sie ins Kloster gehen, sagte jemand hinter ihm. Er fuhr hoch. Es war Tante Julchens Nichte. Er sprang auf. Sie setzte sich und fragte: Was ist denn mit Ihnen los? Er blickte sie so lange an, bis sie die Lider senkte. Er hustete und meinte dann: Auer Herrn Kesselhuth und Eduard wei es in dem Hotel noch kein Mensch. Ihnen mu ich es aber sagen. Man hlt mich fr einen Millionr oder, wie Eduard behautet, fr den Thronfolger von Albanien. Wieso, wei ich nicht. In Wirklichkeit bin ich ein stellungsloser Akademiker. Warum haben Sie denn das Miverstndnis nicht aufgeklrt? fragte sie. Nicht wahr? meinte er. Ich htte es tun sollen. Ich wollte es ja auch! Ach, ich bin ein Esel! Sind Sie mir sehr bse? Eduard meinte nmlich, ich solle den Irrtum auf sich beruhen lassen. Vor allem wegen der drei siamesischen Katzen. Weil er so gern mit ihnen spielt. Wer ist denn nun eigentlich dieser Eduard? fragte sie. Eduard und ich haben ein Preisausschreiben gewonnen. Dafr lassen wir uns hier gratis durchfttern. Von dem Preisausschreiben habe ich in der Zeitung gelesen, meinte sie. Es handelt sich um ein Ausschreiben der Toblerwerke, ja? Er nickte. Dann sind Sie Doktor Hagestolz? Hagedorn, verbesserte er. Mein Vorname ist Fritz. Anschlieend schwiegen sie. Dann wurde sie rot. Und dann sagte sie: Ich heie Hildegard. Sehr angenehm, antwortete er. Der schnste Vorname, den ich je gehrt habe! Nein, erklrte sie entschieden. Fritz gefllt mir besser! Ich meine die weiblichen Vornamen. Sie lchelte. Dann sind wir uns ja einig. Er fate nach ihrer Hand, lie sie verlegen wieder los und sagte: Das wre wundervoll. Endlich trat Schulze aus dem Lift. Hagedorn nickte ihm schon von weitem zu und meinte zu Tante Julchens Nichte: Jetzt kommt Eduard! Sie drehte sich nicht um. Der junge Mann ging dem Freund entgegen und flsterte: Das ist sie. Was du nicht sagst! erwiderte Schulze spttisch. Ich dachte, es wre schon die nchste. Er trat an den Tisch. Das junge Mdchen hob den Kopf, lchelte ihm zu und meinte: Das ist gewi Ihr Freund Eduard, Herr Doktor. So hab ich ihn mir vorgestellt. Hagedorn nickte frhlich. Jawoll. Das ist Eduard. Ein goldnes Herz in rauher Schale. Und das ist ein gewisses Frulein Hildegard. Schulze war wie vor den Kopf geschlagen und hoffte zu halluzinieren. Das Mdchen lud zum Sitzen ein. Er kam der Aufforderung, vllig geistesabwesend, nach und htte sich beinahe neben den Stuhl gesetzt. Hagedorn lachte. Sei nicht so albern, Fritz! sagte Schulze mrrisch. Aber Fritz lachte weiter. Was hast du denn, Eduard? Du siehst wie ein Schlafwandler aus, den man laut beim Namen gerufen hat. Gar kein bler Vergleich, meinte das junge Mdchen beifllig. Sie erntete einen vernichtenden Blick von Schulze. Hagedorn erschrak und dachte: Das kann ja heiter werden! Anschlieend redete er, fast ohne Atem zu holen, ber den Lumpenball, und weswegen Schulze keinen Kostmpreis erhalten htte, und ber Kesselhuths erste Skistunde, und ber Berlin einerseits und die Natur andererseits, und da seine Mutter geschrieben habe, ob es in Bruckbeuren Lawinen gebe, und  Tu mir einen Gefallen, mein Junge! bat Eduard. Hole mir doch aus meinem Zimmer das Flschchen mit den Baldriantropfen! Ja? Es steht auf dem Waschtisch. Ich habe Magenschmerzen. Hagedorn sprang auf, winkte dem Liftboy und fuhr nach oben. Sie haben Magenschmerzen? fragte Tante Julchens Nichte. Halte den Schnabel! befahl der Geheimrat wtend. Bist du pltzlich bergeschnappt? Was willst du hier? Ich wollte nur nachsehen, wie dir's geht, lieber Vater, sagte Frulein Hilde. Der Geheimrat trommelte mit den Fingern auf der Tischplatte. Dein Benehmen ist beispiellos! Erst informierst du, hinter meinem Rcken, die Hoteldirektion, und vier Tage spter kommst du selber angerckt! Aber Papa, entgegnete seine Tochter. Der Anruf ntzte doch nichts. Man hielt doch Herrn Hagedorn fr den Millionr! Woher weit du das? Er hat mir's eben erzhlt. Und weil er dir das eben erzhlt hat, bist du vorgestern von Berlin weggefahren? Das klingt tatschlich hchst unwahrscheinlich, meinte sie nachdenklich. Und seit wann hast du eine Tante, die Julchen heit? Seit heute frh, lieber Vater. Willst du sie kennenlernen? Dort kommt sie gerade! Tobler wandte sich um. In ihrem zweitbesten Kleid kam, dick und kordial, Frau Kunkel treppab spaziert. Sie suchte Hilde und entdeckte sie. Dann erkannte sie den violett gekleideten Mann neben ihrer Nichte, wurde bla, machte kehrt und steuerte schleunigst wieder auf die Treppe zu. Schaffe mir auf der Stelle diese idiotische Person herbei! knurrte der Geheimrat. Hilde holte die Kunkel auf den ersten Stufen ein und schleppte sie an den Tisch. Darf ich die Herrschaften miteinander bekannt machen? fragte das junge Mdchen belustigt. Herr Schulze  Tante Julchen. Tobler mute sich, aus Rcksicht auf den neugierig herberschauenden Portier, erheben. Die Kunkel reichte ihm, ngstlich und glcklich zugleich, die Hand. Er verbeugte sich frmlich, setzte sich wieder und fragte: Bei euch piept's wohl? Was? Nur bei mir, Herr Geheimrat, erwiderte Tante Julchen. Gott sei Dank, Sie leben noch! Aber schlecht sehen Sie aus. Na, es ist ja auch kein Wunder. Ruhe! befahl Hilde. Doch Frau Kunkel trat bereits aus den Ufern. Auf Leitern klettern, die Eisbahn kehren, Kartoffeln schlen, in einer Rumpelkammer schlafen ... Kartoffeln habe ich nicht geschlt, bemerkte Tobler. Noch nicht. Die Kunkel war nicht mehr aufzuhalten. Die Treppen scheuern, schiefe Wnde haben Sie auch, und keinen Ofen im Zimmer, ich habe es ja kommen sehen! Wenn Sie jetzt eine doppelseitige Lungenentzndung htten, kmen wir vielleicht schon zu spt, weil Sie schon tot wren! Es dreht sich einem das Herz im Leibe um. Aber natrlich, ob wir inzwischen in Berlin sitzen und jede Minute darauf warten, da der Blitz einschlgt, Ihnen kann das ja egal sein. Aber uns nicht, Herr Geheimrat! Uns nicht! Man sollte es wirklich nicht fr mglich halten. Ein Mann wie Sie macht hier den dummen August! Sie hatte echte Trnen in den Augen. Soll ich Ihnen einen Umschlag machen? Haben Sie irgendwo Schmerzen, Herr Geheimrat? Ich knnte das Hotel anznden! Oh! Sie schwieg und putzte sich geruschvoll die Nase. Tobler sah Tante Julchen unwillig an. So ist das also, meinte er und nickte wtend. Herr Kesselhuth hat geklatscht. Mit mir knnt ihr's ja machen. Seine Tochter sah ihn an. Papa, sagte sie leise. Wir hatten solche Sorge um dich. Du darfst es uns nicht belnehmen. Wir hatten keine ruhige Minute zu Hause. Verstehst du das denn nicht? Die Kunkel und der Johann und sogar ich, wir haben dich doch lieb. Der Kunkel rollte aus jedem Auge je eine Trne ber die knallroten Bckchen. Sie schluchzte auf. Geheimrat Tobler war unbehaglich zumute. Lassen Sie die blde Heulerei! brummte er. Ihr benehmt euch ja noch kindischer als ich! Ein groes Wort, behauptete seine Tochter. Kurz und gut, sagte Tobler, ihr macht hier alles kaputt. Da ihr's nur wit! Ich habe einen Freund gefunden. So etwas braucht ein Mann! Und nun kommt ihr angerckt. Er stellt mich meiner eigenen Tochter vor! Kurz vorher hat er oben in meinem Zimmer erklrt, da er dieses Mdchen unbedingt heiraten wird! Welches Mdchen? erkundigte sich Hilde. Dich! sagte der Vater. Wie sollen wir dem Jungen nun auseinanderposamentieren, wie sehr wir ihn beschwindelt haben? Wenn er erfhrt, wer Tante Julchen und deren Nichte und der Schiffahrtslinienbesitzer Kesselhuth und sein Freund Schulze in Wirklichkeit sind, guckt er uns doch berhaupt nicht mehr an! Wer will Frulein Hildegard heiraten? fragte die Kunkel. Ihre Trnen waren versiegt. Fritz, sagte Hilde hastig. Ich meine, der junge Mann, der Ihnen im Autobus die Namen der Berge aufgezhlt hat. Aha, bemerkte Tante Julchen. Ein reizender Mensch. Aber Geld hat er keins. Das fnfzehnte Kapitel Drei Fragen hinter der Tr Als Hagedorn mit den Baldriantropfen anrckte, saen die drei eintrchtig beisammen. Sie einte die Besorgnis, er knnte hinter ihr Geheimnis kommen. Tante Julchen ist auch da! sagte er erfreut. Sind die Koffer ausgepackt? Und wie gefllt Ihnen mein Freund Eduard? Vorzglich! antwortete sie aus tiefster Seele. Eduard, hier sind die Tropfen, meinte Hagedorn. Was fr Tropfen? fragte Schulze. Die Baldriantropfen natrlich! erklrte Fritz. Menschenskind, ich denke, du hast Magenschmerzen? Ach richtig, murmelte der andere, und dann mute er wohl oder bel Baldriantropfen einnehmen. Mittels eines Kaffeelffels. Hagedorn bestand darauf. Hilde freute sich ber die Gesichter, die ihr Vater schnitt. Tante Julchen, die nicht begriffen hatte, da es sich um erfundene Magenschmerzen handelte, war schrecklich aufgeregt und wollte dem Kranken einen heien Wickel machen. Schulze schwor, da es ihm bereits viel, viel besser gehe. Das kennen wir! sagte Tante Julchen mitrauisch. Das machen Sie immer so! Der Geheimrat und seine Tochter zuckten vor Schreck zusammen. Das machen sie immer so, die Mnner! fuhr die Tante geistesgegenwrtig fort. Sie geben nie zu, da ihnen etwas fehlt. Die Situation war gerettet. Frau Kunkels Gesicht grenzte an Grenwahn. So geschickt hatte sie sich noch nie aus der Affre gezogen. Ja, und dann kehrte Herr Kesselhuth von der vierten Skistunde zurck. Er hinkte aus Leibeskrften. Denn er war auf der bungswiese versehentlich in den Graswander Toni hineingefahren. Und beide waren, als unentwirrbarer Knuel, in einem Wildbach gelandet. Besonders tiefen Eindruck hatten dem grauhaarigen Skischler die zahllosen ordinren Redensarten gemacht, mit denen er anschlieend vom Herrn Anton Graswander belegt worden war. Sie waren auf keine Kuhhaut gegangen. Onkel Folter erkundigte sich teilnahmsvoll, wie der Unglcksfall verlaufen war, und empfahl eine Firma, die den zerrissenen Sportanzug wieder ins Geschick bringen wrde. Kesselhuth sah sich suchend um. Herr Doktor Hagedorn sitzt in der Halle, sagte der Portier. Kesselhuth humpelte weiter. Er entdeckte den Tisch, an dem Schulze und Hagedorn saen. Als er, nur noch wenige Schritte entfernt, sah, wer die beiden Frauen waren, begann er leise mit den Zhnen zu klappern. Er fuhr sich entsetzt ber die Augen. Das war doch wohl nicht mglich! Er blickte noch einmal hin. Dann wurde ihm bel. Er wre fr sein Leben gern im Boden versunken. Doch es gab weit und breit keine Versenkung. Er humpelte hinber. Tante Julchen grinste schadenfroh. Was ist denn mit Ihnen geschehen? fragte Schulze. Es ist nicht sehr gefhrlich, meinte Kesselhuth. Es gab einen Zusammensto. Das ist alles. Ich habe aber das Gefhl, da ich keinen Sport mehr treiben werde. Tante Julchen sah Herrn Hagedorn hypnotisch an. Wollen Sie uns nicht vorstellen? Der junge Mann machte die Herrschaften miteinander bekannt. Hndedrcke wurden getauscht. Es ging sehr frmlich zu. Kesselhuth wagte nicht zu sprechen. Jede Bemerkung konnte grundverkehrt sein. Sie sind bestimmt der Herr, dem die Schiffahrtslinie gehrt? fragte Hilde. So ist es, sagte Kesselhuth betreten. Was gehrt ihm? fragte Tante Julchen und hielt, als sei sie schwerhrig, eine Hand hinters Ohr. Eine Schiffahrtslinie, meinte Herr Schulze streng. Sogar eine sehr groe Linie! Nicht wahr? Kesselhuth war nervs. Ich mu mich umziehen. Sonst hole ich mir den Schnupfen. Er nieste dreimal. Darf ich die Anwesenden bitten, nach dem Abendbrot in der Bar meine Gste zu sein? Genehmigt, sagte Schulze. Wir wollen sehen, wieviel Tante Julchen vertrgt. Sie plusterte sich. Ich trinke euch alle unter den Tisch. Als meine Schwester 1905 Hochzeit hatte, habe ich zwei Flaschen Johannisbeerwein ganz allein ausgetrunken. Hoffentlich kriegen Sie Ihren Schwips diesmal etwas schneller, meinte Kesselhuth, sonst wird mir der Spa zu teuer. Dann hinkte er zur Treppe. Er glich einer geschlagenen Armee. Hagedorn verzehrte Hilde mittlerweile mit seinen Blicken. Pltzlich lachte er auf. Es ist zwar unwichtig,  aber ich wei Ihren Familiennamen noch gar nicht. Nein? fragte sie. Komisch, was? Stellen Sie sich vor: Ich heie genau so wie Ihr Freund Eduard! Eduard, sagte der junge Mann, wie heit du? Ach so, entschuldige, ich glaube, bei mir ist heute ein Schrubchen locker. Sie heien Schulze? Seit wann siezt du mich denn wieder? fragte Eduard. Er meint doch mich, erklrte Hilde. Es stimmt schon, Herr Doktor. Ich heie genau wie Ihr Freund. Nein, so ein Zufall! rief Hagedorn. Schulze ist ein sehr verbreiteter Name, bemerkte Eduard und musterte Hilde rgerlich. Trotzdem, trotzdem, meinte Fritz gefhlvoll. Dieser Zufall berhrt mich merkwrdig. Es ist, als stecke das Schicksal dahinter. Vielleicht seid ihr miteinander verwandt und wit es gar nicht? An dieser Gesprchsstelle bekam Tante Julchen einen Erstickungsanfall und mute von Frulein Hildegard schleunigst aufs Zimmer transportiert werden. Auf der Treppe sagte sie erschpft: Das ist die reinste Pferdekur. Konnten Sie sich denn keinen anderen Namen aussuchen? Hilde schttelte energisch den Kopf. Ich konnte ihn nicht belgen. Da ich genauso wie sein Freund Eduard heie, ist doch wahr. Wenn das mal gut geht, sagte die Kunkel. Ist das Mdchen nicht wundervoll? fragte Fritz. Doch, meinte Eduard mrrisch. Hast du gesehen, da sie, wenn sie lacht, ein Grbchen hat? Ja. Und in den Pupillen hat sie golden schimmernde Pnktchen. Das ist mir an ihr noch nie aufgefallen, sagte Schulze. Fr wie alt hltst du sie eigentlich? Im August wird sie einundzwanzig Jahre. Fritz lachte. La deine Witze, Eduard! Aber ungefhr wird es schon stimmen. Findest du nicht auch, da ich sie heiraten mu? Na ja, sagte Schulze. Meinetwegen. Er bemerkte endlich, da er faselte, und nahm sich zusammen. Vielleicht hat sie keinen Pfennig Geld, warf er ein. Hchstwahrscheinlich sogar, sagte Hagedorn. Ich habe ja auch keins! Ich werde sie morgen fragen, ob sie meine Frau werden will. Dann knnen wir uns umgehend verloben. Und sobald ich eine Anstellung gefunden habe, wird geheiratet. Willst du Trauzeuge sein? Das ist doch selbstverstndlich! erklrte Schulze. Hagedorn begann zu schwrmen. Ich bin wie neugeboren. Menschenskind, werde ich jetzt aber bei den Berliner Firmen herumlaufen! Ich werde smtliche Generaldirektoren in Grund und Boden quatschen. Sie werden gar nicht auf die Idee kommen, mich hinauszuwerfen. Vielleicht klappt es mit den Toblerwerken. Wer wei, sagte Fritz skeptisch. Mit Empfehlungen habe ich noch nie Glck gehabt. Nein, das machen wir anders. Wenn wir in Berlin sind, rcken wir dem ollen Tobler auf die Bude! Hast du 'ne Ahnung, wo er wohnt? Irgendwo im Grunewald. Die Adresse werden wir schon herauskriegen. Wir gehen ganz einfach hin, klingeln, schieben das Dienstmdchen beiseite, setzen uns in seine gute Stube und gehen nicht eher weg, bis er uns angestellt hat. Schlimmstenfalls bernachten wir dort. Ein paar Stullen nehmen wir mit. Ist das gut? Eine grandiose Idee, sagte Schulze. Ich freue mich schon jetzt auf Toblers Gesicht. Wir zwei werden's dem ollen Knaben schon besorgen, was? Worauf er sich verlassen kann! bemerkte Hagedorn begeistert. Herr Geheimrat  werden wir sagen  Sie besitzen zwar viele Millionen und verdienen jedes Jahr noch ein paar dazu, und somit ist es eigentlich berflssig, da zwei so talentierte Werbefachleute wie wir ausgerechnet zu Ihnen kommen. Wir sollten lieber fr Werke arbeiten, denen es schlecht geht, damit sie wieder auf die Beine kommen. Aber, Herr Geheimrat, keine Reklame ist so gut, da sie nicht mit Kosten verbunden wre. Wir Propagandisten sind Feldherren; aber unsre Armeen liegen, sauber gebndelt, in Ihrem Geldschrank. Ohne Truppen kann der beste Stratege keine Schlacht gewinnen. Und Reklame ist Krieg! Es gilt, die Kpfe von Millionen Menschen zu erobern. Es gilt, diese Kpfe zum besetzten Gebiet zu machen, Herr Geheimrat Tobler! Man darf die Konkurrenz nicht erst auf dem Markt, man mu sie bereits im Gedankenkreis derer besiegen, die morgen kaufen wollen. Wir Werbefachleute bringen es fertig, aus einem Verkaufsartikel, der dem freien Wettbewerb unterliegt, mit Hilfe der Psychologie einen Monopolartikel zu machen! Geben Sie uns Bewegungsfreiheit, Sire! Hagedorn holte Atem. Groartig! meinte Schulze. Bravo, bravo! Wenn uns der Tobler auch dann noch nicht engagiert, verdient er sein Glck berhaupt nicht. Du sagst es, erklrte Fritz pathetisch. Aber so dmlich wird er ja nicht sein. Schulze zuckte zusammen. Vielleicht frag ich sie schon heute abend, sagte Fritz entschlossen. Wen? Hilde. Was? Ob sie meine Frau werden will. Und wenn sie nicht will? Auf diesen Gedanken bin ich noch gar nicht gekommen, sagte Hagedorn. Er war ehrlich erschrocken. Mach mir keine Angst, Eduard! Und wenn die Eltern nicht wollen? Vielleicht hat sie keine mehr. Das wre das bequemste. Sei nicht so roh, Fritz! Na, und wenn der Brutigam nicht will? Was dann? Hagedorn wurde bla. Du bist bergeschnappt. Meine Hilde hat doch keinen Brutigam! Ich verstehe dich nicht, sagte Schulze. Warum soll so ein hbsches, kluges, lustiges Mdchen, das ein Grbchen hat und in der Iris goldne Pnktchen  , warum soll sie denn keinen Brutigam haben? Meinst du, sie hat dich seit Jahren vorgeahnt? Fritz sprang auf. Ich bringe dich um! Aber zuvor gehe ich auf ihr Zimmer. Bleib sitzen, Eduard! Solltest du recht gehabt haben, werde ich dich nachher aufs Rad flechten. Besorge, bitte, inzwischen ein passendes Rad! Und dann rannte Doktor Hagedorn treppauf. Geheimrat Tobler sah ihm lchelnd nach. Einige Minuten spter kam Herr Johann Kesselhuth, bereits im Smoking, in die Halle zurck. Er hinkte noch immer ein bichen. Sind Sie mir sehr bse, Herr Geheimrat? fragte er bekmmert. Ich hatte Frulein Hildegard versprochen, jeden Tag ber unser Befinden zu berichten. Wer konnte denn ahnen, da sie hierherkmen? Daran ist aber blo die Kunkel schuld, dieser Trampel. Schon gut, Johann, sagte Tobler. Es ist nicht mehr zu ndern. Wissen Sie schon das Neueste? Ist es etwas mit der Wirtschaftskrise? Nicht direkt, Johann. Nchstens gibt es eine Verlobung. Wollen Sie sich wieder verheiraten, Herr Geheimrat? Nein, Sie alter Esel. Doktor Hagedorn wird sich verloben! Mit wem denn, wenn man fragen darf? Mit Frulein Hilde Schulze! Johann begann wie die aufgehende Sonne zu strahlen. Das ist recht, meinte er. Da werden wir bald Grovater. Nach lngerem Suchen fand Hagedorn die Zimmer von Tante Julchen und deren Nichte. Das gndige Frulein hat einundachtzig, sagte das Stubenmdchen und knickste. Er klopfte. Er hrte Schritte. Was gibt's? Ich mu Sie dringend etwas fragen, sagte er gepret. Das geht nicht, antwortete Hildes Stimme. Ich bin beim Umziehen. Dann spielen wir drei Fragen hinter der Tr, meinte er. Also, schieen Sie los, Herr Doktor! Sie legte ein Ohr an die Trfllung, aber sie vernahm nur das laute, aufgeregte Klopfen ihres Herzens. Wie lautet die erste Frage? Genau wie die zweite, sagte er. Und wie ist die zweite Frage? Genau wie die dritte, sagte er. Und wie heit die dritte Frage? Er rusperte sich. Haben Sie schon einen Brutigam, Hilde? Sie schwieg lange. Er schlo die Augen. Dann hrte er, es schien eine Ewigkeit vergangen zu sein, die drei Worte: Noch nicht, Fritz. Hurra! rief er, da es im Korridor widerhallte. Dann rannte er davon. Die Tr des Nebenzimmers ffnete sich vorsichtig. Tante Julchen sphte aus dem Spalt und murmelte: Diese jungen Leute! Wie im Frieden! Das sechzehnte Kapitel Auf dem Wolkenstein Frau Kunkel hatte sich hinsichtlich ihrer Trinkfestigkeit geirrt. Vielleicht vertrug sie nichts, weil sie seit der Hochzeit ihrer Schwester, Anno 1905, aus der bung gekommen war. Tatsache ist, da sie am Tage nach ihrer Ankunft in Bruckbeuren mit einem katastrophalen lkopf aufwachte. Sie konnte sich an nichts mehr erinnern, und ihr Frhstck bestand aus Pyramidon. Wie war das eigentlich gestern nacht? fragte sie. Habe ich sehr viel Bldsinn geredet? Das wre nicht so schlimm gewesen, meinte Hilde. Aber Sie begannen die Wahrheit zu sagen! Deswegen mute ich ununterbrochen mit Doktor Hagedorn tanzen. Sie rmste! Das nun wieder nicht. Aber meine weien Halbschuhe drckten entsetzlich. Und das durfte ich mir nicht anmerken lassen. Sonst htte er nicht mehr tanzen wollen, und dann wren smtliche Geheimnisse, die wir vor ihm haben, herausgekommen. Eines Tages wird er sie ja doch erfahren mssen! Gewi, meine Dame. Aber weder am ersten Abend, noch von meiner angetrunkenen Tante, die gar nicht meine Tante ist. Frau Kunkel rmpfte die Stirn. Sie fhlte sich beleidigt. Und was geschah dann? fragte sie unwillig. Dann hat Johann Sie ins Bett gebracht. Um des Himmels willen! rief Tante Julchen. Das hat mir noch gefehlt! Das hat Johann auch gesagt. Aber es mute sein. Sie forderten nmlich einen Herrn nach dem anderen zum Tanzen auf. Erst tanzten Sie mit Herrn Spalteholz, einem Fabrikanten aus Gleiwitz; dann mit Mister Sullivan, einem englischen Kolonialoffizier; dann mit Herrn Lenz, einem Kunsthndler aus Kln; schlielich machten Sie sogar vor dem Oberkellner einen Knicks, und da fanden wir's an der Zeit, Sie zu beseitigen. Frau Kunkel sah puterrot aus. Habe ich schlecht getanzt? fragte sie leise. Im Gegenteil. Sie haben die Herren mit Bravour herumgeschwenkt. Man war von Ihnen begeistert. Die alte, dicke Dame atmete auf. Und hat sich der Doktor erklrt? Wollen Sie sich deutlicher ausdrcken? fragte Hilde. Hat er die vierte Frage hinter der Tr gestellt? Ach so! Sie haben gestern nachmittag gehorcht! Nein, die vierte Frage hat er nicht gestellt. Warum denn nicht? Vielleicht war keine Tr da, meinte Frulein Tobler. Auerdem waren wir ja nie allein. Frau Kunkel sagte: Ich verstehe Sie ja nicht ganz, Frulein Hilde. Meines Wissens verlangt das auch kein Mensch. So ein arbeitsloser Doktor, das ist doch kein Mann fr Sie. Wenn ich bedenke, was fr Partien Sie machen knnten! Werden Sie jetzt nicht ulkig! sagte Hilde. Partien machen! Wenn ich das schon hre! Eine Ehe ist doch kein Ausflug! Sie stand auf, zog die Norwegerjacke an und ging zur Tr. Kommen Sie! Sie sollen Ihren Willen haben. Wir werden eine Partie machen! Tante Julchen schusselte hinterher. Auf der Treppe mute sie umkehren, weil sie die Tasche vergessen hatte. Als sie in der Halle eintraf, standen die andern schon vor der Hoteltr und warfen nach dem schnen Kasimir mit Schneebllen. Sie trat ins Freie und fragte: Wo soll denn die Reise hingehen? Herr Schulze zeigte auf die Berge. Und Hagedorn rief: Auf den Wolkenstein! Tante Julchen schauderte. Gehen Sie immer voraus! bat sie. Ich komme gleich nach. Ich habe die Handschuhe vergessen. Herr Kesselhuth lchelte schadenfroh und sagte: Bleiben Sie nur hier. Ich borge Ihnen meine. Als Frau Kunkel die Talstation der Drahtseilbahn erblickte, ri sie sich los. Die Mnner muten sie wieder einfangen. Sie strampelte und jammerte, als man sie in den Wagen schob. Es war, als wrde Vieh verladen. Die andern Fahrgste lachten sie aus. Dort hinauf soll ich? rief sie. Wenn nun das Seil reit? Dieserhalb sind zwei Reserveseile da, meinte der Schaffner. Und wenn die Reserveseile reien? Dann steigen wir auf freier Strecke aus, behauptete Hagedorn. Sie randalierte weiter, bis Hilde sagte: Liebe Tante, willst du denn, da wir andern ohne dich abstrzen? Frau Kunkel verstummte augenblicklich, blickte ihre Nichte und Herrn Schulze treuherzig an und schttelte den Kopf. Nein, sagte sie sanft wie ein Lamm, dann will ich auch nicht weiterleben. Der Wagen hob sich und glitt aus der Halle. Whrend der ersten zehn Minuten hielt Tante Julchen die Augen fest zugekniffen. Jedesmal, wenn man, schaukelnd und schwankend, einen der Pfeiler passierte, bewegte sie lautlos die Lippen. Die Hlfte der Strecke war ungefhr vorber. Sie hob vorsichtig die Lider und blinzelte durchs Fenster. Man schwebte gerade hoch ber einem mit Felszacken, Eissulen und erstarrten Sturzbchen reichhaltig ausgestatteten Abgrund. Die andern Fahrgste schauten andchtig in die grandiose Tiefe. Tante Julchen sthnte auf, und ihre Zhne schlugen gegeneinander. Sind Sie aber ein Angsthase! meinte Schulze rgerlich. Sie war emprt. Ich kann Angst haben, so viel ich will! Warum soll ich denn mutig sein? Wie komme ich dazu? Mut ist Geschmackssache. Habe ich recht, meine Herrschaften? Wenn ich General wre, meinetwegen! Das ist etwas anderes. Aber so? Als meine Schwester und ich noch Kinder waren  meine Schwester ist in Halle an der Saale verheiratet, recht gut sogar, mit einem Oberpostinspektor, Kinder haben sie auch, zwei Stck, die sind nun auch schon lange aus der Schule, was wollte ich eigentlich sagen? Richtig, ich wei schon wieder  damals waren wir in den groen Ferien auf einem Gut  es gehrte einem entfernten Onkel von unserem Vater, eigentlich waren sie nur Jugendfreunde und gar nicht verwandt, aber wir Mdchen nannten ihn Onkel, spter mute er das Gut verkaufen, denn die Landwirte haben es sehr schwer, aber das wissen Sie ja alle, vielleicht ist er auch schon tot, wahrscheinlich sogar, denn ich bin heute  natrlich mu er tot sein, denn hundertzwanzig Jahre alt wird doch kein Mensch, es gibt natrlich Ausnahmen, vor allem in der Trkei, habe ich gelesen. Oh, mein Kopf! Ich htte gestern nacht nicht so viel trinken sollen, ich bin es nicht gewhnt, auerdem habe ich fremde Herren zum Tanz engagiert. Sie knnen mich totschlagen, ich habe keine Ahnung mehr, es ist schauderhaft, was einem in so einem Zustande alles passieren kann ... Bums! Die Drahtseilbahn hielt. Man war an der Gipfelstation angelangt. Die Fahrgste stiegen laut lachend aus. Die alte Frau hat den Hhenrausch, sagte ein Skifahrer. Ach wo, antwortete ein anderer. Sie ist noch von gestern abend besoffen! Tante Julchen und die beiden lteren Herren machten es sich in den Liegesthlen bequem. Willst du nicht erst das Panorama bewundern, liebe Tante? fragte Hilde. Sie stand neben Hagedorn an der Brstung und blickte in die Runde. Lat mich mit euren Bergen zufrieden! knurrte die Tante, faltete die Hnde berm Kostm Jackett und sagte: Ich liege gut. Ich glaube, wir stren, flsterte Hagedorn. Schulze hatte scharfe Ohren. Macht, da ihr fortkommt! befahl er. Aber in einer Stunde seid ihr zurck, sonst raucht's! Kehrt, marsch! Dann fiel ihm noch etwas ein. Fritz! Vergi nicht, da ich Mutterstelle an dir vertrete! Mein Gedchtnis hat seit gestern sehr gelitten, erklrte der junge Mann. Dann folgte er Hilde. Doch er wurde noch einmal aufgehalten. Aus einem Liegestuhl streckte sich ihm eine Frauenhand entgegen. Es war die Mallebr. Servus, Herr Doktor! sagte sie und lie hierbei ihre schne Altstimme vibrieren. Sie sah resigniert in seine Augen. Darf ich Sie mit meinem Mann bekannt machen? Er kam heute morgen an. Welch freudige berraschung! meinte Hagedorn und begrte einen eleganten Herrn mit schwarzem Schnurrbart und mdem Blick. Ich habe schon von Ihnen gehrt, sagte Herr von Mallebr. Sie sind der Gesprchsstoff dieser Saison. Meine Verehrung! Hagedorn verabschiedete sich rasch und folgte Hilde, die am Fu der Holztreppe im Schnee stand und wartete. Schon wieder eine Anbeterin? fragte sie. Er zuckte die Achseln. Sie wollte von mir gerettet werden, berichtete er. Sie leidet an chronischer Anpassungsfhigkeit. Da ihre letzten Liebhaber mehr oder weniger oberflchlicher Natur waren, entschlo sie sich, die Verwahrlosung ihres reichen Innenlebens befrchtend, zu einer Radikalkur. Sie wollte sich an einem wertvollen Menschen emporranken. Der wertvolle Mensch sollte ich sein. Aber nun ist ja der Gatte eingetroffen! Sie kreuzten den Weg, der zur Station hinunterfhrte. Der nchste Wagen war eben angekommen. Allen Fahrgsten voran kletterte Frau Casparius ins Freie. Dann steckte sie burschikos die Hnde in die Hosentaschen und stiefelte eifrig zum Hotel empor. Hinter ihr, mit zwei Paar Schneeschuhen bewaffnet, chzte Lenz aus Kln. Die blonde Bremerin erblickte Hagedorn und Hilde, kriegte bse Augen und rief: Hallo, Doktor! Was machen Ihre kleinen Katzen? Gren Sie sie von mir! Sie verschwand mit Riesenschritten im Hotel. Hildegard ging schweigend neben Fritz her. Erst als sie, nach einer Wegbiegung, allein waren, fragte sie: Wollte diese impertinente Person ebenfalls gerettet werden? Hagedorns Herz hpfte. Sie ist schon eiferschtig, dachte er gerhrt. Dann sagte er: Nein. Sie hatte andere Plne. Sie erklrte, da wir jung, blhend und gesund seien. So etwas verpflichte. Platonische Vorreden seien auf ein Mindestma zu beschrnken. Und was wollte sie mit Ihren Katzen? Vor einigen Tagen klopfte es an meiner Tr. Ich rief  Herein! , weil ich dachte, es sei Eduard. Es war aber Frau Casparius. Sie legte sich auf den kostbaren Perserteppich und spielte mit den Ktzchen. Spter kam dann Eduard, und da ging sie wieder. Sie heit Hortense. Das ist ja allerhand, meinte Hildegard. Ich glaube, Herr Doktor, auf Sie mte jemand aufpassen. Sie machen sonst zuviel Dummheiten. Er nickte verzweifelt. So geht es auf keinen Fall weiter. Das heit: Eduard pat ja auf mich auf. Eduard? fragte sie hhnisch. Eduard ist nicht streng genug. Auerdem ist das keine Aufgabe fr einen Mann! Wie recht Sie haben! rief er. Aber wer soll es sonst tun? Versuchen Sie's doch einmal mit einem Inserat, schlug sie vor. Kinderfrau gesucht! Kinderfrulein, verbesserte er gewissenhaft. Kost und Logis gratis. Liebevolle Behandlung zugesichert. Jawohl! sagte sie zornig. Mindestens sechzig Jahre alt! Besitz eines Waffenscheins Vorbedingung! Sie verlie den Weg und stolperte, vor sich hinschimpfend, ber ein bltenweies Schneefeld. Er hatte Mhe, einigermaen Schritt zu halten. Einmal drehte sie sich um. Lachen Sie nicht! rief sie auer sich. Sie Wstling! Dann rannte sie gehetzt weiter. Wollen Sie gleich stehenbleiben! befahl er. In demselben Augenblick brach sie im Schnee ein. Sie versank bis an die Hften. Erst machte sie ein erschrockenes Gesicht. Dann begann sie wild zu strampeln. Aber sie glitt immer tiefer in den Schnee. Es sah aus, als gehe sie unter. Hagedorn eilte zu Hilfe. Fassen Sie meine Hand an! sagte er besorgt. Ich ziehe Sie heraus. Sie schttelte den Kopf. Unterstehen Sie sich! Ich bin keine von denen, die sich retten lassen. In ihren Augen standen Trnen. Nun war er nicht mehr zu halten. Er bckte sich, packte zu, zog sie aus der Schneewehe, umfing sie mit beiden Armen und kte sie auf den Mund. Spter sagte sie: Du Schuft! Du Kanaille! Du Halunke! Du Mdchenhndler! Und dann gab sie ihm den Ku, ohne Abzge, zurck. Hierbei hmmerte sie anfangs mit ihren kleinen Fusten auf seinen Schultern herum. Spter ffneten sich die Fuste. Dafr schlssen sich, ganz allmhlich, ihre Augen. Noch immer hingen kleine Trnen in den langen, dunklen Wimpern. Na, wie war's? fragte Schulze, als sie wiederkamen. Das lt sich schwer beschreiben, sagte Hagedorn. Ja, ja, meinte Herr Kesselhuth verstndnisvoll. Diese Gletscher und Durchblicke und Schneefelder berall! Da fehlen einem die Worte. Vor allem die Schneefelder! besttigte der junge Mann. Hilde sah ihn streng an. Tante Julchen erwachte gerade. Ihr Gesicht war rotgebrannt. Sie ghnte und rieb sich die Augen. Hilde setzte sich und sagte: Komm, Fritz! Neben mir ist noch ein Platz frei. Die Tante fuhr elektrisiert hoch. Was ist denn passiert? Nichts Auergewhnliches, meinte das junge Mdchen. Aber du duzt ihn ja! rief die alte Frau. Ich nehme das Ihrer Nichte nicht weiter bel, bemerkte Hagedorn. Er duzt mich ja auch! sagte Hilde. Es ist an dem, erklrte Fritz. Hilde und ich haben beschlossen, whrend der nchsten fnfzig Jahre zueinander du zu sagen. Und dann? fragte Tante Julchen. Dann lassen wir uns scheiden, behauptete die Nichte. Meine herzlichsten Glckwnsche! rief Herr Kesselhuth erfreut. Whrend die Tante noch immer nach Luft rang, fragte Schulze: Liebes Frulein, haben Sie zufllig irgendwelche Angehrigen? Ich bin so frei, erklrte das junge Mdchen. Ich bin zufllig im Besitz eines Vaters. Hagedorn fand das sehr gelungen. Ist er wenigstens nett? fragte er. Es lt sich mit ihm auskommen, meinte Hilde. Er hat glcklicherweise sehr viele Fehler. Das hat seine vterliche Autoritt restlos untergraben. Und wenn er mich nun absolut nicht leiden kann? fragte der junge Mann bekmmert. Vielleicht will er, da du einen Bankdirektor heiratest. Oder einen Tierarzt aus der Nachbarschaft. Oder einen Studienrat, der ihm jeden Morgen in der Straenbahn gegenber sitzt. Das ist alles schon vorgekommen. Na, und wenn er erst hrt, da ich nicht einmal eine Anstellung habe! Du wirst schon eine finden, trstete Hilde. Und wenn er dann noch etwas dagegen hat, gren wir ihn auf der Strae nicht mehr. Das kann er nmlich nicht leiden. Oder wir machen ihn so rasch wie mglich zum zehnfachen Grovater, erwog Fritz. Und dann stekken wir alle zehn Kinder in seinen Briefkasten. Das wirkt immer. Tante Julchen ri den Mund auf und hielt sich die Ohren zu. Schulze sagte: So ist's recht! Ihr werdet ihn schon kleinkriegen, den ollen Kerl! Herr Kesselhuth hob abwehrend die Hand. Sie sollten von Herrn Schulze nicht so abfllig sprechen, Herr Schulze! Tante Julchen wurde es zuviel. Sie stand auf und wollte nach Bruckbeuren zurck. Aber mit der Drahtseilbahn fahre ich nicht! Zu Fu ist die Strecke noch viel gefhrlicher, sagte Hagedorn. Auerdem dauert es vier Stunden. Dann bleibe ich hier oben und warte bis zum Frhling, erklrte die Tante kategorisch. Ich habe doch aber schon die Rckfahrkarten gelst! meinte Herr Kesselhuth. Soll denn Ihr Billett verfallen? Tante Julchen rang mit sich. Es war ergreifend anzusehen. Endlich sagte sie: Das ist natrlich etwas anderes. Und dann schritt sie als erste zur Station. Sparsamkeit macht Helden. Das siebzehnte Kapitel Hoffnungen und Entwrfe Am frhen Nachmittag, whrend die lteren Herrschaften je ein Schlfchen absolvierten, gingen Hildegard und Fritz in den Wald. Sie faten sich bei den Hnden. Sie blickten einander von Zeit zu Zeit lchelnd an. Sie blieben manchmal stehen, kten sich und strichen einander zrtlich bers Haar. Sie spielten Haschen. Sie schwiegen meist und htten jede Tanne umarmen mgen. Das Glck lastete auf ihren Schultern wie viele Zentner Konfekt. Fritz meinte nachdenklich: Eigentlich sind wir doch zwei ziemlich gescheite Lebewesen. Ich unterstelle es jedenfalls als wahr. Wie kommt es dann, da wir uns genauso albern benehmen wie andere Liebespaare? Wir halten uns an den Hndchen. Wir stolpern Arm in Arm durch die kahle Natur. Wir bissen einander am liebsten die Nasenspitze ab. Ist das nicht idiotisch? Frollein, ich bitte um Ihre unmagebliche Stellungnahme! Hilde kreuzte die Arme vor der Brust, verneigte sich dreimal und sagte: Erhabener Sultan, gestatte deiner sehr unwrdigen Dienerin die Bemerkung, da die Klugheit im Liebeskonzert der Vlker noch nie die erste Geige spielte. Stehen Sie auf, teuerste Grfin! rief er pathetisch, obwohl sie gar nicht kniete. Stehen Sie auf! Wer so klug ist, da er die Grenzen der Klugheit erkennt, mu belohnt werden. Ich ernenne Sie hiermit zu meiner Kammerzofe la suite! Sie machte einen Hofknicks. Ich werde sogleich vor Rhrung weinen, Majestt, und bitte, in meinen Trnen baden zu drfen. Es sei! erklrte er kniglich. Erklten Sie sich aber nicht! Keineswegs, Meister, sagte sie. Die Temperatur meiner Zhren pflegt erfahrungsgem zwischen sechsundzwanzig und achtundzwanzig Grad Celsius zu schwanken. Wohlan! rief er. Und wann treten Sie Ihren Dienst an meinem Hofe an? Sobald du willst, erklrte sie. Dann begann sie pltzlich, trotz der Nagelschuhe, zu tanzen. Es handelt sich um den Sterbenden Schwan, fgte sie erluternd hinzu. Ich bitte besonders auf meinen langen Hals zu achten. Tanzen Sie weiter! meinte er. Ich hole Sie abends wieder ab. Er ging. Sie kam laut heulend hinter ihm her und gab vor, sich zu frchten. Er nahm sie bei der Hand und sagte: Trichtes Kind! Aber der Schwan ist doch gestorben, erklrte sie eifrig. Und mit einem so groen toten Vogel allein im Wald  huhuhu! Er gab ihr einen Klaps, und dann setzten sie den Weg fort. Nach einiger Zeit wurde er ernst. Wieviel Geld mu ich verdienen, damit wir heiraten knnen? Bist du sehr anspruchsvoll? Was kostet der Ring, den du am Finger hast? Zweitausend Mark. Ach, du grne Neune, rief er. Das ist doch schn, meinte sie. Den knnen wir versetzen! Ich werde dich gleich bers Knie legen! Wir werden nicht von dem leben, was du versetzt, sondern von dem, was ich verdiene. Sie stemmte die Hnde in die Hften. Aha! Das knnte dir so passen! Du widerwrtiger Egoist! Alle Mnner sind Egoisten. Ich habe ein Buch gelesen. Da stand es drin.  Das Wirtschaftsgeld und die Monogamie hie das Buch. Ihr seid ein heimtckisches, kleinliches Geschlecht, brrr! Sie schttelte sich wie ein nasser Pudel. Vier Monate lang knnten wir von dem Ring leben! In einer Dreizimmerwohnung mit indirekter Beleuchtung! Zentralheizung und Fahrstuhl inklusive! Und sonntags knnten wir miteinander zum Fenster hinausgucken! Aber nein! Lieber stopfst du mich in eine Konservenbchse wie junges Gemse. Bis ich einen grauen Bart kriege. Ich bin aber kein junges Gemse! Doch, wagte er zu bemerken. Ich schmeie den blden Ring in den Schnee! rief sie. Und sie tat es wirklich. Anschlieend krochen sie auf allen vieren im Wald umher. Endlich fand er den Ring wieder. tsch! machte sie. Nun gehrt er dir! Er steckte ihn an ihren Finger und sagte: Ich borge ihn dir bis auf weiteres. Nach einer Weile fragte er: Du glaubst also, da wir mit fnfhundert Mark im Monat auskommen? Na klar. Und wenn ich weniger verdiene? Dann kommen wir mit weniger aus, meinte sie berzeugt. Du darfst das Geld nicht so ernst nehmen, Fritz. Wenn alle Strnge reien, pumpen wir meinen Vater an. Damit er wei, wozu er auf der Welt ist. Du bist wahnwitzig, sagte er. Du verstehst nichts von Geld. Und von Mnnern verstehst du noch weniger. Dein Vater knnte der Schah von Persien sein  ich nhme keinen Pfennig von ihm geschenkt. Sie hob sich auf die Zehenspitzen und flsterte ihm ins Ohr: Liebling, mein Vater ist doch aber gar nicht der Schah von Persien! Da haben wir's, sagte er. Da siehst du wieder einmal, da ich immer recht habe. Du bist ein Dickschdel, erwiderte sie. Zur Strafe fllt Klein-Hildegard nunmehr in eine tiefe Ohnmacht. Sie machte sich stocksteif, kippte in seine ausgebreiteten Arme, blinzelte vorsichtig durch die gesenkten Lider und spitzte die Lippen. (Nicht etwa, um zu pfeifen.) Inzwischen hatten die lteren Herrschaften das Nachmittagsschlfchen erfolgreich beendet. Johann stieg, ber die Dienstbotentreppe, ins fnfte Stockwerk und brachte Blumen, eine Kiste Zigarren, frische Rasierklingen, sowie Geheimrat Toblers violette Hose, die er gebgelt hatte. Der Geheimrat stand ohne Beinkleider in seinem elektrisch geheizten Dachstbchen und sagte: Deswegen suche ich wie ein Irrer! Ich wollte gerade in Unterhosen zum Fnfuhrtee gehen. Ich habe die Hose, whrend Sie schliefen, aus Ihrem Zimmer geholt. Sie sah skandals aus. Hauptsache, da sie Ihnen jetzt gefllt, meinte Tobler. Er kleidete sich an. Johann brstete ihm Jackett und Schuhe. Dann gingen sie und klopften unterwegs an Frau Kunkels Zimmer. Tante Julchen rauschte imposant in den Korridor. Sie haben sich ja geschminkt! meinte Johann. Ein ganz kleines bichen, sagte sie. Man fllt sonst aus dem Rahmen. Wir knnen schlielich nicht alle miteinander wie die Vagabunden herumlaufen! Herr Geheimrat, ich habe ein paar Anzge mitgebracht. Wollen Sie sich nicht endlich umziehen? Heute frh haben die Leute oben auf dem hohen Berg grliche Bemerkungen gemacht. Halten Sie den Mund, Kunkel! befahl Tobler. Es ist egal! Ein Herr mit einer Hornbrille hat gesagt:  Wenn man den Kerl ins Kornfeld stellt, fliegen alle Vgel fort! Und eine Dame ... Sie sollen den Mund halten! knurrte Johann. Die Dame sagte: >So etwas mte der Verkehrsverein narkotisieren und heimschicken^ Ein rohes Frauenzimmer! meinte der Geheimrat. Aber so sind die Menschen. Dann tranken sie in der Halle Kaffee. Frau Kunkel a Torte und sah den Tanzpaaren zu. Die beiden Mnner lasen Zeitung und rauchten schwarze Zigarren. Pltzlich trat ein Boy an den Tisch und sagte: Herr Schulze, Sie sollen mal zum Herrn Portier kommen! Tobler, der, in Gedanken versunken, Zeitung las, meinte: Johann, sehen Sie nach, was er will! Schrecklich gern, flsterte Herr Kesselhuth. Aber das geht doch nicht. Der Geheimrat legte das Blatt beiseite. Das geht wirklich nicht. Er blickte den Boy an. Einen schnen Gru, und ich lse Zeitung. Wenn der Herr Portier etwas von mir will, soll er herkommen. Der Junge machte ein dmliches Gesicht und verschwand. Der Geheimrat griff erneut zur Zeitung. Frau Kunkel und Johann blickten gespannt zur Portierloge hinber. Kurz darauf kam Onkel Folter an. Ich hre, da Sie sehr beschftigt sind, meinte er mrrisch. Tobler nickte gleichmtig und las weiter. Wie lange kann das dauern? fragte der Portier und bekam rote Backen. Schwer zu sagen, meinte Tobler. Ich bin erst beim Leitartikel. Der Portier schwitzte schon. Die Hoteldirektion wollte Sie um eine kleine Geflligkeit bitten. Oh, darf ich endlich den Schornstein fegen? Sie sollen fr ein paar Stunden die Skihalle beaufsichtigen. Bis die letzten Gste herein sind. Der Sepp ist verhindert. Hat er die Masern? fragte der andere. Sollte ihn das Kind der Botenfrau angesteckt haben? Der Portier knirschte mit den Zhnen. Die Grnde tun nichts zur Sache. Drfen wir auf Sie zhlen? Herr Schulze schttelte den Kopf. Er schien die Absage selber zu bedauern. Ich mag heute nicht. Vielleicht ein andermal. Die Umsitzenden spitzten die Ohren. Frau Casparius, die an einem der Nebentische sa, reckte den Hals. Onkel Folter senkte die Stimme. Ist das Ihr letztes Wort? In der Tat, versicherte Schulze. Sie wissen, wie gern ich Ihrem offensichtlichen Personalmangel abhelfe. Aber heute bin ich nicht in der richtigen Stimmung. Ich glaube, das Barometer fllt. Ich bin ein sensibler Mensch. Guten Abend! Der Portier trat noch einen Schritt nher. Folgen Sie mir endlich! Hierbei legte er seine Rechte auf Schutzes Schulter. Ein bichen pltzlich, bitte! Da aber drehte sich Schulze herum und schlug dem Portier energisch auf die Finger. Nehmen Sie sofort die Hand von meinem Anzug! fgte er drohend hinzu. Ich mchte Sie darauf aufmerksam machen, da ich jhzornig bin. Der Portier bekam Fuste. Sein Atem pfiff. Er erinnerte an eine Kaffeemaschine, die den Siedepunkt erreicht hat. Aber er sagte nur: Wir sprechen uns noch. Dann ging er. An den Nebentischen wurde erregt geflstert. Die Augen der Bremer Blondine schillerten giftig. Htten Sie ihm doch eine geklebt, meinte Tante Julchen. Es ist immer dasselbe, Herr Geheimrat. Sie sind zu gutmtig. Ruhe! flsterte Tobler. Die Kinder kommen. Als sich Doktor Hagedorn frs Abendessen umkleidete, brachte der Liftboy einen Einschreibebrief und, mit Empfehlungen vom Portier, ein paar auslndische Briefmarken. Fritz quittierte. Dann ffnete er den Umschlag. Wer schickte ihm denn Einschreibebriefe nach Bruckbeuren? Er stolperte lesend ber den Teppich. Er fiel aufs Sofa, mitten zwischen die drei spielenden Katzen, und starrte hypnotisiert auf das Schreiben. Dann drehte er das Kuvert um. Ein Stck Papier rutschte heraus. Ein Scheck ber fnfhundert Mark! Er fuhr sich aufgeregt durchs Haar. Eine der Katzen kletterte auf seine Schulter, rieb ihren Kopf an seinem Ohr und schnurrte. Er stand auf, hielt sich, weil ihm schwindelte, am Tisch fest und trat langsam zum Fenster. Vor ihm lagen der verschneite Park, die spiegelglatte Eisbahn, die Skihalle mit dem weien Dach. Ein paar Liegesthle waren vergessen worden. Hagedorn sah nichts von alledem. Die Katze krallte sich ngstlich in dem blauen Jackett fest. Sie machte einen Buckel. Er lief kreuz und quer durchs Zimmer. Sie miaute klglich. Er nahm sie von seiner Schulter, setzte sie auf den Rauchtisch und ging weiter. Er bckte sich, nahm den Scheck hoch, den Brief auch. Dann sagte er: Nun ist der Bart ab! Etwas Passenderes fiel ihm nicht ein. Pltzlich rannte er aus dem Zimmer. Im Korridor begegnete ihm das Stubenmdchen. Sie blickte ihn lchelnd an, wnschte guten Abend und fragte: Haben der Herr Doktor absichtlich keine Krawatte umgebunden? Er blieb stehen. Wie bitte? Ach so. Nein. Danke schn. Er ging in seine Gemcher zurck. Hier begann er zu pfeifen. Etwas spter begab er sich, die Tr weit offen lassend, zum Portier hinunter und verlangte ein Telegrammformular. Entschuldigung, Herr Doktor. Haben Sie absichtlich keine Krawatte umgebunden? Wieso? fragte Hagedorn. Ich war doch extra deswegen noch einmal in meinem Zimmer! Er griff sich an den Hemdkragen und schttelte den Kopf. Tatschlich! Na, erst mu ich depeschieren. Er beugte sich ber das Formular und adressierte es an: Fleischerei Kuchenbuch, Charlottenburg, Mommsenstrae. Dann schrieb er: Anrufe Dienstag 10 Uhr stop erbitte Mutter ans Telefon stop vorbereitet freudige Mitteilung. Fritz Hagedorn. Er reichte das Formular ber den Tisch. Wenn meine Mutter eine Depesche kriegt, denkt sie, ich bin unter eine Lawine gekommen. Drum depeschiere ich dem Fleischer von nebenan. Der Mann hat Gemt. Der Portier nickte hflich, obwohl er nicht verstand, worum es sich handelte. Hagedorn ging in den Speisesaal. Die anderen saen schon bei Tisch. Er sagte: Mahlzeit! und nahm Platz. Haben Sie absichtlich keine Krawatte umgebunden? fragte Tante Julchen. Ich bitte um Nachsicht, meinte er. Ich habe heute einen Webefehler. Wovon denn, mein Junge? erkundigte sich Schulze. Hagedorn klopfte mit einem Lffel ans Glas. Wit ihr, was los ist? Ich bin engagiert! Ich habe vom nchsten Ersten ab eine Anstellung! Mit achthundert Mark im Monat! Es ist zum berschnappen! Eduard, hast du noch keinen Brief bekommen? Nein? Dann kriegst du ihn noch. Verla dich drauf! Man schreibt mir, wir zwei htten knftig geschftlich miteinander zu tun. Freust du dich, oller Knabe? Hach, ist das Leben schn! Er blickte den Schifffahrtsbesitzer Johann Kesselhuth an. Haben Sie vielen Dank! Ich bin so glcklich! Er drckte dem soignierten alten Herrn gerhrt die Hand. Eduard, bedanke dich auch! Schulze lachte. Das htte ich fast vergessen. Also, besten Dank, mein Herr! Kesselhuth rutschte verlegen auf seinem Stuhl hin und her. Tante Julchen sah verstndnislos von einem zum anderen. Hagedorn griff in die Tasche und legte den Scheck ber fnfhundert Mark neben Hildes Teller. Eine Sondergratifikation! Kinder, ist das eine noble Firma! Fnfhundert Mark, noch ehe man den kleinen Finger krumm gemacht hat! Der Abteilungschef schreibt, ich mge mich im Interesse des Unternehmens bestens erholen. Bestens! Was sagt ihr dazu? Prchtig, prchtig, meinte Hilde. Da kannst du morgen gleich deiner Mutter etwas schicken, nicht? Er nickte. Jawohl! Zweihundert Mark! Auerdem kommt sie frh zu Kuchenbuchs. Ich erzhle ihr alles am Telefon. Kuchenbuchs? fragte Eduard. Das ist der Fleischer, bei dem wir kaufen. Ich habe ihm eben eine Depesche geschickt. Er soll meine Mutter schonend vorbereiten. Sonst erschrickt sie zu Tode. Hilde sagte: Ich gratuliere dir zu deiner Anstellung von ganzem Herzen. Ich dir auch, antwortete er frhlich. Nun kriegst du endlich einen Mann. Wen denn? fragte Tante Julchen. Ach, so, ich wei schon. Na ja. Damit Sie's wissen, Herr Doktor, ich bin nicht sehr dafr. Es tut mir leid, sagte er. Aber ich kann leider auf Hildes Tanten keine Rcksicht nehmen. Das wrde zu weit fhren. Liebling, ob dein Vater einverstanden sein wird? Achthundert Mark sind doch 'ne Stange Geld. Frau Kunkel lachte despektierlich. Pa mal auf, sagte Hilde. Wir werden sogar sparen. Wir brauchen kein Dienstmdchen, sondern ich lasse dreimal in der Woche eine Aufwartefrau kommen. Aber wenn der Junge da ist, nehmen wir ein Dienstmdchen, erklrte Hagedorn besorgt. " ; Welcher Junge? fragte die Tante. Unser Junge! sagte Hilde stolz. Wir werden ihn Eduard nennen, bemerkte der knftige Papa. Im Hinblick auf meinen Freund. Und wenn es ein Mdchen ist? fragte Schulze besorgt. Fr diesen Fall mchte ich Eduardine vorschlagen, erklrte Herr Kesselhuth. Sie sind ein findiger Kopf, sagte Schulze anerkennend. Es wird bestimmt ein Junge, versicherte Hagedorn. Hilde meinte: Ich habe auch so das Gefhl. Und dann wurde sie rot bis ber beide Ohren. Tante Julchen rang nach neuem Gesprchsstoff. Sie fragte: Welche Firma hat Sie denn engagiert? Hagedorn warf sich in die Brust: Sie werden staunen, Tantchen. Die Toblerwerke! Tante Julchen staunte wirklich. Sie staunte so sehr, da ihr ein Hhnerknochen in die Speiserhre geriet. Die Augen traten ihr faustdick aus dem Kopf. Sie hustete aus tiefster Seele. Man flte ihr Wasser ein. Man hielt ihr die Arme hoch. Sie ri sich los, warf einen gequlten Blick auf Herrn Schulze und entwich. Hat sie das hufig? fragte Fritz, als sie fort war. Seit sie meine Tante ist, wollte Hilde eigentlich sagen. Aber sie sah die Augen ihres Vaters und die des Dieners Johann auf sich gerichtet und erklrte: Die Freude wird sie berwltigt haben. Am gleichen Abend fand, eine Stunde spter, ein Gesprch statt, das nicht ohne Folgen bleiben sollte. Frau Casparius kam zu Onkel Folter, der hinter seinem Ladentisch sa und eine englische Zeitung berflog. Ich habe mit Ihnen zu reden, erklrte sie. Er stand langsam auf. Die Fe taten ihm weh. Wir kennen einander seit fnf Jahren, nicht wahr? Jawohl, gndige Frau. Als Sie das erstemal bei uns waren, wohnten gerade die akademischen Skilufer im Hotel. Das klang etwas anzglich. Sie lchelte, griff in ihre kleine Brokattasche und gab ihm ein Bndel Banknoten. Es sind fnfhundert Mark, erklrte sie obenhin. Ich habe die Summe gerade brig. Er nahm das Geld. Gndige Frau, verfgen Sie ber mich! Sie holte eine Zigarette aus dem goldenen Etui. Er gab ihr Feuer. Sie rauchte und blickte ihn prfend an. Hat sich eigentlich noch keiner der Gste ber Herrn Schulze beschwert? O doch, sagte er. Man hat sich wiederholt erkundigt, wieso ein derart abgerissen gekleideter Mensch ausgerechnet in unserem Hotel wohnt. Dazu kommt ja noch, da sich der Mann im hchsten Grade unverschmt auffhrt. Ich selber hatte heute nachmittag einen Auftritt mit ihm, der jeder Beschreibung spottet. Diese Beschreibung wre zudem berflssig, erklrte sie. Ich sa am Nebentisch. Es war skandals! Sie sollten sich eine solche Unverfrorenheit nicht bieten lassen. Das untergrbt den guten Ruf Ihres Hotels. Der Portier zuckte die Achseln. Was kann ich dagegen tun, gndige Frau? Gast bleibt Gast. Hren Sie zu! Mir liegt daran, da Herr Schulze umgehend verschwindet. Die Grnde tun nichts zur Sache. Er verzog keine Miene. Sie sind ein intelligenter Mensch, sagte sie. Beeinflussen Sie den Hoteldirektor! bertreiben Sie die Beschwerden, die gegen Schulze gefhrt wurden. Fgen Sie hinzu, da ich niemals wieder hierherkomme, falls nichts unternommen wird. Herr Lenz geht brigens mit mir d'accord. Und was soll praktisch geschehen? Herr Khne soll morgen dem Schulze vorschlagen, im Interesse der Gste und des Hotels abzureisen. Der Mann ist offensichtlich sehr bedrftig. Bieten Sie ihm eine pekunire Entschdigung an! Die Hhe der Summe ist mir gleichgltig. Geben Sie ihm dreihundert Mark. Das ist fr ihn ein Vermgen. Ich verstehe, meinte der Portier. Um so besser, meinte sie hochmtig. Was Sie von den fnfhundert Mark brigbehalten, gehrt selbstverstndlich Ihnen. Er verbeugte sich dankend. Ich werde tun, was in meinen Krften steht, gndige Frau. Noch eins, sagte sie. Wenn dieser Herr Schulze morgen nachmittag nicht verschwunden sein sollte, reise ich mit dem Abendzug nach Sankt Moritz. Auch das wollen Sie, bitte, Ihrem Direktor ausrichten! Sie nickte flchtig und ging in die Bar. Das Abendkleid rauschte. Es klang, als flstere es in einem fort seinen Preis. Das achtzehnte Kapitel Zerstrte Illusionen Am nchsten Morgen kurz nach acht Uhr klingelte es bei Frau Hagedorn in der Mommsenstrae. Die alte Dame ffnete. Drauen stand der Lehrling vom Fleischermeister Kuchenbuch. Er war fast zwei Meter gro und wurde Karlchen genannt. Einen schnen Gru vom Meister, sagte Karlchen. Und um zehn Uhr wrde der Doktor Hagedorn aus den Alpen anrufen. Sie brauchten aber nicht zu erschrecken. Da soll man nicht erschrecken? fragte die alte Dame. Nein. Er hat uns gestern abend ein Telegramm geschickt, und wir sollten Sie, bitte, auf ein freudiges Ereignis vorbereiten. Das sieht ihm hnlich, sagte die Mutter. Ein freudiges Ereignis? Ha! Ich komme gleich hinunter. Moment mal, ich hole Ihnen einen Sechser. Fr den Weg. Sie verschwand, brachte ein Fnfpfennigstck und gab es Karlchen. Er bedankte sich und rannte polternd treppab. Punkt neun Uhr erschien Frau Hagedorn bei Kuchenbuchs im Laden. Karlchen hat natrlich wieder einmal Quatsch gemacht, meinte die Frau des Fleischermeisters. Sie kommen eine Stunde zu frh. Ich wei, sagte Mutter Hagedorn; Aber ich habe zu Hause keine Ruhe. Vielleicht telefoniert er frher. Ich werde Sie gar nicht stren. Frau Kuchenbuch lachte gutmtig. Von Stren knne keine Rede sein. Dann gab sie der alten Dame die Depesche und lud sie zum Sitzen ein. Wie er sich hat! meinte Frau Hagedorn gereizt. Er tut ja gerade, als ob ich eine Zimttte wre. So schnell erschrecke ich nun wirklich nicht. Was mag er nur wollen? fragte die Meistersfrau. Ich bin schrecklich aufgeregt, stellte die alte Dame fest. Dann kamen Kunden, und sie mute den Mund halten. Sie blickte jede Minute dreimal auf die Wanduhr, die ber den Zervelat- und Salamiwrsten hing. Kalt war's im Laden. Und die Steinfliesen waren feucht. Drauen war Matschwetter. Als kurz nach zehn Uhr das Telefon klingelte, war sie bereits vllig aufgelst. Sie lief zittrig hinter den Ladentisch, schob sich am Hackblock vorbei, prete den Hrer krampfhaft ans Ohr und sagte zu Frau Kuchenbuch: Hoffentlich verstehe ich ihn deutlich. Er ist so weit weg! Dann schwieg sie und lauschte angespannt. Pltzlich erstrahlte ihr Gesicht. Wie ein Festsaal, der eben noch im Dunkeln lag. Ja? rief sie mit heller Stimme. Hier Hagedorn! Fritz, bist du's? Hast du dir ein Bein gebrochen? Nein? Das ist recht. Oder einen Arm? Auch nicht? Da bin ich aber froh, mein Junge. Bist du bestimmt gesund? Wie? Was sagst du? Ich soll ruhig zuhren? Fritz, benimm dich. So spricht man nicht mit seiner Mutter. Nicht einmal telefonisch. Was gibt's? Sie schwieg ziemlich lange, hrte angespannt zu und tat unvermittelt einen kleinen Luftsprung. Junge, Junge! Mach keine Witze! Achthundert Mark im Monat? Hier in Berlin? Das ist aber schn. Stelle dir vor, du mtest nach Knigsberg oder Kln, und ich se in der Mommsenstrae und finge Fliegen. Was soll ich mich? Sprich lauter, Fritz! Es ist jemand im Laden. Ach so, festhalten soll ich mich!! Gern, mein Junge. Wozu denn? Was hast du dich? Du hast dich verlobt? Schreck, la nach! Hildegard Schulze? Kenne ich nicht. Weshalb denn gleich verloben? Dazu mu man sich doch erst nher kennen. Widersprich nicht. Das wei ich besser. Ich war schon verlobt, da warst du noch gar nicht auf der Welt. Wieso willst du das hoffen? Ach so! Sie lachte. Na, ich werde das Frulein mal unter die Lupe nehmen. Wenn sie mir nicht gefllt, erlaube ich's nicht. Abwarten und Tee trinken. Tee trinken, habe ich gesagt. Lade sie zum Abendessen bei uns ein! Ist sie verwhnt? Nein? Dein Glck! Was hast du abgeschickt? Zweihundert Mark? Ich brauche doch nichts. Also gut. Ich kaufe ein paar Oberhemden und was du sonst noch brauchst. Mssen wir nicht aufhren, Fritz? Es wird sonst zu teuer. Was ich noch fragen wollte: Reicht die Wsche? Habt ihr schnes Wetter? Dort taut es auch? Das ist aber schade. Und gre das Mdchen von mir. Nicht vergessen! Und deinen Freund. Du, der heit doch auch Schulze! Sie ist wohl seine Tochter? Gar nicht miteinander verwandt? Soso. Nun hrte die alte Dame wieder lngere Zeit zu. Dann fuhr sie fort: Also, mein lieber Junge, auf frohes Wiedersehen! Bleib mir gesund! Komme nicht unter die Straenbahn. Wei ich ja. Es gibt gar keine in eurem Kuhdorf. Sie lachte. Mir geht's ausgezeichnet. Und vielen Dank fr den Anruf. Das war sehr lieb von dir. Weit du schon, ob du gnstige Fahrverbindung zum Bro hast? Weit du noch nicht? Aha. Wie heit denn die Firma? Toblerwerke? Die dir den Preis verliehen haben? Da wird sich aber Herr Franke freuen. Natrlich gr ich ihn. Selbstverstndlich. So, nun wollen wir hinhngen. Sonst kostet es das Doppelte. Auf Wiedersehen, mein Junge. Ja. Natrlich. Ja, ja. Ja! Auf Wiedersehen! Das waren aber gute Nachrichten, meinte Frau Kuchenbuch anerkennend. Achthundert Mark im Monat, sagte die alte Dame. Und vorher jahrelang keinen Pfennig! Achthundert Mark und eine Braut! Frau Hagedorn nickte. Ein bichen viel aufs Mal, wie? Aber dazu sind die Kinder ja schlielich da, da sie spter Eltern werden. Und wir Groeltern. Das wollen wir stark hoffen, meinte die alte Dame. Sie musterte den Ladentisch. Geben Sie mir, bitte, ein Viertelpfund Hochrippe. Und ein paar Knochen extra. Und ein Achtel gekochten Schinken. Der Tag mu gefeiert werden. Fritz war frh auf der Bank gewesen und hatte den Scheck eingelst. Dann hatte er im Postamt das Telefongesprch mit Berlin angemeldet und, whrend er auf die Verbindung wartete, fr seine Mutter zweihundert Mark eingezahlt. Jetzt, nach dem Gesprch, bummelte er guter Laune durch den kleinen altertmlichen Ort und machte Einkufe. Das ist, wenn man jahrelang jeden Pfennig zehnmal hat umdrehen mssen, ein ergreifendes Vergngen. Jahrelang hat man die Zhne zusammengebissen. Und nun das Glck wie der Blitz eingeschlagen hat, mchte man am liebsten heulen. Na, Schwamm drber! Fr Herrn Kesselhuth, seinen Gnner, besorgte Doktor Hagedorn eine Kiste kostbarer Havannazigarren. Fr Eduard kaufte er in einem kleinen Antiquittengeschft einen alten Zinnkrug. Fr Hilde erstand er ein seltsames traubenfrmiges Ohrgehnge. Es war aus Jade, mattem Gold und Halbedelsteinen. Im Blumenladen bestellte er schlielich fr Tante Julchen einen imposanten Strau und bat die Verkuferin, die Geschenke ins Hotel zu schicken. Sich selber schenkte er nichts. Anderthalb Stunden war er im Ort. Als er zurckkam, lag Kasimir, der unvergleichliche Schneemann, in den letzten Zgen. Der Konfitreneimer, Kasimirs Helm, sa auf den Schultern. Augen, Nase, Mund und Schnurrbart waren dem geliebten Husaren auf die Heldenbrust gerutscht. Aber noch stand er aufrecht. Er starb im Stehen, wie es sich fr einen Soldaten geziemt. Fahr wohl, teurer Kasimir! sagte Hagedorn. Ohne Kopf kann keiner aus dem Fenster gucken. Dann betrat er das Grandhotel. Hier war inzwischen mancherlei geschehen. Das Unheil hatte harmloserweise damit begonnen, da Geheimrat Tobler, seine Tochter, die Kunkel und Johann frhstckten. Sie saen im Verandasaal, aen Brtchen und sprachen ber das Tauwetter. Wenn wir einen Wagen mithtten, sagte Hilde, knnten wir nach Mnchen fahren. Du darfst nicht vergessen, da ich ein armer Mann bin, meinte ihr Vater. Wir werden eine Stunde kegelschieben. Das beruhigt die Nerven. Wo steckt brigens mein Schwiegersohn? Auf der Bank und auf der Post, berichtete Hilde. Wie haben Sie geschlafen, Kunkel? Miserabel, sagte Tante Julchen. Ich habe entsetzlich getrumt. Das htten Sie aber auch nicht mit mir machen drfen! Was denn? fragte Johann. Als Doktor Hagedorn erzhlte, da ihn die Toblerwerke engagiert htten, ihn und den Herrn Schulze dazu, und der Hhnerknochen war so spitz, ich habe oben im Zimmer Tafell getrunken, es war abscheulich. Wenn wir wieder einmal eine berraschung fr Sie haben, sagte Johann, kriegen Sie Haferflocken. Das hat alles keinen Zweck, erklrte der Geheimrat. Dann verschluckt sie den Lffel. Den Lffel legen wir vorher an die Kette, meinte Hilde. Frau Kunkel war wieder einmal gekrnkt. Aber viel Zeit blieb ihr nicht dazu. Denn der Portier und der Direktor Khne traten feierlich in den Saal und nherten sich dem Tisch. Die beiden sehen wie Sekundanten aus, die eine Duellforderung berbringen, behauptete der Geheimrat. Johann konnte eben noch Dicke Luft! murmeln. Da machte Karl der Khne schon seine Verbeugung und sagte: Herr Schulze, wir mchten Sie eine Minute sprechen. Schulze meinte: Eine Minute? Meinetwegen. Wir erwarten Sie nebenan im Schreibzimmer, erklrte der Portier. Da knnen Sie lange warten, behauptete Schulze. Hilde sah auf ihre Armbanduhr. Die Minute ist gleich um. Herr Khne und Onkel Folter wechselten Blicke. Dann gestand der Direktor, da es sich um eine delikate Angelegenheit handle. Das trifft sich groartig, sagte Tante Julchen. Fr so etwas schwrme ich. Hildegard, halte dir die Ohren zu! Wie Sie wnschen, meinte der Direktor. Ich wollte Herrn Schulze die Gegenwart von Zeugen ersparen. Kurz und gut, die Hotelbetriebsgesellschaft, deren hiesiger Direktor ich bin, ersucht Sie, unser Haus zu verlassen. Einige unserer Stammgste haben Ansto genommen. Seit gestern haben sich die Beschwerden gehuft. Ein Gast, der begreiflicherweise nicht genannt sein will, hat eine betrchtliche Summe ausgeworfen. Wieviel war es? Zweihundert Mark, sagte Onkel Folter gtig. Diese zweihundert Mark, meinte der Direktor, werden Ihnen ausgehndigt, sobald Sie das Feld rumen. Ich nehme an, da Ihnen das Geld nicht ungelegen kommt. Warum wirft man mich eigentlich hinaus? fragte Schulze. Er war um einen Schein blsser geworden. Das Erlebnis ging ihm nahe. Von Hinauswerfen kann keine Rede sein, sagte Herr Khne.Wir ersuchen Sie, wir bitten Sie, wenn Sie so wollen. Uns liegt daran, die anderen Gste zufriedenzustellen. Ich bin ein Schandfleck, wie? fragte Schulze. Ein Miton, erwiderte der Portier. Geheimrat Tobler, einer der reichsten Mnner Europas, meinte ergriffen: Armut ist also doch eine Schande. Aber Onkel Folter zerstrte die Illusion. Sie verstehen das Ganze falsch, erklrte er. Wenn ein Millionr mit drei Schrankkoffern ins Armenhaus zge und dort dauernd im Frack herumliefe, wre Reichtum eine Schande! Es kommt auf den Standpunkt an. Alles zu seiner Zeit und am rechten Ort, behauptete Herr Khne. Und Sie sind nicht am rechten Ort, sagte Onkel Polter. Da erhob sich Tante Julchen, trat dicht an Onkel Folter heran, wedelte unmiverstndlich mit der rechten Hand und meinte: Machen Sie, da Sie fortkommen, sonst knallt's! Lassen Sie den Portier in Ruhe! befahl Schulze. Er stand auf. Also gut. Ich reise. Herr Kesselhuth, wrden Sie die Gte haben und ein Leihauto bestellen? In zwanzig Minuten fahre ich. Ich komme natrlich mit, sagte Herr Kesselhuth. Portier, meine Rechnung. Aber ein bichen pltzlich! Er verschwand im Laufschritt. Mein Herr! rief der Direktor hinterher. Warum wollen Sie uns denn verlassen? Tante Julchen lachte bse. Sie sind ja wirklich das Dmmste, was 'raus ist! Hoffentlich hebt sich das mit der Zeit. Fr meine Nichte und mich die Rechnung! Aber ein bichen pltzlich! Sie rauschte davon und stolperte ber die Schwelle. Der Direktor murmelte: Einfach tierisch! Wo sind die zweihundert Mark? fragte Herr Schulze streng. Sofort, murmelte der Portier, holte die Brieftasche heraus und legte zwei Scheine auf den Tisch. Schulze nahm das Geld, winkte dem Ober, der an der Tr stand, und gab ihm die zweihundert Mark. Die Hlfte davon bekommt der Sepp, mit dem ich die Eisbahn gekehrt habe, sagte er. Werden Sie das nicht vergessen? Der Kellner hatte die Sprache verloren. Er schttelte nur den Kopf. Dann ist's gut, meinte Schulze. Er sah den Direktor und den Portier kalt an. Entfernen Sie sich! Die beiden folgten wie die Schulkinder. Geheimrat Tobler und Hilde waren allein. Und was wird mit Fritz? fragte Frulein Tobler. Ihr Vater blickte den entschwindenden Gestalten nach. Er sagte: Morgen kaufe ich das Hotel. bermorgen fliegen die beiden hinaus. Und was wird mit Fritz? fragte Hilde weinerlich. Das erledigen wir in Berlin, erklrte der Geheimrat. Glaub mir, es ist die beste Lsung. Sollen wir ihm in dieser unmglichen Situation erzhlen, wer wir eigentlich sind? Zwanzig Minuten spter fuhr eine groe Limousine vor. Sie gehrte dem Lechner Leopold, einem Fuhrhalter aus Bruckbeuren, und er sa persnlich am Steuer. Die Hausdiener brachten aus dem Nebeneingang des Hotels mehrere Koffer und schnallten sie auf dem Klapprost des Wagens fest. Der Direktor und der Portier standen vor dem Portal und waren sich nicht im klaren. Einfach tierisch, sagte Herr Khne. Der Mann schmeit zweihundert Mark zum Fenster hinaus. Er lt seine Freifahrkarte verfallen und fhrt im Auto nach Mnchen. Drei Gste, die er erst seit ein paar Tagen kennt, schlieen sich an. Ich frchte, wir haben uns da eine sehr heie Suppe eingebrockt. Und das alles wegen dieser mannstollen Casparius! meinte Onkel Polter. Sie will den Schulze doch nur forthaben, damit sie besser an den kleinen Millionr herankann. Ja, warum haben Sie mir denn das nicht frher mitgeteilt? fragte Karl der Khne emprt. Der Portier dachte an die dreihundert Mark, die er bei der Transaktion eingesteckt hatte, und steckte den Vorwurf dazu. Dann kamen Tante Julchen und ihre Nichte. Sie waren mit Hutschachteln, Schirmen und Taschen beladen. Der Direktor wollte ihnen beispringen. Lassen Sie die Finger davon! befahl die Tante. Ich war nur zwei Tage hier. Aber mir hat's gengt. Ich werde Sie, wo ich kann, weiterempfehlen. Ich bin untrstlich, erklrte Herr Khne. Mein Beileid, sagte die Tante. Der Portier fragte: Meine Damen, warum verlassen Sie uns denn so pltzlich? Er kommt aus dem Mustopf, meinte Tante Julchen. Hier ist ein Brief fr Doktor Hagedorn, sagte Hilde. Onkel Polter nahm ihn ehrfrchtig in Empfang. Das junge Mdchen wandte sich an den Direktor. Ehe ich's vergesse: wir haben vor sechs Tagen miteinander telefoniert. Nicht da ich wte, gndiges Frulein! Ich bereitete Sie damals auf einen verkleideten Millionr vor. Sie waren das? fragte der Portier. Und jetzt lassen Sie Herrn Doktor Hagedorn allein? Wie kann ein einzelner Mensch nur so dmlich sein! meinte Tante Julchen und schttelte das Haupt. Hilde sagte: Tantchen, jetzt keine Fachsimpeleien! Guten Tag, die Herren. Ich glaube, Sie werden lange an den Fehler denken, den Sie heute gemacht haben. Die beiden Damen stiegen in Lechners Limousine. Bald darnach erschienen Schulze und Kesselhuth. Schulze legte einen Brief fr Fritz auf den Portiertisch. Der Direktor und Onkel Polter verbeugten sich. Sie wurden aber bersehen. Das Auto fllte sich. Johann hielt die elektrische Heizsonne auf dem Scho. Die Koffer waren voll gewesen. Der Lechner Leopold wollte schon anfahren, als Sepp, der Skihallenhter, angaloppiert kam. Er gab gutturale Laute der Rhrung von sich, ergriff Schulzes Hand und schien entschlossen, sie abreien zu wollen. Schon gut, Sepp, sagte Schulze. Es ist gern geschehen. Sie waren beim Eisbahnkehren sehr nett zu mir. Kesselhuth zeigte auf die klglichen Reste des getauten Schneemanns. Der schne Kasimir ist hin. Schulze lchelte. Er entsann sich jener gestirnten Nacht, in der Kasimir zur Welt gekommen war. Schn war's doch, murmelte er. Dann fuhr der Wagen davon. Die Schneepftzen spritzten. Als Hagedorn ins Hotel zurckkam, bergab ihm der Portier zwei Briefe. Nanu, sagte Fritz, setzte sich in die Halle und ri die Kuverts auf. Das erste Schreiben lautete: Mein lieber Junge! Ich mu, unerwartet und sofort, nach Berlin zurck. Es tut mir sehr leid. Auf baldiges Wiedersehen. Herzliche Gre Dein Freund Eduard. Auf dem zweiten Briefbogen stand: Mein Liebling! Wenn Du diese Zeilen liest, ist Dein Frulein Braut durchgegangen. Sie wird es bestimmt nicht wieder tun. Sobald Du sie gefunden hast, darfst Du sie so lange an den Ohren ziehen, bis diese rechtwinkling abstehen. Vielleicht ist es kleidsam. Komme, bitte, bald nach Berlin, wo nicht nur meine Ohren auf Dich warten, sondern auch der Mund Deiner zuknftigen Gattin Hilde Hagedorn. Fritz stie einen grlichen Fluch aus und rannte zum Portier hinber. Was soll das denn bedeuten? fragte er fassungslos. Schulze ist abgereist! Meine Braut ist abgereist! Und Tante Julchen? Abgereist, sagte der Portier. Und Herr Kesselhuth? Abgereist, flsterte der Portier. Hagedorn musterte das Armesndergesicht Onkel Polters. Hier stimmt doch etwas nicht! Warum sind die vier fort? Erzhlen Sie mir jetzt keine Mrchen! Sonst knnte ich heftig werden! Der Portier sagte: Warum die beiden Damen und Herr Kesselhuth fort sind, wei ich nicht. Und Herr Schulze? Einige Gste haben sich beschwert. Herr Schulze stre die Harmonie. Die Direktion bat ihn, abzureisen. Er trug der Bitte sofort Rechnung. Da zu guter Letzt vier Personen abfuhren, hatten wir nicht erwartet. Nur vier? fragte Doktor Hagedorn. Er trat vor den Fahrplan, der an der Wand hing. Ich fahre natrlich auch. In einer Stunde geht mein Zug. Er rannte zur Treppe. Der Portier war dem Zusammenbrechen nahe. Er schleppte sich ins Bro, sank dort in einen Stuhl und meldete Karl dem Khnen das neueste Unglck. Hagedorns Abreise mu verhindert werden! behauptete der Direktor. So ein verstimmter Millionr kann uns derartig in Verruf bringen, da wir in der nchsten Saison die Bude zumachen knnen. Sie stiegen ins erste Stockwerk und klopften am Appartement 7. Aber Hagedorn antwortete nicht. Herr Khne drckte auf die Klinke. Die Tr war abgeriegelt. Sie hrten es bis auf den Korridor hinaus, wie im Zimmer Schubksten aufgezogen und Schranktren zugeknallt wurden. Er packt sehr laut, sagte der Portier beklommen. Sie gingen traurig in die Halle hinunter und warteten, da der junge Mann erschiene. Er erschien. Den Koffer bringt der Hausdiener zur Bahn. Ich gehe zu Fu. Die beiden liefen neben ihm her. Herr Doktor, flehte Karl der Khne, das drfen Sie uns nicht antun. Strengen Sie sich nicht unntig an! sagte Hagedorn. An der Tr stie er mit der Verkuferin aus dem Blumenladen zusammen. Sie brachte die Geschenke, die er vor knapp zwei Stunden eingekauft hatte. Ich habe mich etwas versptet, meinte sie. Ein wahres Wort, sagte er. Der Strau ist dafr besonders schn geworden, versicherte sie. Er lachte rgerlich. Das Bukett knnen Sie sich ins Knopfloch stecken! Behalten Sie das Gemse! Sie staunte, knickste und entfernte sich eilends. Nun stand Fritz, mit einem Zinnkrug, einer Kiste Zigarren und einem originellen Ohrgehnge, allein in Bruckbeuren! Der Direktor fragte: Drfen wir Sie wenigstens bitten, in Ihren Kreisen ber den hchst bedauerlichen Zwischenfall zu schweigen? Der Ruf unseres Hotels steht auf dem Spiele, bemerkte Onkel Folter ergnzend. In meinen Kreisen? meinte Hagedorn verwundert. Dann lachte er. Ach richtig! Ich bin Ihnen noch eine Erklrung schuldig! Sie halten mich ja fr einen Millionr, nicht wahr? Damit ist es allerdings Essig. Vor meinen Kreisen ist Bruckbeuren zeitlebens sicher. Ich war bis gestern arbeitslos. Da staunen Sie! Irgend jemand hat Sie zum Narren gehalten. Guten Tag, meine Herren! Das Portal schlo sich hinter ihm. Er ist gar kein Millionr? fragte der Direktor heiser. Glck mu der Mensch haben, Polter! Menschenskind, das junge Mdchen hat uns verkohlt? Gott sei Dank! Wir waren blo die Dummen? Einfach tierisch! Der Portier winkte aufgeregt ab. Pltzlich schlug er sich vor die Stirn. Es sah aus, als wolle er einen Ochsen tten. Grauenhaft! Grauenhaft! rief er. Das beste ist, wir bringen uns um! Gern, erklrte der Direktor, noch immer obenauf. Aber wozu, bittschn? Es sind einige Gste vor der Zeit weggefahren. Und? Ein junges Mdchen hat uns auf den Besen geladen. Das kann ich verschmerzen. Die Geschichte bricht uns das Genick, sagte der Portier. Wir waren komplette Idioten! Na, na, machte Karl der Khne. Sie tun mir unrecht. Onkel Folter erhob lehrhaft den Zeigefinger. Hagedorn war kein Millionr. Aber das junge Mdchen hat nicht gelogen. Es war ein verkleideter Millionr hier! Oh, das ist furchtbar! Wir sind erschossen. Nun wird mir's zu bunt! rief der Direktor nervs. Drcken Sie sich endlich deutlicher aus! Der verkleidete Millionr wurde von uns vor einer Stunde hinausgeworfen, sagte der Portier mit Grabesstimme. Er hie Schulze! Herr Khne schwieg. Der Portier verfiel zusehends. Und diesen Mann habe ich die Eisbahn kehren lassen! Mit dem Rucksack mute er ins Dorf hinunter, weil das Kind der Botenfrau die Masern hatte! Der Heltai hat ihn auf die Bockleiter geschickt! Oh! Einfach tierisch! murmelte der Hoteldirektor. Ich mu mich legen, sonst trifft mich der Schlag im Stehen. Am Nachmittag wurde der bettlgerige Herr Khne von einem Boy gestrt. Eine Empfehlung vom Herrn Portier, sagte der Junge. Ich soll Ihnen mitteilen, da Frau Casparius mit dem Abendzug fhrt. Der Direktor sthnte weidwund. Sie kme nie wieder nach Bruckbeuren, lt der Portier sagen. Ach so, und Herr Lenz aus Kln reist auch. Der Direktor drehte sich chzend um und bi knirschend ins Kopfkissen. Das neunzehnte Kapitel Vielerlei Schulzes In Mnchen hatte Doktor Hagedorn volle sechs Stunden Aufenthalt. Er gab seinen Vulkanfiberkoffer am Handgepckschalter ab. Dann ging er ber den Stachus, die Kaufingerstrae entlang, bog links ein und nahm gegenber der Theatinerkirche Aufstellung. Damit begann jeder seiner Mnchner Besuche. Er liebte diese Kirchenfassade seit der Studentenzeit. Heute stand er hier wie die Kuh vorm neuen Tor. Er dachte immerzu an Hilde. An Eduard natrlich auch. Das Bild der Kirche drang nur bis zur Netzhaut. Er steckte die Hnde in den abgeschabten Mantel, lief in die Stadt zurck, sa, ehe er sich dessen versah, in einem Mnchner Postamt und bltterte im Berliner Adrebuch. Er studierte die Rubrik Schulze. Neben ihm lagen Notizblock und Bleistift. Einen Werbefachmann Eduard Schulze gab es nicht. Vielleicht hatte sich Eduard als Kaufmann eingetragen? Hagedorn schrieb sich die einschlgigen Adressen auf. Was Hildegard anbetraf, war der Fall noch schwieriger. Welchen Vornamen hatte, um alles in der Welt, sein knftiger Schwiegervater? Und welchen Beruf? Man konnte doch unmglich zu allen in Berlin wohnhaften Schulzes laufen und fragen: Haben Sie erstens eine Tochter, und ist diese zweitens meine Braut? Das war ja eine Lebensaufgabe! Spter sah sich Hagedorn ein Filmlustspiel an. So oft er lachte, rgerte er sich. Glcklicherweise bot der Film nur wenige Mglichkeiten zum Lachen. Sonst wre der junge Mann bestimmt innerlich mit sich zerfallen. Anschlieend a er in einem Bru Rostwrstchen mit Kraut. Dann begab er sich zum Bahnhof zurck und hockte, Paulaner trinkend, im Wartesaal. Er war entschlossen, khne Einfalle fr knftige Reklamefeldzge zu finden. Es fiel ihm aber auch nicht das mindeste ein. Immerzu dachte er an Hilde. Wenn er sie nun nicht fand? Und wenn sie nichts mehr von sich hren lie? Was dann? Der Zug war nur schwach besetzt. Fritz hatte ein Abteil fr sich allein. Bis Landshut lief er in dem Kupee wie in einem Kfig hin und her. Dann legte er sich lang, schlief sofort ein und trumte wilde Sachen. Einer der Trume spielte auf dem Berliner Einwohnermeldeamt: An den Tren standen, alphabetisch geordnet, alle mglichen Familiennamen. Vor dem Trschild Schnabel bis Schtze machte Hagedorn halt, klopfte an und trat ein. Hinter der Barriere sa der Schneemann Kasimir. Er trug einen Schupohelm und fragte: Sie wnschen? Hierbei strich er sich den Schnurrbart und sah berhaupt sehr streng aus. Haben Sie die Schulzes unter sich? fragte Fritz. Kasimir sagte: Alle Schulzen. Wie kommen Sie zu diesem Plural? fragte Fritz. Verfgung des Prsidiums, meinte Kasimir barsch. Verzeihung, sagte Fritz. Ich suche ein Frulein Hildegard Schulze. Wenn sie lacht, kriegt sie ein Grbchen. Nicht zwei, wie andere Mdchen. Und in ihren Pupillen hat sie goldene Pnktchen. Kasimir bltterte umstndlich in etlichen Karteiksten. Dann nickte er. Die gibt's. Sie hat frher auf dem Funkturm gewohnt. Dann hat sie sich nach den Alpen abgemeldet. Sie mu aber wieder in Berlin sein, behauptete Fritz. Dem Funkturm ist davon nichts bekannt, sagte der Schneemann. Sie scheint berhaupt nicht zu wohnen. Vielleicht ist sie abgegeben worden. Folgen Sie mir unauffllig! Sie stiegen in den Keller. Hier standen in langen Reihen viele Schrnke. Kasimir schlo einen nach dem anderen auf. In jedem Schrank waren vier Fcher. Und in jedem Fach stand ein Mensch. Das waren die Leute, die polizeilich nicht gemeldet waren, und andere, die total vergessen hatten, wo sie wohnten. Und schlielich Kinder, die nicht mehr wuten, wie sie hieen. Das ist ja allerhand, meinte Hagedorn erschrocken. Die Erwachsenen standen verrgert oder auch versonnen in ihren Fchern. Die Kinder weinten. Es war ein ausgesprochen trauriger Anblick. In einem Fach stand ein alter Gelehrter, ein Historiker brigens; der hielt sich fr einen vergessenen Regenschirm und verlangte von Kasimir, man solle ihn endlich zumachen. Er hatte die Arme ausgebreitet und die Beine gespreizt. Und er sagte fortwhrend: Es regnet doch gar nicht mehr! Fritz schlug die Tr zu. Sie hatten schon in fast alle Schrnke geguckt. Aber Hildegard hatten sie noch immer nicht gefunden. Fritz hielt pltzlich die Hand hinters Ohr. Im letzten Schrank heult ein Frulein! Der Schneemann schlo die Tr auf. In der uersten Ecke, mit dem Rcken zum Beschauer, stand ein junges Mdchen und weinte heftig. Hagedorn stie einen Freudenschrei aus. Dann sagte er gerhrt: Herr Schneepo, das ist sie. Sie steht verkehrt, knurrte Kasimir. Ich sehe kein Grbchen. Hilde! rief Fritz. Schau uns, bitte, an! Sonst mut du hierbleiben. Hilde drehte sich um. Das kleine hbsche Gesicht war total verheult. Ich sehe kein Grbchen, sagte der Schneemann. Ich schliee wieder zu. Hildchen! rief Fritz. Lach doch mal! Der Onkel will nicht glauben, da du ein Grbchen hast. Tanze ihm den Sterbenden Schwan vor! Stehen Sie auf, teuerste Grfin! Morgen versetzen wir deinen Ring und fahren fr zweitausend Mark Achterbahn! Aber lache! Lache! Es war vergebens. Hilde erkannte ihn nicht. Sie lchelte nicht und lachte nicht. Sie stand in der Ecke und weinte. Kasimir steckte den Schlssel ins Trschlo. Fritz fiel ihm in den Arm. Der Schneemann packte den jungen Mann am Schpf und rttelte ihn. Unterlassen Sie das! rief Hagedorn wtend. Na, na, na, sagte jemand. Kommen Sie zu sich! Vor ihm stand der Zugschaffner. Bitte, die Fahrkarten! Und drauen dmmerte der Tag. Am Morgen klingelte es bei Frau Hagedorn in der Mommsenstrae. Die alte Dame ffnete. Drauen stand Karlchen, der Lehrling des Fleischermeisters Kuchenbuch. Hallo! sagte sie. Telefoniert mein Sohn schon wieder? Karlchen schttelte den Kopf. Einen schnen Gru von meinem Meister, und heute wre die berraschung noch grer als vorgestern. Und Sie sollen, bitte, nicht erschrecken. Sie bekommen Besuch. Besuch? meinte die alte Dame. ber Besuch erschrickt man nicht! Wer kommt denn? Von der Treppe her rief es: Kuckuck! Kuckuck! Mutter Hagedorn schlug die Hnde berm Kopfe zusammen. Sie lief ins Treppenhaus und blickte um die Ecke. Eine Etage tiefer sa ihr Junge auf den Stufen und nickte ihr zu. Da hrt sich doch alles auf! sagte sie. Was willst du denn in Berlin, du Lausejunge? Du gehrst doch nach Bruckbeuren! Steh auf, Fritz! Die Stufen sind zu kalt. Mu ich gleich wieder zurckfahren? fragte er. Oder kriege ich erst 'ne Tasse Kaffee? Marsch in die gute Stube, befahl sie. Er kam langsam herauf und schlich mit seinem Koffer an ihr vorbei, als habe er Angst. Karlchen lachte naiv und verzog sich. Mutter und Sohn spazierten Arm in Arm in die Wohnung. Whrend sie frhstckten, berichtete Fritz ausfhrlich von den Ereignissen des Vortags. Dann las er die beiden Abschiedsbriefe vor. Da stimmt etwas nicht, mein armer Junge, meinte die Mutter tiefsinnig. Du bist mit deiner Vertrauensseligkeit wieder einmal hineingefallen. Wollen wir wetten? Nein, erwiderte er. Du bildest dir immer ein, man merkte auf den ersten Blick, ob an einem Menschen etwas dran ist oder nicht, sagte sie. Wenn du recht httest, mte die Welt ein bichen anders aussehen. Wenn alle ehrlichen Leute ehrlich ausschauten und alle Strolche wie Strolche, dann knnten wir lachen. Die schne Reise haben sie dir verdorben. Am nchsten Ersten mut du ins Bro. Eine Woche zu frh bist du abgereist. Man knnte mit dem Fu aufstampfen! Aber gerade deswegen hat sich Eduard wahrscheinlich nicht von mir verabschiedet! rief er. Er frchtete, ich kme mit, und er wollte, ich solle in Bruckbeuren bleiben! Er dachte doch nicht, da ich erfhre, wie abscheulich man ihn behandelt hat. Dann konnte er wenigstens seine Berliner Adresse dazuschreiben, sagte die Mutter. Ein Mann mit Herzensbildung htte das getan. Da kannst du reden, was du willst. Und warum hat sich das Frulein nicht von dir verabschiedet? Und warum hat denn sie keine Adresse angegeben? Von einem Mdchen, das du heiraten willst, knnen wir das verlangen! Alles, was recht ist. Du kennst die zwei nicht, entgegnete er. Sonst wrdest du das alles ebensowenig verstehen wie ich. Man kann sich in den Menschen tuschen. Aber so sehr in ihnen tuschen, das kann man nicht. Und was wird nun? fragte sie. Was wirst du tun? Er stand auf, nahm Hut und Mantel und sagte: Die beiden suchen! Sie schaute ihm vom Fenster aus nach. Er ging ber die Strae. Er geht krumm, dachte sie. Wenn er krumm geht, ist er traurig. Whrend der nchsten fnf Stunden hatte Doktor Hagedorn anstrengenden Dienst. Er besuchte Leute, die Eduard Schulze hieen. Es war eine vollkommen bldsinnige Beschftigung. So oft der Familienvorstand selber ffnete, mochte es noch angehen. Dann wute Fritz wenigstens sofort, da er wieder umkehren konnte. Er brauchte nur zu fragen, ob etwa eine Tochter namens Hildegard vorhanden sei. Wenn aber eine Frau Schulze auf der Bildflche erschien, war die Sache zum Auswachsen. Man konnte schlielich nicht einfach fragen: War Ihr Herr Gemahl bis gestern in Bruckbeuren? Haben Sie eine Tochter? Ja? Heit sie Hilde? Nein? Guten Tag! Er versuchte es auf jede Weise. Trotzdem hatte er den Eindruck, berall fr verrckt gehalten zu werden. Besonders schlimm war es in der Prager Strae und auf der Masurenallee. In der Prager Strae rief die dortige Frau Schulze emprt: Also in Bruckbeuren war der Lump? Mir macht er weis, er kme aus Magdeburg. Hatte er ein Frauenzimmer mit? Eine dicke Rotblonde? Nein, sagte Fritz. Es war ja gar nicht Ihr Mann. Sie tun ihm unrecht. Und wieso kommen Sie dann hierher? Nein, nein, mein Lieber! Sie bleiben hbsch hier und warten, bis mein Eduard nach Hause kommt! Dem werde ich helfen! Hagedorn mute sich mit aller Kraft losreien. Er floh. Sie schimpfte hinter ihm her, da das Treppenhaus wackelte. Ja, und bei den Schulzes auf der Masurenallee existierte eine Tochter, die Hildegard hie! Sie war zwar nicht zu Hause. Aber der Vater war da. Er bat Fritz in den Salon. Sie kennen meine Tochter? fragte der Mann. Ich wei nicht recht, sagte Fritz verlegen. Vielleicht ist sie's. Vielleicht ist sie's nicht. Haben Sie zufllig eine Fotografie der jungen Dame zur Hand? Herr Schulze lachte bedrohlich. Ich will nicht hoffen, da Sie meine Tochter nur im Dunkeln zu treffen pflegen! Keineswegs, erklrte Fritz. Ich mchte nur feststellen, ob Ihr Frulein Tochter und meine Hilde identisch sind. Ihre Absichten sind doch ernst? fragte Herr Schulze streng. Der junge Mann nickte. Das freut mich, sagte der Vater. Haben Sie ein gutes Einkommen? Trinken Sie? Nein, meinte Fritz. Das heit, ich bin kein Trinker. Das Gehalt ist anstndig. Bitte, zeigen Sie mir eine Fotografie! Herr Schulze stand auf. Nehmen Sie mir's nicht bel! Aber ich glaube, Sie haben einen Stich. Er trat zum Klavier, nahm ein Bild herunter und sagte: Da! Hagedorn erblickte ein mageres, hliches Frulein. Es war eine Aufnahme von einem Kostmfest. Hilde Schulze war als Pierrot verkleidet und lchelte neckisch. Da sie schielte, konnte am Fotografen liegen. Aber da sie krumme Beine hatte, war nicht seine Schuld. Allmchtiger! flsterte er. Hier liegt ein Irrtum vor. Verzeihen Sie die Strung! Er strzte in den Korridor, geriet statt auf die Treppe in ein Schlafzimmer, machte kehrt, sah Herrn Schulze wie einen rchenden Engel nahen, ffnete glcklicherweise die richtige Tr und raste die Treppe hinunter. Nach diesem Erlebnis fuhr er mit der Straenbahn heim. Dreiundzwanzig Schulzes hatte er absolviert. Er hatte noch gut fnf Tage zu tun. Seine Mutter kam ihm aufgeregt entgegen: Was glaubst du, wer hier war? Er wurde lebendig. Hilde? fragte er. Oder Eduard? Ach wo, entgegnete sie. Ich gehe schlafen, meinte er mde. Sptestens in drei Tagen nehme ich einen Detektiv. Tu das, mein Junge. Aber heute abend gehen wir aus. Wir sind eingeladen. Ich habe dir ein bildschnes Oberhemd besorgt. Und eine Krawatte. Blau und rot gestreift. Vielen Dank, sagte er und sank auf einen Stuhl. Wo sind wir denn eingeladen? Sie fate seine Hand. Bei Geheimrat Tobler. Er zuckte zusammen. Ist das nicht groartig? fragte sie eifrig. Denke dir an! Es klingelte dreimal. Ich gehe hinaus. Wer steht drauen? Ein Chauffeur in Livree. Er fragt, wann du aus Bruckbeuren zurckkmst?  Mein Sohn ist schon da , sage ich.  Er kam heute frh an. Er verbeugt sich und sagt:  Geheimrat Tobler bittet Sie und Ihren Herrn Sohn, heute abend seine Gste zu sein. Es handelt sich um einfaches Abendbrot. Der Herr Geheimrat mchte seinen neuen Mitarbeiter kennenlernen . Dann druckste er ein bichen herum. Endlich meinte er:  Kommen Sie, bitte, nicht in groer Toilette. Der Herr Geheimrat mag das nicht besonders. Ist Ihnen acht Uhr abends recht? Ein reizender Mensch. Er wollte uns im Auto abholen. Ich habe aber gesagt, wir fhren lieber mit der Straenbahn. Die 176 und die 76 halten ja ganz in der Nhe. Und groe Toiletten, habe ich gesagt, htten wir sowieso nicht. Da brauchten sie keine Bange zu haben. Sie sah ihren Sohn erwartungsvoll an. Da mssen wir ja wohl hingehen, meinte er. Frau Hagedorn traute ihren Ohren nicht. Deinen Kummer in allen Ehren, mein Junge, sagte sie dann. Aber du solltest dich wirklich ein bichen zusammennehmen! Sie fuhr ihm sanft bers Haar. Kopf hoch, Fritz! Heute gehen wir zu Toblers! Ich finde es sehr aufmerksam von dem Mann. Eigentlich hat er es doch gar nicht ntig, wie? Ein Multimillionr, der einen Konzern besitzt, sicher hat er tausend Angestellte. Wenn der mit allen Angestellten Abendbrot essen wollte! Es ist schlielich eine Ehre. Heute erledigen wir das Geschftliche. Ich ziehe das Schwarzseidene an. Eine alte Frau braucht nicht modern herumzulaufen. Wenn ich ihm nicht fein genug bin, kann ich ihm auch nicht helfen. Natrlich, Muttchen, sagte er. Siehst du wohl, meinte sie. Zerbrich dir wegen deiner zwei Schulzes nicht den Kopf, mein Junge! Morgen ist auch noch ein Tag. Er lchelte bekmmert. Und was fr ein Tag! sagte er. Dann ging er aus dem Zimmer. Das zwanzigste Kapitel Das dicke Ende Fritz Hagedorn und seine Mutter folgten dem Diener, der ihnen das Parktor geffnet hatte. Zwischen den kahlen Bumen schimmerten in regelmigen Abstnden groe Kandelaber. Auf der Freitreppe flsterte die Mutter: Du, das ist ja ein Schlo! In der Halle nahm ihnen der Diener die Hte und die Mntel ab. Er wollte der alten Dame beim Ausziehen der berschuhe behilflich sein. Sie setzte sich, drckte ihm den Schirm in die Hand und sagte: Das fehlte gerade noch! Sie stiegen ins erste Stockwerk. Er schritt voraus. In einer Treppennische stand ein rmischer Krieger aus Bronze. Mutter Hagedorn deutete hinber. Der pat auf, da nichts wegkommt. Der Diener ffnete eine Tr. Sie traten ein. Die Tr schlo sich geruschlos. Sie standen in einem kleinen Biedermeiersalon. Am Fenster sa ein Herr. Jetzt erhob er sich. Eduard! rief Fritz und strzte auf ihn los. Gott sei Dank, da du wieder da bist! Der olle Tobler hat dich auch eingeladen? Das finde ich ja groartig. Mutter, das ist er! Das ist mein Freund Schulze. Und das ist meine Mutter. Die beiden begrten sich. Fritz war aus dem Huschen. Ich habe dich wie eine Stecknadel gesucht. Sag mal, stehst du berhaupt im Adrebuch? Und weit du, wo Hilde wohnt? Schmst du dich denn gar nicht, da du mich in Bruckbeuren hast sitzenlassen? Und wieso sind Hilde und Tante Julchen mitgefahren? Und Herr Kesselhuth auch? Einen schnen Anzug hast du an. Auf Verdacht oder auf Vorschu, wie? Der junge Mann klopfte seinem alten Freund frhlich auf die Schulter. Eduard kam nicht zu Worte. Er lchelte unsicher. Sein Konzept war ihm verdorben worden. Fritz hielt ihn noch immer fr Schulze! Es war zum Davonlaufen! Mutter Hagedorn setzte sich und zog einen Halbschuh aus. Es gibt anderes Wetter, sagte sie erluternd. Herr Schulze, ich freue mich, Sie kennenzulernen. Einen htten wir also, mein Junge. Das Frulein Braut werden wir auch noch finden. Es klopfte. Der Diener trat ein. Frulein Tobler lt fragen, ob die gndige Frau vor dem Essen ein wenig mit ihr plaudern mchte. Was denn fr eine gndige Frau? erkundigte sich die alte Dame. Wahrscheinlich sind Sie gemeint, sagte Eduard. Das wollen wir aber nicht einfhren, knurrte sie. Ich bin Frau Hagedorn. Das klingt fein genug. Na schn, gehen wir plaudern. Schlielich ist das Frulein die Tochter eures Chefs. Sie zog ihren Schuh wieder an, schnitt ein Gesicht, nickte den zwei Mnnern vergngt zu und folgte dem Diener. Warum bist du denn schon wieder in Berlin? fragte Eduard. Erlaube mal! sagte Fritz beleidigt. Als mir der Trhter Folter mitteilte, was vorgefallen war, gab es doch fr Hagedorn keinen Halt mehr. Die Casparius lie mir durch den Direktor zweihundert Mark anbieten, falls ich sofort verschwnde. So ein freches Frauenzimmer, meinte Fritz. Sie wollte mich verfhren. Das liegt auf der Hand. Du warst ihrem Triebleben im Wege. Menschenskind, die wird Augen gemacht haben, als ich weg war! Er sah seinen Freund liebevoll an. Da ich dich erwischt habe! Nun fehlt mir nur noch Hilde. Dann ist das Dutzend voll.  Warum ist sie eigentlich auch getrmt? Hat sie dir ihre Adresse gegeben? Es klopfte. Die Tr zum Nebenzimmer ffnete sich. Der Diener erschien und verschwand. Eduard stand auf und ging hinber. Fritz folgte vorsichtig. Aha! sagte er. Der Arbeitsraum des Wirtschaftsfhrers. Da wird er wohl bald persnlich auftauchen. Eduard, mach keine Witze! Gleich setzt du dich auf einen anderen Stuhl! Eduard hatte sich nmlich hinter den Schreibtisch gesetzt. Fritz war rgerlich. Wenn der olle Tobler keinen Spa versteht, fliegen wir raus! Setz dich woanders hin! Ich will doch heiraten, Eduard! Aber der andere blieb hinterm Schreibtisch sitzen. Nun hre, bitte, mal zu, bat er. Ich habe dich in Bruckbeuren ein bichen belogen. Es war mir gar nicht angenehm. Ich lge ungern. Hchst ungern! Aber in dem verdammten Hotel hatte ich nicht die Courage zur Wahrheit. Ich hatte Angst, du knntest mich miverstehen. Eduard, sagte der junge Mann. Nun wirst du albern! Quatsch keine Opern! Heraus mit der Sprache! Inwiefern hast du mich beschwindelt? Setze dich aber, ehe du antwortest, auf einen anderen Stuhl. Es macht mich nervs. Die Sache ist die, fing Eduard an. Mit dem Stuhl hngt es auch zusammen. Es fllt mir schrecklich schwer. Also... Da klopfte es wieder einmal. Der Diener trat ein, sagte: Es ist serviert, Herr Geheimrat! und ging. Was ist los? fragte Hagedorn und stand auf. Was hat der Lakai zu dir gesagt? Geheimrat? Eduard zuckte verlegen die Achseln. Stell dir vor! meinte er. Ich kann's nicht ndern, Fritz. Sei mir nicht bse, ja? Ich bin der olle Tobler. Der junge Mann fate sich an den Kopf. Du bist Tobler? Du warst der Millionr, fr den man mich gehalten hat? Deinetwegen hatte ich drei Katzen im Zimmer und Ziegelsteine im Bett? Der Geheimrat nickte. So ist es. Meine Tochter hatte hinter meinem Rcken telefoniert. Und als du und ich ankamen, wurden wir verwechselt. Ich konnte mein Inkognito nicht aufgeben. Ich hatte das Preisausschreiben doch unter dem Namen Schulze gewonnen! Siehst du das ein? Hagedorn machte eine steife Verbeugung. Herr Geheimrat, unter diesen Umstnden mchte ich Sie bitten... Tobler sagte: Fritz, sprich jetzt nicht weiter! Ich bitte dich darum. Rede jetzt keinen Unsinn, ja? Ich verbiete es dir! Er trat zu dem jungen Mann, der ein strrisches Gesicht machte. Was fllt dir eigentlich ein? Ist dir unsere Freundschaft so wenig wert, da du sie ganz einfach wegwerfen willst? Blo, weil ich Geld habe? Das ist doch keine Schande! Er packte den jungen Mann am Arm und ging mit ihm im Zimmer auf und ab. Schau her! Da ich mich als armer Mann verkleidete, das war wenig mehr als ein Scherz. Ich wollte einmal ohne den fatalen Nimbus des Millionrs unter Menschen gehen. Ich wollte ihnen nherkommen. Ich wollte erleben, wie sie sich zu einem armen Mann benehmen. Nun, der kleine Scherz ist erledigt. Was ich erleben wollte, hat wenig zu bedeuten, wenn ich's mit dem vergleiche, was ich erlebt habe. Ich habe einen Freund gefunden. Endlich einen Freund, mein Junge! Komm, gib dem ollen Tobler die Hand! Der Geheimrat streckte Fritz die Hand entgegen. Donnerwetter noch einmal, du Dickschdel! Wird's bald? Fritz ergriff die dargebotene Hand. Geht in Ordnung, Eduard, sagte er. Und nichts fr ungut. Als sie das Speisezimmer betraten, meinte der Geheimrat: Wir sind natrlich die ersten. Da die Frauen immer so lange klatschen mssen! Ja, richtig, sagte Hagedorn. Du hast eine Tochter. Wie alt ist denn das Ganze? Tobler schmunzelte. Sie befindet sich im heiratsfhigen Alter und ist seit ein paar Tagen verlobt. Fein, meinte Fritz. Ich gratuliere. Nun aber ernsthaft: Weit du wirklich nicht, wo Hilde wohnt? Sie hat mir keine Adresse angegeben, erwiderte der Geheimrat diplomatisch. Aber du wirst sie schon noch kriegen. Die Hilde und die Adresse. Ich habe auch so das Gefhl, sagte der junge Mann. Aber wenn ich sie erwische, kann sie was erleben! Sonst denkt sie womglich, ich lasse mich in der Ehe auf den Arm nehmen. Da mu man rechtzeitig durchgreifen. Findest du nicht auch? Durch eine Tr, die sich ffnete, rollte ein Servierwagen. Ein grauhaariger Diener folgte. Er schob den mit Schsseln beladenen Wagen vor sich her und hielt den Kopf gesenkt. Als das Fahrzeug stillstand, hob er das Gesicht und sagte: Guten Abend, Herr Doktor. 'n Abend, entgegnete Hagedorn. Dann aber sprang er hoch. Herr Kesselhuth! Der Diener nickte. In der Tat, Herr Doktor. Und die Reederei? War Rederei, erklrte der Geheimrat. Johann ist mein alter Diener. Ich wollte nicht allein nach Bruckbeuren fahren. Deshalb mute er den Schiffahrtsbesitzer spielen. Er hat seine Rolle glnzend gespielt. Es war nicht leicht, sagte Johann bescheiden. Fritz fragte: Widerspricht es Ihrer Berufsauffassung, wenn ich Ihnen herzhaft die Hand schttle? Johann sagte: Im vorliegenden Falle darf ich, glaube ich, eine Ausnahme machen. Fritz drckte ihm die Hand. Jetzt begreife ich erst, warum Sie ber Eduards Zimmer so entsetzt waren. Ihr habt mich ja schn angeschmiert! Johann sagte: Es war kein Zimmer, sondern eine Zumutung. Fritz setzte sich wieder. Der alte, vornehme Diener tat die Schsseln auf den Tisch. Der junge Mann meinte lachend: Wenn ich bedenke, da ich mich deinetwegen habe massieren lassen mssen, dann mte ich von Rechts wegen unvershnlich sein. Ach, ich habe dir brigens einen alten Zinnkrug gekauft. Und Ihnen, Johann, eine Kiste Havanna. Und fr Hilde ein Paar Ohrgehnge. Die kann ich mir jetzt durch die Nase ziehen. Vielen Dank fr die Zigarren, Herr Doktor, meinte Johann. Hagedorn schlug auf den Tisch. Ach, das wit ihr ja noch gar nicht! Bevor ich wegfuhr, habe ich doch dem Herrn Hoteldirektor und dem Portier mitgeteilt, da ich gar kein verkleideter Millionr wre! So lange Gesichter, wie es da zu sehen gab, sind selten. Tobler fragte: Johann, hat Generaldirektor Tiedemann angerufen? Noch nicht, Herr Geheimrat. Der Diener wandte sich an Hagedorn. Der Toblerkonzern wird heute oder morgen das Grandhotel Bruckbeuren kaufen. Und dann fliegen die beiden Herren hinaus. Aber Eduard, sagte Fritz. Du kannst doch zwei Angestellte nicht fr den Hochmut der Gste ben lassen! Es waren zwei Kotzbrocken, zugegeben. Doch dein Einfall, als eingebildeter Armer in einem Luxushotel aufzutreten, war auch reichlich schwachsinnig. Johann, hat er recht? fragte der Geheimrat. So ziemlich, gab der Diener zu. Der Ausdruck, >schwachsinnig< erscheint mir allerdings etwas hart. Die Herren lachten. Da kam Hagedorns Mutter hereinspaziert. Wo man lacht, da la dich ruhig nieder, sagte sie. Fritz sah sie fragend an. Ich wei Bescheid, mein Junge. Frulein Tobler hat mich eingeweiht. Sie hat groe Angst vor dir. Sie ist daran schuld, da du ein paar Tage Millionr warst. brigens ein bezauberndes Mdchen, Herr Geheimrat! Ich heie Tobler, erwiderte er. Sonst nenne ich Sie gndige Frau! Ein bezauberndes Mdchen, Herr Tobler! meinte die alte Dame. Schade, da ihr beiden schon verlobt seid, Fritz! Wir knnten ja Doppelhochzeit feiern, schlug Hagedorn vor. Das wird sich schlecht machen lassen, sagte der Geheimrat. Pltzlich klatschte Fritzens Mutter dreimal in die Hnde. Daraufhin ffnete sich die Tr. Ein junges Mdchen und eine alte Dame traten ein. Der junge Mann stie unartikulierte Laute aus, ri einen Stuhl um, rannte auf das Frulein los und umarmte sie. Endlich, flsterte er nach einer Weile. Mein Liebling, sagte Hildegard. Bist du mir sehr bse? Er prete sie noch fester an sich. Machen Sie Ihre Braut nicht kaputt, meinte die Dame neben ihm. Es nimmt sie Ihnen ja keiner weg. Er trat einen Schritt zurck. Tante Julchen? Wie kommt ihr denn eigentlich hierher? Ach so, Eduard hat euch eingeladen, um mich zu berraschen. Das junge Mdchen sah ihn an. Mit ihrem kerzengeraden Blick. Es liegt anders, Fritz. Erinnerst du dich, was ich dir in Bruckbeuren antwortete, als du mich nach meinem Namen fragtest? Klar, meinte er. Du sagtest, du heit Schulze. Du irrst dich. Ich sagte, ich hiee genau so wie dein Freund Eduard. Na ja! Eduard hie doch Schulze! Und wie heit er jetzt? Fritz blickte von ihr zu dem Tisch hinber. Dann sagte er: Du bist seine Tochter? Ach, du liebes bichen! Sie nickte. Wir hatten solche Angst. Und da fuhr ich mit Frau Kunkel los. Wir wuten durch Johanns Briefe, wie sehr Vater schikaniert wurde. So ist das, meinte er. Und Tante Julchen ist gar nicht deine Tante ? O nein, sagte die Kunkel. Ich bin die Hausdame. Mir gengt's. Mir auch, meinte Hagedorn. Keiner war der, der er schien. Und ich Riesenro habe alles geglaubt. Ein Glck, da ich nicht Detektiv geworden bin! Er gab der Kunkel die Hand. Ich bin sehr froh, da Sie nicht die Tante sind. Die bersicht knnte darunter leiden. Ich habe bereits einen Freund, der mein Schwiegervater wird. Und meine zuknftige Frau ist die Tochter meines Schwiegervaters, nein, meines Freundes. Und auerdem ist mein Freund mein Chef. Vergi nicht, dir deine Arbeiten wiedergeben zu lassen, mahnte die Mutter. Sie liegen schon in seinem Bro, sagte Tobler. Ich kann dir nicht helfen, mein Junge. Du wirst Direktor unserer Propagandazentrale. Spter mut du dich auch in die brige Materie einarbeiten. Ich brauche einen Nachfolger. Und zwar einen, der sich mehr um den Konzern kmmert, als ich es getan habe. Ich werde nur noch Briefmarken sammeln und mich mit deiner Mutter fr unsere Enkelkinder interessieren. Nur nicht drngeln, sagte Hilde. Wenn du Fritz mit dem Konzern verheiratest, gehe ich ins Kloster. Dann knnt ihr sehen, wo ihr bleibt. Die Enkel sind mir wichtiger, meinte Mutter Hagedorn. Der Geheimrat trstete die alte Dame. Abends hat er Zeit. Sie setzten sich alle. Hilde und Fritz rckten eng zusammen. Johann ffnete die dampfende Terrine. Was gibt's denn? fragte Tobler. Die Kunkel faltete die Hnde berm Kleid und sagte: Nudeln mit Rindfleisch. Als sie nach dem Essen Kaffee und Kognak tranken, klingelte das Telefon. Johann ging an den Apparat. Generaldirektor Tiedemann mchte Sie sprechen, Herr Geheimrat. Er hielt Tobler den Hrer entgegen. Es ist sicher wegen des Hotelkaufs. Eduard! rief Fritz. Sei so lieb und schmeie den Portier und den Direktor nicht hinaus! Wozu hat er denn dann das Hotel kaufen lassen? fragte Frau Kunkel. Die Kerls fliegen. Wurst wider Wurst. Der Geheimrat stand am Telefon, 'n Abend, Tiedemann. Ich dachte mir's schon. Ja, wegen des Hotels. Nun und? Was? Der Besitzer will es nicht verkaufen? Zu gar keinem Preis? Die anderen saen am Tisch und lauschten gespannt. Der Geheimrat zog ein erstauntes Gesicht. Nur mir will er's nicht verkaufen? Ja, warum denn nicht? Eine Sekunde spter begann Tobler laut zu lachen. Er legte den Hrer auf die Gabel, kam lachend zum Tisch zurck, setzte sich und lachte weiter. Die anderen wuten nicht, was sie davon halten sollten. Nun rede schon! bat Fritz. Warum kannst du das Hotel nicht kaufen? Der Geheimrat sagte: Weil es schon mir gehrt.   PAGE 1  LNt  v >Bn ,6$<>fLL\ "0#<#4$6$Z&&r)):*V**+l+ -8-~--- .|.N//@00x112l223μ#B*phCJmHsH6PJaJ]B*phCJmHsHPJaJB*phCJmHsHaJB*phCJmH sH aJCJ0mH sH aJ0J3~44555666 7l7778;;p<<V>Z>?B&BxBzB(CpC|CD>EFJGGGG&H(H$ITIIbJpJK~LLMNOP Q0Q8QQRR(RTTU>VZYYPZZ \\^_ _ _^__``bcd(d8eefgvh>i\iiiCJmH sH aJB*phCJmHsHaJB*phCJmHsHPJaJVi~j kkk$l>llmm4n~n$o&oNo|ooooJppqvqqrrfttuJurvvLwrwwxNxx~yyz.{{^|||}z~XȀ&n҃Rr \ʈ< *zD.FR\fܑ&8B*phCJmHsHaJB*phCJmHsHPJaJY8~ .XR̚Lڜ*ŸJlX BĦd4Vhbtdڱ| ZP"$r <>f*TCJmH sH aJB*phCJmHsHaJB*phCJmHsHPJaJV:NrFx8Xtt^P~z6*v(*dzf&zVF8D.   0 J T V  Xt B@TCJmH sH aJB*phCJmHsHaJB*phCJmHsHPJaJVBrpn x  !*!"<#>#V##$$$%%%&+^+j../B02D233@44456L66>7j7l7^899p<<:>"?T?|???@@@AAA&B8BBC0EEFG6GGHHIJI`IIJ\JJKKrMM`NRT`TTCJmH sH aJB*phCJmHsHaJB*phCJmHsHPJaJVTdUbVVY@YzZ[[R\]^^b6c^cetfgh~ii\j^jBktkmmmxopp.qxqs4s|t u u6uwwzy4zz{{ |*},}6}X}}}}~~((܆<N|Ď"pVXztHvx&CJmH sH aJB*phCJmHsHaJB*phCJmHsHPJaJV&fH8(LP >>RZR̻¾j68Nx` `>`bLCJmH sH aJ#B*phCJmHsH6PJaJ]B*phCJmHsHPJaJB*phCJmHsHaJO~t&&:d<$@@0 6`B0&(46t    f^@B&b,.V.4 CJmH sH aJB*phCJmHsHPJaJB*phCJmHsHaJV  `"j"$p&&:'')*b++^,..F///"0t22234n44 5^5557N889::J;F= >>6>?6@ADABBLC\CjD|GdHIJFKKM$MMtNNOOPQRRTS>TT,UUUVVDX YZZ[[[*^V__bCJmH sH aJB*phCJmHsHPJaJB*phCJmHsHaJVbdddJeee"ffg hiiijjk>kXl"mmnRnoqxqqqqrrrsssNZh86fVRxB*phCJmHsHaJB*phCJmHsHPJaJY`>f6JxJ(NPhJxr@R& J|,    x    ( >CJmH sH aJB*phCJmHsHPJaJB*phCJmHsHaJV> p\p~ | !j" #j#$t%v%%%%H&&(($)**,-$.. /D/h0v1`22$3d44778L999$::;;<>>>^@@@ABdBBCCCCRDDE&EnFFFG HtJJlL&MMMMNNJQCJmH sH aJB*phCJmHsHaJB*phCJmHsHPJaJVJQ RSFSlVpVXXHYRYtZvZZh[[:\]\]^v_`*a.ade>?CJmH sH aJB*phCJmHsHaJB*phCJmHsHPJaJV?AACCxCC$DvDDzEGHH ILMMMMNNOPHPT`TTUW.XXXXDYFYZYYY[[\l]]^F_h__B`bncpcdefg iLil*moorrslttttvvyyyy|r||}ʃ؃hB*phCJmHsHaJCJmH sH aJB*phCJmHsHPJaJVh܅xxČʎ܎ҐȒ<ʔBFz2œ0X¥z|DF@""T`bjlt,X\pnzf20xF"JCJmH sH aJB*phCJmHsHPJaJB*phCJmHsHaJVJf8:*H02b:|H(hVL^r@PVL8R(bx6V<TLB^#B*phCJmHsH6PJaJ]B*phCJmHsH6aJ]CJmH sH aJB*phCJmHsHPJaJB*phCJmHsHaJH(>>&~" N f d  $XDV(^"  \!!#$%%%'''))J*h-...00123n3p33CJmH sH aJCJmHsHaJB*phCJmH sH PJaJB*phCJmHsHPJaJB*phCJmHsHaJL3445789F;:<>??$@bAAABBCC*DzD|D~DFFG4HHRIJ KKK*LLM N,b#B*phCJmHsH6PJaJ]CJmH sH aJB*phCJmHsHPJaJB*phCJmHsHaJOb.:|,&ƴ, ^ܷ:p>^Ȼ6|(dнLNlH`bοxphHL  X~X`#B*phCJmHsH6PJaJ]B*phCJmHsHaJB*phCJmHsHPJaJRXF$d<8<HT8.tT^:>Dlx&D2V Fft4 H   FCJmH sH aJB*phCJmHsHaJB*phCJmHsHPJaJVfrxzXBR  z!#4$R&&'''((((^)n)**0+z++++,, -f---".R.N0r0V111123z33z44`55,89::X;;V<X<r<=>>>?&@@^_`h``aac,cJeebfVgg`hh`jjlldmm nnXqqqBrss,ttuJvv^wxDxy2zZz{N|P|V||d},~~LH΃CJmH sH aJB*phCJmHsHaJB*phCJmHsHPJaJV΃Hht` 8@؎ n0PRT*XjDҡDzȣ:Ҥ~jr©rĭ8h (ȱ"*lp~CJmH sH aJB*phCJmHsHPJaJB*phCJmHsHaJV "Rz|^LhFdH "h<"bz|zjHJ>4|NX(2h~4R(J@Bb pCJmH sH aJB*phCJmHsHPJaJB*phCJmHsHaJVp|.\n :Xj2:   (  6   :   | >8~ZT:!d"## $>$$%%D&&r'"())<*p*r****B*phCJmHsHaJB*phCJmHsHPJaJY***B.x.12R3445,5d5$667v84::<;;<<h=r>>>X?T@v@EE.GGGHH4I6I:IJK\LLbM NN.P0P\PQQ^RRSTTT0UPVV:<>j.B4j~6BPN|^~<"V&B: > t  F  0\ CJmH sH aJB*phCJmHsHPJaJB*phCJmHsHaJV :bNB&rt<xJ$  !"#$.%p%% &p&*(~())|**,,,f-R../001111J22222234T45588p:::(;^;<<L=t=?ACC"E2FLFF GGHHICJmH sH aJB*phCJmHsHPJaJB*phCJmHsHaJVII@JTJKhKLNLxLTMM,QQTRRR SBTUVVVXWXPYTZ`Z|ZZF\"]\]]^^^__L`N`~````^cdddxfgXj\jjjjllndoqqTrrst6tZtt"uuuuvvwlxyDz||}:}Vz̀RCJmH sH aJB*phCJmHsHaJB*phCJmHsHPJaJVRn$@ЄZ^Pbdڋ*>v֏>B: hVڡ6Xޢ>ҧR4XFzbN2IJfZԵLº  ^B*phCJmHsHPJaJB*phCJmHsHaJYĻ ><>f@BJ,|jx$@,>lXRzbrj~24r*rPr.  F CJmH sH aJB*phCJmHsHPJaJB*phCJmHsHaJVF n    $ f      n ~    |   F     F      ^  ,      D R! ! ! " " # # $ n% % d& & & .' ' ' ( j) ) ~- . F1 ^2 2 2 F3 3 4 P4 4 4 4 5 6 7 `8 8 9 9 ": v: < B*phCJmHsHPJaJB*phCJmHsHaJY< *< ~< n= p= r= = = = = = = = 0J 0JjU jU 5^J\B*phCJmHsHPJaJB*phCJmHsHaJ  LNt  B 6<>fLL\ "0# dh-DM 0#Z&r):**+ -~-- .N//@00x122~4556 777p<V>?BxB dh-DM xBzBpCDFGGG&H(H$IIpJK~LMOP Q8QRRTUZYPZ \^ _ dh-DM  _ _^_`bc(d8eefgvh>ii~j kkk$l>llmm4n$o&oNooo dh-DM oJpqvqqrfturvLwwNxx~yz{^||}XȀ&n҃ dh-DM r \ʈ D.Rܑ&~.R dh-DM R̚Lڜ*ŸJlX BdVhbd dh-DM dڱ|P"$r <>f*T: dh-DM :rx8Xtt^Pz*v*d dh-DM dzf&zVF8.   0 T V X  dh-DM TBpn  *!"$$%%+j./233@4456L66j7 dh-DM j7l79p<:>"?|??@@A&B8BBC0EEFGGHHI`IIJJKrM dh-DM rM`NTTdUbVY@Y[R\]^b^cetfg~ii\j^jtkxopp.qs|t u dh-DM  u uzy4zz{*},}X}}}~<|pVXH&H8 dh-DM L>R6Nx`  dh-DM  >`bL~t&&:$@ dh-DM 0 66  f^&b,..4 dh-DM  `"$p&:')b+^,.F//"0t223n44 557N89:J;F=?A dh-DM ADABBLCjD|GIJKMMtNOPQR>T,UUVDXZ[[*^bdd dh-DM dJeefgiijj>kXl"mmRnoqxqqqqrrs p\~ | !j" #$t%v%%%%&((**,-. dh-DM .D/v12d4778L9$:;;<>>^@@ABBRDEnFFG HtJJlL dh-DM lL&MMMNJQSlVXHYh[:\]^v_`*adeegLhNhi(jklln dh-DM noVpq rrsFtXvyyz}~~F΃b fB dh-DM BJlnԔޕpʚ̛ nf"Ĩr֭¯ dh-DM ¯$jlZ@6Z\z dh-DM zLl JJ (*2<J2l dh-DM  :d*F8\R      Tr  dh-DM   V!""%%6''((^*(,8.:.b.../0168::x;@< dh-DM @<<=>AAC$DvDDGHLMMNOPTTUWXXY[[\l] dh-DM l]]^F__bdef il*moorrsltttvvbAABBCCzD dh-DM zD|DFGHRIJ KKK*LLM , dh-DM ,.|,, ܷ:^Ȼ6|(dнL dh-DM L`bxphH XXF dh-DM $d<8<T.tT>Dlx dh-DM D2V Ft4   fr dh-DM xzR #4$R&&'(((^)**0+z++,,--R.N0 dh-DM N0V123z3z44`5,89::X;;=>>>?&@@4|X(hR dh-DM  .:Xj2:   6  dh-DM 6   | >~ZT:!d" dh-DM d"# $$%&r'"()<*p*r****B.1R3,5$667v84::;<r>> dh-DM >>X?T@EE.GGHH:IJ\LbM N.P0P^RSTPVV   0 bNB dh-DM BrtJ !"$.%p% &p&*(~())|*,,R./012 dh-DM 222458p:::(;<L=t=?AC"E2FFGHII@JKhKNLTMM dh-DM M,QRBTUVVXPYTZ|ZF\"]]^^_L`N`~```^cdxfXjlnq dh-DM qTrstZtt"uvwlxy|}VR@ЄZPb dh-DM bd>>B: hVڡXޢҧ4 dh-DM 4FzbN2IJfZº   ><>f, dh-DM ,x@>Rzbrj dh-DM jr*P  F    $     n dh-DM n   F   F       ,     R! ! " " # n% % d& & & ' dh-DM ' ( j) ) ~- . F1 ^2 2 F3 4 P4 4 4 6 7 `8 9 ": < ~< n= p= t= v= x= z= ^]h` dh-DM z= |= ~= = = = = = = = = = dh-DM  4. A!"R#n$n2P1h0p3P(20Root Entry FCompObjjOle 1TableSummaryInformation(?$WordDocument 6* ObjectPoolDocumentSummaryInformation8Dt